Der Sturm

Roman

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Erscheinungstermin 24.08.2019 | Archivierungsdatum 14.01.2020

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Zum Inhalt

Eine atmosphärisch dichte Familiengeschichte auf einer abgelegenen Insel Norwegens – mit sezierender poetischer Erzählkunst gelingt es Sem-Sandberg, das Schweigen über die Vergangenheit zu brechen. Norwegen, Ende der 1990er: Andreas kehrt zurück auf die Insel, auf der er seine Kindheit verbrachte, um das Anwesen seines verstorbenen Adoptivvaters Johannes aufzulösen. Mitten im Durcheinander findet er Spuren, die auf die bewegte Vergangenheit der Insel hinweisen und mit seiner nicht begleichbaren Schuld im Zusammenhang stehen. »Der Sturm« von Sem-Sandberg besticht durch seine einnehmende, poetische, kristallklare Sprache. Andreas war noch klein, als er mit seiner Schwester Minna zu Johannes ins Gelbe Haus kam, das auch als Totes Haus beschimpft wurde. Warum, das wusste er nicht. Es wurde ja nichts wirklich ausgesprochen auf der Insel. Aber der Argwohn nistete überall. Johannes nahm sich der beiden Kinder an, nachdem ihre Eltern auf mysteriöse Weise verschwanden. Ein Flugzeugabsturz, munkelte man. Auch Johannes erzählte ihnen stets von der Tragödie, die sich über dem Meer abgespielt haben soll. Doch Andreas forschte nach. Und wird fündig, als er Jahre später an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt. Nach und nach erfährt er die Wahrheit über seinen Ursprung, der eng mit der Geschichte der Insel zusammenhängt, auf der die faschistische Quisling- Regierung zuließ, dass eine Kolonie für arme Kinder entstand. Dabei muss er sich auch mit seiner rebellischen Schwester auseinandersetzen, die er so sehr liebte, dass er Schuld auf sich lud, mit der er schließlich von ihr alleine gelassen wurde.

Eine atmosphärisch dichte Familiengeschichte auf einer abgelegenen Insel Norwegens – mit sezierender poetischer Erzählkunst gelingt es Sem-Sandberg, das Schweigen über die Vergangenheit zu brechen...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783608981209
PREIS 22,00 € (EUR)

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Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Andreas hat als Kind bei Johannes im gelben Haus gelebt. Als Erwachsener kommt er auf die Insel zurück und bemerkt, dass die Welt der Kindheit mit dem eigenen Erwachsenwerden kleiner zu werden scheint. Früher kontrollierte der Gutsbesitzer Kaufmann, wer seine Insel betrat, heute dürfte es schwieriger sein, Kaufmanns ehemaliges Imperium zu kontrollieren. Johannes, existierte in seinen letzten Lebensjahren körperlich geschwächt, blind, verwahrlost und misstrauisch gegen andere im gelben Haus. In den 40er Jahren hatte er Andreas und seine Schwester Minna aufgenommen, nachdem die Eltern auf dem Weg auf die Insel Opfer eines Flugzeugabsturzes wurden. Dass ein alleinstehender Mann zwei fremde Kinder adoptierte, muss schon damals als skandalös empfunden worden sein. Was Andreas über die Insel weiß, stammte lange allein von Johannes, einige Geschichten erzählte auch Minna. Der Icherzähler scheint sich in seinen Erinnerungen anfangs von Loch zu Loch zu hangeln. Ich fragte mich, wer in der Geschichte mit wem verbunden ist und worum es überhaupt geht.

Die Kaufmanns hatten offenbar einen großen Gutshof und die Insel muss zum großen Teil ihr privater Besitz gewesen sein. Johannes war zur Zeit der deutschen Besetzung Fahrer des alten Kaufmann, der wiederum Beziehungen zum faschistischen Ministerpräsidenten Quisling pflegte. Andreas ist auf den Spuren seiner Eltern in die USA gereist, hat über die 40er in Norwegen recherchiert und setzt nun Erinnerungen und die Fakten aus den Akten des Kaufmann-Hofes zu einem Bild zusammen. Sein Adoptiv-Vater muss jede Quittung und jeden Brief säuberlich abgelegt haben und Johannes gräbt sich darin durch Streitigkeiten um Grenzen und Bootsanleger. Alte Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus verbinden sich mit Interessen an wertvollen Insel-Grundstücken. Jede Antwort scheint sofort eine neue Frage aufzuwerfen. Warum organisierte Kaufmann während der Besetzung eine Kinderkolonie auf einer Nachbarinsel und welche Rolle spielte dabei Andreas Vater als Amerikaner mit norwegischen Wurzeln? Warum wurde die temperamentvolle Minna damals zu Pflegeeltern gegeben? Je weiter Andreas vordringt, umso stärker bezweifelt er, was man ihm und Minna als Kindern erzählte und umso deutlicher wird, dass Minna ihn belogen und manipuliert hat. Die Grenzen seiner Vorstellungskraft begrenzen, was ich als Leser von ihm erfahren werde. Beim Lesen wurde ich den Eindruck nicht los, dass die Lücken in Johannes Erinnerungen fließend in Vermutungen übergehen und er sich auf seiner Spurensuche in der eigenen Geschichte verliert.

Steve Sem-Sandbergs Icherzähler fühlt sich zweifach verlassen, von seinen verschwundenen Eltern und von seiner älteren Schwester. Seine Spurensuche führt ihn am Beispiel einer kleinen Insel tief in Norwegens Geschichte während des Nationalsozialismus. Was prägt einen Mann wie Johannes, was macht ein Bruder-Schwester-Verhältnis aus, all das erzählt der schwedische Autor so intensiv, dass beim Lesen höchste Aufmerksamkeit erforderlich ist.

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Der Tod seines Ziehvaters Johannes sorgt dafür, dass Andreas auf die Insel zurückkommt. Hier auf der norwegischen Insel hat er seine Kindheit bei Johannes im Gelben Haus verbracht. Seine Gefühle sind ambivalent. Eigentlich wollte er nicht unbedingt zurückkommen, denn rückblickend war es nicht besonders angenehm. Alle schienen alles über die anderen zu wissen, doch es wurde nicht geredet, sondern man gab sich verschlossen, besonders denen gegenüber, die nicht von der Insel waren.
Andreas und seine ältere Schwester Minna Hatten mit ihren Eltern in der Nato-Villa gewohnt. Die Kinder wurden von ihren Eltern für ein paar Stunden bei Johannes abgegeben, aber nicht wieder abgeholt. Die Fragen der Kinder beantwortet Johannes mit ausschweifenden Geschichten, die aber immer anders verlaufen. Es scheint als wären die Eltern später bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, als sie ihre Kinder abholen wollten. Andreas folgte seiner Schwester auf Schritt und Tritt und tat alles, was diese forderte. Doch als er sich schuldig machte, ließ sie ihn im Stich. Johannes lässt die Kinder gewähren, selbst dann noch, als Minnas Treiben zu heftig wurde.
Nun ordnet Andreas den Nachlass von Johannes. Es gibt Ungereimtheiten und immer neue Fragen tauchen auf. Langsam begreift Andreas das, was er als Kind nicht verstehen konnte. Johannes hat alles Mögliche gesammelt: Quittungen, Notizhefte, Fotos und Zeitungsausschnitte. Das alles belegt, was Andreas zunächst vermutet und was sich dann als Wahrheit herausstellt. Er erkennt, was es mit den Kaufmanns auf sich hatte, die als die Herren der Insel galten und die während des Krieges eine Kolonie für Kinder errichtet und sogar Deutsche zu Gast hatten. Der Gutsverwalter Herr Carsten war genauso unbeliebt wie die Kaufmanns selbst. Andreas erkennt, dass auch Carsten, der immer noch auf dem Gut ist, obwohl die Kaufmanns längst weg sind, eine wichtige Rolle gespielt hat.
Dieses Buch ist nicht leicht zu lesen, denn die Zeitensprünge sind nicht immer gleich zu erkennen. Die Sprache ist klar, fast schon poetisch.
Es ist eine sehr atmosphärische Geschichte, die teils erschreckend und manchmal auch berührend war. Lesenswert!

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Mit einer Rückkehr wider besseres Wissen setzt die Geschichte ein, und dieses anfangs noch unklare Gefühl der Bedrohung bleibt bis zum Ende des stimmungsvollen Romans erhalten.

Es ist der Ich-Erzähler, Andreas Lehman, selbst, der dieses Gefühl immer weiter nährt. Trotzdem kann er nicht anders, als nach dem Tod seines Ziehvaters Johannes auf die Insel zurückzukehren, auf der er aufgewachsen ist. Während er im sogenannten Gelben Haus, in dem er mit seiner Schwester Minna von Johannes aufgenommen worden war, als ihre Eltern verschwanden, den Nachlass sichtet, hat er den Eindruck, dabei von so manch zwielichtigen Inselgeschöpfen feindselig beäugt zu werden. Zugleich kommen, je länger er sich auf der Insel aufhält, immer drängendere, wenngleich zunächst recht unzusammenhängende Erinnerungen hoch. Sem-Sandberg gestaltet sie sinnlich und verstörend, szenisch dicht und doch bruchstückhaft, wie kleine klärende Risse in einem Nebelfeld, die wieder neue Rätsel aufwerfen.

Da tritt uns seine rebellische große Schwester ganz lebendig und als schwer fassbares, widersprüchliches Wesen entgegen, das den kleinen, die Schwester fast devot-voyeuristisch bewundernden Bruder in grenzwertige, demütigende Streiche hineinzog. Eher schemenhaft nehmen die amerikanischen Eltern der beiden Kontur an, die angeblich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, und deren in die Zeit des Krieges zurückreichende Verbindung zur Insel der Ich-Erzähler erst nach und nach auf die Spur kommt. Die dominierende Figur wird in Andreas Erinnerung aber der alte Kaufmann, der einst fast die ganze Insel besaß und idealistische Pläne für sie ersann, nach dem Krieg jedoch den Hass der Bewohner auf sich zog. Er erinnert nicht zufällig an Shakespeares Inselkönig Prospero aus dem Stück, das denselben Titel trägt wie Sem-Sandbergs Roman. Natur und Metapher, Natur und Mythos sind in diesem Text nämlich eng verwoben. So ereignet sich auch kein Sturm im meteorologischen Sinne während der Romanhandlung, Schneeschauer und dichte winterliche Nebelfelder, von den Bewohnern der Insel "Bleiche" genannt, jedoch umso häufiger. Ja letztere sind gewissermaßen Grundstimmung und Kompositionsprinzip dieses so eindringlichen und suggestiven Romans, der einen auf schmerzhafte Weise in Bann schlägt und vor allem mit seiner Sprachpoesie verzaubert wie Prospero seine gestrandeten Übeltäter.

Tatsächlich verrät gerade die Ambivalenz, die dieser Shakespeareschen Figur innewohnt, einiges über sein Alter ego Kaufmann im Roman, der sich vom Idealisten und philanthropischen Träumer zum Kollaborateur und schließlich zum Sündenbock für die Inselbewohner wandelt. Während Kaufmann vor dem Krieg auf der Insel eine erste Kolonie in Form eines sozialutopischen Falanstère wohl nach dem Vorbild Charles Fouriers begründete, in der er neue Anbaumethoden anwandte, verstieg er sich mit seinen landwirtschaftlichen und biologischen Feldforschungen während des Krieges womöglich bis hin zu Menschenexperimenten, so der Verdacht, der sich Andreas bei seinen Nachforschungen in der Vergangenheit immer mehr aufdrängt.

Doch der Autor lässt uns absichtlich im Ungewissen darüber, was tatsächlich passiert ist. Wie in Shakespeares Stück überlagern sich Traum und Wirklichkeit und verweisen sehr oft auf die metaphorische Struktur des Unterbewusstseins. Das weiße Pferd, das Andreas wiederholt beim Träumen beobachtet, scheint mir hier ein zentrales Motiv zu sein, wie ein Hinweis auf die poetische Anlage des Romans. Harmlos wird das Geschehen dadurch nicht, im Gegenteil kippen Sehnsucht, Schönheit und Traumhaftes immer wieder um in eine fast mythische Gewalt, als würde ein Fluch auf der Insel liegen. Gut und böse gehen ineinander über, sind fluide Kategorien, und das Monströse lauert eben nicht nur im optisch Furchteinflößenden, auch wenn dieses wunderbar zum Sündenbock taugt. Auch dem Erzähler selbst ist nicht recht zu trauen: Was entspringt seiner Fantasie, seinem Schmerz, seiner Kränkung, einer Verletzung, was ist echte Erinnerung oder rationale Erkenntnis, was Unterstellung, Hoffnung, Fiktion oder gar Wahn?

Gar nicht traumhaft, sondern schmerzhaft real ist jedoch der Griff der Vergangenheit nach der Gegenwart, der nicht durch einen mythischen Fluch, sondern durch die Ängste und Aggressionen der Menschen ausgelöst wird. Warum setzt sich die Gewalt, die während der Besatzungszeit verübt wurde, über die Generationen hinweg fort, warum hören die Anfeindungen nicht auf? In Sem-Sandbergs Text deutet sich eine Erklärung an:

"[Ich begreife] mit einem Mal, dass der Niedergang nicht so sehr eine Folge der auf der Insel herrschenden Inzucht war, [...] sondern dass einfach alle in sich selbst feststeckten und es der Stummheit und dem Schweigen am Ende gelungen war, jeden nur möglichen Ausgang zu versperren. Oder war es etwa so, dassman schwieg, weil man einfach nicht zu reden vermochte, denn wenn man das, was man wusste, in Worte fasste, würde man auch den eigenen passiven Anteil Geschehen eingestehen müssen und somit auch die eigene Schuld daran, dass alles immer so weitergehen konnte, ohne dass jemand etwas sagte oder auch nur die geringste Anstrengung unternahm, um die Sache ans Licht zu bringen, das aber wäre einfach zu viel gewesen. Dann schon besser, dass Kaufmann für alles die Verantwortung bekam, schließlich war er ja doch nicht ganz richtig im Kopf." (Sem-Sandberg, Der Sturm, S. 192)

Sem-Sandberg entlässt seine Figuren anders als Shakespeare in seinem Stück nicht durch einen Zaubertrick aus der Verantwortung ihres Schweigens, ihrer Schuld, ihrer Gewalt. Und doch bricht beim Lesen immer wieder etwas Leuchtendes herein, kann man sich, wie beim Zusammensetzen eines alten Puzzles, von dem einige Teile für immer verloren gegangen und andere durch strahlendere neue ersetzt worden sind, dem Sog der sich immer wieder entziehenden, aber intensiven, magischen Geschichte kaum entziehen. So gewährt die Lektüre dem mutigen Leser einen schockierenden und betörenden Einblick in die schillernde Komplexität des menschlichen Seins und Handelns.

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