Das flüssige Land

Roman.

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Erscheinungstermin 24.08.2019 | Archivierungsdatum 02.12.2019

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Zum Inhalt

Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2019 (Shortlist) Nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2019 Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine österreichische Gräfin, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht. In ihrem schwindelerregenden Debütroman geht Raphaela Edelbauer der verdrängten Geschichte auf den Grund. Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden, doch Groß-Einland verbirgt sich beharrlich vor den Blicken Fremder. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Unter dem Ort erstreckt sich ein riesiger Hohlraum, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch und seine wechselhafte Historie, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist. Wird das Schweigen von der einflussreichen Gräfin der Gemeinde gesteuert? Und welche Rolle spielt eigentlich Ruths eigene Familiengeschichte? Je stärker sie in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. Doch sie gräbt tiefer und ahnt bald, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind. »Raphaela Edelbauer überschreitet Grenzen und rückt in unerforschte Gebiete der Literatur vor.« Jurybegründung Rauriser Literaturpreis

Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2019 (Shortlist) Nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2019 Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine österreichische Gräfin, die über die...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783608964363
PREIS 22,70 € (EUR)

Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

„Wurzeln schlagen ist dort leichter, wo vieles im Erdreich verrottet“ – Raphaela Edelbauer erzählt von einem sinkenden Land und seinen Bewohnern

Von Raphaela Edelbauers Debütroman „Das flüssige Land“ geht eine Sogwirkung aus, der ich mich nicht entziehen konnte. Die 29-jährige Autorin ist ein absolutes Ausnahmetalent – sie weiß sowohl sprachlich als auch inhaltlich zu überzeugen. Auf 350 Seiten entwickelt sie eine Geschichte, die einen nicht loslässt.
Im Herbst 2007 erreicht die Physikerin Ruth Schwarz, die gerade über ihrer Antrittsvorlesung und der Habilitation sitzt, eine erschütternde Nachricht: Ihre Eltern sind mit dem Auto tödlich verunglückt. Als sie aus der Schockstarre erwacht und die Beerdigung vorbereiten will, äußert ihre Tante, dass es stets der Wille der Eltern gewesen sei, in ihrer Heimatgemeinde Groß-Einland beerdigt zu werden. Ruth, die bereits seit Jahren nur noch dank diverser Psychopharmaka funktioniert, macht sich auf die Suche nach dem Herkunftsort der Eltern – doch Groß-Einland ist nirgends zu finden. Auch bei den Behörden hat man noch nie von einem Ort dieses Namens gehört. Die junge Frau fährt kreuz und quer durch das Wechselgebiet – der Wechsel ist ein Mittelgebirge im Osten Österreichs – und sucht in ihrem Gedächtnis verzweifelt nach entscheidenden Anhaltspunkten. Dabei stellt sie fest, dass sie relativ wenig über die Eltern und deren Vergangenheit weiß. Der Vater, Erich Schwarz, und die Mutter Elisabeth Schalla, sind wie Geschwister aufgewachsen, nachdem Erichs alleinerziehende Mutter sich nicht mehr um den Sohn kümmern konnte. Als sie beschlossen, zu heiraten, wurde die Adoption rückgängig gemacht. Ab und an erzählten die Eltern von Groß-Einland, etwa von einem besonders alten Baum oder von einer Wiese, doch Ruth tappt lange im Dunkeln. An einer Tankstelle belauscht sie schließlich zufällig den Dialog zweier Männer, von denen einer erwähnt, dass er nach Groß-Einland fahre und Ruth folgt ihm. Nach einer abenteuerlichen Fahrt durch den Wald landet sie mit ihrem völlig derangierten Auto tatsächlich in dem Ort, der sich nicht finden lassen wollte.
Groß-Einland scheint aus der Zeit gefallen zu sein, nicht weil der technische Fortschritt dort nicht Einzug gehalten hat – in diesem Punkt unterscheidet sich der Ort nicht von anderen Gemeinden. Aber die Bewohner sind ausgesprochen eigen und neben der neuen, modernen Ordnung, existiert auch noch eine alte Ordnung, die vor allem durch die Gräfin Knapp-Korb von Weidenheim verkörpert wird, die Groß-Einland wie eine Monarchin regiert. Doch der Boden, auf dem das Städtchen steht, bröckelt. Groß-Einland ist unterhöhlt. Seit dem 17. Jahrhundert hat die Bergbauindustrie Löcher in den Untergrund getrieben – zunächst war es der Silberrausch, der die zum Mythos geronnene Gründerfigur der Gemeinde, Pergerhannes, dazu veranlasste, nicht nur die Natur auszubeuten, sondern auch Menschenleben zu opfern. Später wurde der Boden auf der Suche nach Gold, Kupfer und Uran ausgehöhlt. Und nun muss man sich mit den Folgen auseinandersetzen. Ruth, die sich in Groß-Einland zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich angekommen fühlt, soll auf Wunsch der Gräfin eine Schlüsselrolle bei der Rettung des Ortes spielen. Doch das, was von ihr verlangt wird, überfordert sie zunächst und führt schließlich zu einem ethischen Dilemma…
Was für ein sprachgewaltiger und atmosphärisch dichter Roman! Das riesige Loch, das die Menschen durch die Ausbeutung der Natur selbst erzeugt haben, wird hier zur alles verschlingenden Bedrohung. Wie ein mächtiger Mahlstrom oder ein schwarzes Loch, entfaltet es eine beängstigende Sogwirkung. Doch die Betroffenen verdrängen die existenziellen Ausmaße der Bedrohung. Die Gräfin möchte das Ganze gar als Touristenattraktion vermarkten. Das durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen entstandene Loch, das irgendwie gestopft werden muss, weil es sonst zur Auslöschung der darüber angesiedelten Menschen führt, kann natürlich auch exemplarisch für die Ausbeutung der Natur durch den Menschen stehen. Um den Status quo zu erhalten, wird allerlei Flickwerk betrieben, doch eine nachhaltige Lösung ist nicht in Sicht – und die Lösung, die möglich wäre, ist in Wirklichkeit gar keine. Während es um die Zukunft Groß-Einlands düster bestellt ist, sucht Ruth auch nach Spuren der Vergangenheit. In Chroniken liest sie von der Geschichte des Ortes, der auch in der Zeit des Nationalsozialismus Schauplatz einer unfassbaren Tragödie geworden ist – doch bis auf Ruth hat keiner Interesse daran, diese Sache aufzuarbeiten.
Raphaela Edelbauer erzählt sprachlich brillant und kafkaesk von einem Ort, der aus der Zeit gefallen scheint, der aber gleichzeitig Kristallisationspunkt zahlreicher Probleme der Gegenwart ist. Was für ein großartiges Buch!

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Die österreichische Schriftstellerin Raphaela Edelbauer ist mir letztes Jahr durch ihre Lesung beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb aufgefallen. Sie las eine Story „Das Loch“, das im Zusammenhang mit diesem ungewöhnlichen Roman steht.
Die Protagonistin ist die Physikerin Ruth Schwarz. Sie kommt nach dem Unfalltod ihrer Eltern in deren Heimatort Groß-Einland.
Ruth recherchiert vor Ort über die Vergangenheit, während sie gleichzeitig auf verquere Art Teil der Gemeinschaft wird. Das mischt sich mit dem Willen zum Widerstand, denn hier gab es einmal ein schlimmes Kriegsverbrechen.

Die Autorin lässt sich Zeit, die Geschichte zu entfalten. Man benötigt daher am Anfang etwas Geduld Aber es gibt schon von Anfang an interessante Motive, die einen dabei helfen, zum Beispiel auch das einer Fremden, die in eine geschlossene Gesellschaft eindringt. Dabei geht Ruth aufgrund ihres wissenschaftlichen Backgrounds sachlich vor. Ich bewundere so einige der präzisen Beschreibungen von Raphaela Edelbauer.

Das Gebiet hatte viel Bergbau. Es ist ein Ort des Geschehens, dass von der Gemeinschaft kollektiv verdrängt hat. Zudem ist die Gegend im Untergrund durch viele poröse Schichten beschädigt. Es gibt schon einige treffende Metaphern, die die Autorin gekonnt einsetzt.

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Ruth Schwarz ist Physikerin und habilitiert sich gerade. Die Nachricht vom Unfalltod ihrer Eltern konfrontiert sie – mitten in der Arbeit an ihrer Antrittsvorlesung - damit, dass sie deren Heimatort Groß-Einland nicht kennt und der Ort in Österreich nicht zu existieren scheint. Um die Beisetzung in der Heimat der Eltern zu organisieren, packt die junge Frau wie für eine Expedition in feindliches Terrain. Durch den plötzlichen Todesfall gerät ihr Leben förmlich ins Rutschen, als würde ein Schiff im Sturm hin- und hergeworfen. Ähnlich einer Mindmap entsteht allmählich vor Ruth ihre Familiengeschichte als an den Rändern weiterwucherndes Lebewesen. Bäume spielten eine wichtige Rolle darin. Der Großvater nahm als Holzfäller noch direkt wahr, ob ein Baum krank oder gesund ist, ihr Vater, der in diese Welt eingeführt wurde, kaum dass er laufen konnte, interessierte sich schon als Kind ganz wissenschaftlich dafür, was im Innern einer Pflanze passiert. In der Fantasie ihrer Mutter existierte eine Welt, in die man mit einer Leiter hinabsteigen und dort Dinge finden konnte. Wie Ruth in der dritten Generation als Physikerin die Dinge sieht, ist Thema des Romans. Groß-Einland schließlich, (der Ort, der angeblich nicht existiert) konfrontiert die Besucherin mit einem realen Berg, der offiziell und illegal jahrhundertelang ausgehöhlt, nach Bodenschätzen durchsucht, verfüllt und wieder bebaut wurde. In der Gegenwart senkt sich das Gelände in rasantem Tempo, Spalten bilden sich, Gebäude zerfallen, ein gewaltiges wirtschaftliches Problem. Es gibt in Groß-Einland kaum Beobachtungen, denen durch Erinnerungen der Einheimischen, Legenden oder Dokumente nicht weitere Facetten hinzugefügt werden können. So wurden die Bergwerksschächte im Nationalsozialismus genutzt und dienten anschließend dazu, Dinge und Spuren zu verbergen, derer man sich schämte. Man könnte sich fragen, ob dieses Loch ein Lebewesen ist, das die Menschen versklavt, was wiederum ein starkes Symbol sein könnte für reale Probleme außerhalb der Puppenstuben-Welt von Groß-Einheim. Auch wenn Ruth ein Arbeitsplatz angeboten wird, fühlt sie sich für die Probleme der Stadt nicht qualifiziert, schließlich ist sie keine Geologin.

Raphaela Edelbauer lässt ihre Leser stets spüren, dass zu Ruths Wahrnehmung als Icherzählerin weitere Facetten existieren, abweichende Erinnerungen, Erzählungen verschiedener Zeitzeugen, unterschiedliche Interpretationen. Ruth könnte sich in einem fantastisches Szenario befinden, das nur in ihrem Kopf existiert, sie könnte ebenso gut an Wahnvorstellungen leiden – und sie wird aus ihrer Welt immer wieder herausgeholt und in eine andere Realität gestellt. Aus Ruths Sicht ist die Landschaft ständig aktiv, verflüssigt sich, durchdringt Gegenstände. Wie jemandem Dinge entgleiten, Zeitabläufe sich verselbstständigen und Proportionen sich verschieben, das beschreibt die Autorin sprachlich originell wie beängstigend. Neben der Gratwanderung zwischen Ruths psychischer Angeschlagenheit und realen Ängsten um Heimat, die wohl jeder empfindet, bietet das ehemalige Bergwerk eine reiche Symbolik um Mythen, das Verbergen, sich Opfern, Versklaven und die Gier nach Reichtümern. Icherzähler im Roman sind ein Wagnis, das komplett scheitern kann. Edelbauers Icherzählerin Ruth, als Physikerin eher nüchtern im Urteil und mit einem Missmut gegenüber Perlenketten, erlebe ich als spröde Person, die mir die Augen für erstaunlich viele Facetten von Heimat, Landschaft und Zeit geöffnet hat. Ein grandioser Roman.

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Ruths Eltern sind gestorben und ihr letzter Wunsch war es angeblich, an dem Ort beerdigt zu werden, an dem sie aufgewachsen sind: Groß-Einland. In ihrer Trauer macht Ruth sich überstützt auf dorthin auf und stellt erst auf dem Weg fest: dieser Ort ist nirgend verzeichnet, es scheint sie gar nicht zu geben. Doch schließlich findet sie einen Weg, indem sie einem Mann folgt, der auch nach Groß-Einland will. Es ist wie bei Alice und dem weißen Kaninchen, denn Ruth fährt über einen schwer zugänglichen Weg, ihr Auto wird dabei zerstört und dann kommt sie an einem Ort an, der mich ein bisschen ans Wunderland erinnert hat. Es gibt dort seltsame Regeln und eine strenge Gräfin, die über alles Bescheid weiß, was in der Stadt geschieht. Dinge, die für die Einwohner dort völlig normal sind, klingen überaus verrückt für unsere Ohren.

Doch das außergewöhnlichste an Groß-Einland ist: unter der Stadt gibt es eine riesige Mine, das Loch. Das Loch hat schon oft Menschen verschluckt und nach und nach sackt die ganze Stadt ab. Der Marktplatz liegt schon einen halben Meter tiefer, die Gebäude haben Risse, der Kirchturm steht schief.

Nach dieser Inhaltszusammenfassung (die dem Buch noch nicht annährend gerecht wird), ahnt man es schon: es ist ein recht seltsame Handlung. Und sie hat mich von der ersten Seite an in ihrem Bann gezogen. Es erging mir sogar wie Ruth: ich hing in Groß-Einland fest und bin nur sehr widerwillig daraus aufgetaucht. Nun habe ich keine Seiten mehr übrig und vermisse es richtig. Groß-Einland schwirrt aber weiter durch meine Gedanken. Manche Botschaften sind mir erst in Nachhinein so richtig klar geworden. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich ALLES verstanden habe, aber ich weiß, dass ich ein sehr gutes Buch gelesen habe. Lest es am Besten selbst! Lasst euch darauf ein und taucht ab in die Geheimnisse von Groß-Einland. Es lohnt sich.

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Ein rätselhafter Roman, der die Protagonistin zum Geburtsort ihrer Eltern führt, der zunächst gar nicht zu existieren scheint. Dort beschließt sie zu bleiben und begibt sich auf Spurensuche in deren Mittelpunkt ein Loch steht, das alles zu verschlingen droht und als Metapher für die nicht aufgearbeitete NS-Vergangenheit dienen kann.

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Um es gleich deutlich zu sagen, dieser Roman macht es einem nicht leicht. Nicht weil er schwer zu lesen wäre, das ist er überhaupt nicht, im Gegenteil, aber er liefert keine erklärende Geschichte, er überlässt es einem selbst, was man daraus macht und was man wie verstehen möchte. Er lässt viel Raum für Interpretation, er ist kafkaesk (dieses Wort wurde in Rezensionen bereits häufig bemüht), er ist grotesk, manchmal bis zur Farce. Die Autorin will viel, vielleicht zu viel manchmal, wenn es dann teilweise in Versatzstücken endet. Sie kann schreiben, man wird von der Sprache mitgetragen, aber auch hier kann das an manchen Stellen dann doch zu dick Aufgetragene auch mal in Schwächen kippen. Nichtsdestotrotz mochte ich dieses Buch, es nahm mich mit, es brachte mich zum Nachdenken, ja, ich hatte sogar Spaß daran. Ein Wort, das ich nicht immer zwangsläufig mit Büchern in Verbindung bringen kann, die auf Buchpreislisten landen.
Die letzten beiden Kapitel fand ich leider die schwächsten im ganzen Buch. Wie so oft bekommt man auch hier das Gefühl, alles muss irgendwie zum Abschluss gebracht werden, das erfolgt dann eher überstürzt, wo es doch vorher eher mäanderte, und die Autorin schien meinem Empfinden nach nicht so recht zu wissen, wie das alles ein Ende finden soll. Dieser Buch ist nicht für jede Art von Leser*in, aber ich empfehle es, und man sollte keine Scheu davor haben.

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Die Physikerin Ruth Schwarz forscht in Wien über die Blockuniversumstheorie – eine „alternative Theorie über die Zeit“ – und schreibt schon einige Jahre an ihrer Doktorarbeit, als sie erfährt, dass ihre Mutter und ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Sie ist schon vorher deutlich psychisch angeschlagen, die verschiedensten Tabletten helfen ihr durch den Tag und die Nacht

Nachdem ihre Tante ihr erzählt, dass es den Eltern wichtig war, in ihrem Heimatdorf Groß-Einland beerdigt zu werden, macht sich Ruth geschockt und wie im Rausch dorthin auf den Weg, um alles vorzubereiten.

Erst unterwegs fällt ihr auf, dass sie nicht weiß, wo Groß-Einland genau liegt. Die Eltern hatten kaum davon erzählt und waren in Wien heimisch geworden. Kein Straßenschild weist ihr den Weg, auf keiner Landkarte ist der Ort verzeichnet und die Dame vom Amt erklärt ihr, dass es in Österreich nie ein Groß-Einland gegeben hat.

Nur durch Zufall hört sie an einer Tankstelle von einem Mann, dass er nach Groß-Einland fährt. Obwohl sie ihn nach einer Weile verliert, findet sie – nachdem sie mit dem Auto auf einem Trampelpfad ein steiles Waldstück durchquert hat – endlich den Ort und hat das Gefühl, in einem alten, österreichischen Städtchen gelandet zu sein. „Alles war dabei unfassbar sauber und heil – eine Perfektion, wie ich sie an keinem Quadratmeter Wiens je kennengelernt hatte.“ (Kapitel 4)

Die Sitten und Gebräuche sind – gelinde gesagt – seltsam und das Verhalten der Menschen wirft einige Fragen auf. Als Ruth ein Zimmer in einer Pension bezieht entwickelt sich zum Beispiel folgender Dialog (Kapitel 4): „‚Mein Name ist Dorothee, wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich.‘ Ich zeigte auf ihre Brust. ‚Aber da steht doch Frau Erna.‘ ‚Aber nein, das ist der Name des Gasthofs.‘ ‚Ist das hier nicht die Pension zum Fröhlichen Kürbis?‘ ‚Doch, doch.‘“

Dennoch fühlt sich Ruth schnell heimisch. Alle scheinen ihre Eltern gekannt zu haben und bald nach ihrer Ankunft bietet ihr die Gräfin, die in ihrem Schloss auf dem Hügel thront und der der halbe Ort gehört, eine Arbeit an. Es geht um das Loch, das riesige Loch, das die Statik von Groß-Einland untergräbt.

Ursprünglich wohl ein Bergwerk, später auch als Konzentrationslager genutzt, dehnt es sich unter dem Städtchen aus, lässt immer wieder und immer öfter Straßen und Häuser absacken, öffnet seinen Schlund und scheint den Ort verschlingen zu wollen. Doch die Bewohner ignorieren die Schäden und große Teile der Geschichte dieses Abgrunds. Das Leben geht weiter, keiner sieht so genau hin. Ruth beginnt nachzufragen und in den Archiven zu wühlen. Sie ist nicht nur den Geheimnissen des Lochs, sondern auch ihrer Familiengeschichte auf der Spur.

„Das flüssige Land“, der Debütroman der österreichischen Autorin Raphaela Edelbauer, steht auf der Longlist des deutschen und des österreichischen Buchpreises 2019. Literarisch zeigt er eine außergewöhnliche Qualität: Vielschichtig, mit unverbrauchten Bildern und Metaphern erzählt Raphaela Edelbauer eine Geschichte, in die man viel hinein- und aus der man viel herauslesen kann. Physik, Philosophie und Psychologie spielen ebenso eine Rolle wie Mystik, es geht um die Zerstörung der Natur, darum, wie man Macht erlangt und erhält, um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, um Wegsehen, Verdrängung und Schuld und noch um einiges mehr.

Das Ganze ist eingebettet in eine absurde, oft an Kafka erinnernde Geschichte, bei der man immer wieder den Kopf schüttelt oder die Menschen schütteln möchte, die vor allem die Augen verschließen, was ihre Ruhe stören könnte, auch wenn sie bei Straßen, die plötzlich einen halben Meter tiefer liegen schon längst gestört sein müsste. Die Zeit scheint manchmal stillzustehen, manchmal rast sie davon. Nicht nur Ruth verliert ihr Zeitgefühlt – ob es bei ihr der Tablettensucht geschuldet ist bleibt offen.

Wie so vieles offen bleibt in diesem Buch. Antworten findet man keine, aber interessante Fragen, Rätsel und Denkanstöße in einer geschliffenen Sprache. Leserinnen und Lesern, die sich darauf einlassen wollen, kann ich „Das flüssige Land“ sehr empfehlen. Mit diesem Roman können Sie eine spannende Reise in eine außergewöhnliche Welt antreten.

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Der plötzliche Unfalltod ihrer Eltern wirft Ruth Schwarz völlig aus der Bahn; als ihre Tante dann noch erwähnt, dass die Eltern aufgrund ihrer engen Beziehung zu Groß-Einland dort beerdigt werden sollten, ist sie völlig verwirrt. Was ist das für ein Ort, von dem sie nie etwas gehört hat? Die Wiener Physikerin macht sich auf in die Provinz und findet tatsächlich ein beschauliches Städtchen diesen Namens, das völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Eigentlich wollte sie nur kurz dort bleiben, aber ein seltsames Naturphänomen weckt ihre Neugier: Mitten im Ort befindet sich ein großes Loch, das den ganzen Lebensraum regelrecht aufzusaugen droht. Doch nicht nur dieses Loch und seine Geschichte ist höchst mysteriös, auch die Bewohner, allen voran die alles wissende und bestimmende Gräfin, lassen Ruth wundern und nicht mehr los. Aus der kurzen Visite wird plötzlich ein immer längerer Aufenthalt.

Raphaela Edelbauers Roman ist gleich für zwei Auszeichnungen nominiert, er steht sowohl auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis, wie auch auf jener für den Österreichischen Buchpreis 2019. Unweigerlich ist da die Neugier besonders groß, zwei Jurys können sich kaum irren. Was die Nominierung jedoch nicht verrät, ist, dass nicht jedes Buch zu jedem Leser passt und „Das flüssige Land“ setzt voraus, dass man das märchenhafte und fantastische Element entweder sowieso liebt oder großzügig darüber hinweglesen kann. Wer auf authentische Handlung steht, ist bei diesem Roman eher schlecht beraten.

So verlangte der Text mir auch einiges ab. Bisweilen hatte ich den Eindruck Mitten in „Alice im Wunderland“ gelandet zu sein. Das Raum-Zeit-Kontinuum scheint aufgehoben und das Figurenpersonal ist ein Sammelsurium von Kuriositäten, allen voran die Gräfin. Das hat einen gewissen Reiz, wird auch sprachlich ansprechend und überzeugend umgesetzt, entbehrt gleichermaßen aber jeden Realismus. Zwar wird die Handlung immer wieder historisch wie auch naturwissenschaftlich eingebettet, aber so ganz wurde ich den Eindruck der Fantasiewelt nicht los. Das Mysterium um das Loch bietet ein gewisses Spannungsmoment, wird aber etwas zu langatmig abgehandelt. Auch das Ende kann mich nur bedingt überzeugen, zu bemüht wird die Ordnung wieder hergestellt.

Man den Roman womöglich als Parabel lesen, die unter anderem Fragen nach dem menschlichen Umgang mit der Umwelt, nach ethischer Verantwortung und vermeintlichem kollektivem Gedächtnisverlust oder auch der fragwürdigen Gesellschaftsstruktur aufwirft. Vielleicht erfreut man sich auch einfach an der geradezu fabelhaften Welt mit ihren kuriosen Figuren. Literarisch so gar nicht meine Welt, weshalb mich der Roman nicht wirklich erreichen konnte. Gerettet hat ihn der Schreibstil, viele pointierte Zuspitzungen, die gekonnt formuliert sind und ein in sich stimmiges Szenario mit liebevoll gestalteten Figuren.

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Shortlisted for the German Book Prize 2019; Longlisted for the Austrian Book Prize 2019; Shortlisted for the Austrian Book Prize for a Debut Novel 2019

If the ground is literally shifting and about to collapse, what can a society do to survive on "the liquid land"? In her terrifying, kafkaesk tale, Raphaela Edelbauer tells the story of Ruth, a young physicist who, after the death of her parents, tries to find their home village where they wanted to be buried. When she arrives at the mysterious place, she learns that the whole village is about the vanish: Many years ago, a merciless entrepreneur tried to make a fortune in mining and had several tunnels and mine shafts built, which did not only cost many lives, but also destabilized the ground. And then there was a heinous war crime committed in 1945, the proof also hidden underground...

A dangerous hole threatening to swallow the whole population, sinking ground, crumbling buildings - the outside devastation and decay mirrors the collective psyche of the village (hello, The Fall of the House of Usher) which is ruled by a culture of ignorance, denial, tradition and strict obedience to the enigmatic countess who owns the whole area. And it also reflects the psyche of Ruth: Although the book is told in the third person, we perceive everything from her unreliable perspective. Ruth is constantly on prescription drugs, traumatized by the death of her parents, and struggling with her scientific studies - is the whole story really happening, or are we trapped inside Ruth's disintegrating mind?

Ruth's scientific area of interest is the nature of time, especially the block universe theory (which is a real thing) that describes space-time as an unchanging four-dimensional block, as opposed to the view of the world as a three-dimensional space modulated by the passage of time. In the context of the novel, this raises questions regarding the past and the future of the village and what is buried underground: The tunnel system is a place to hide unpleasant secrets, it stands for an attempt to exploit the earth, but it also erodes the foundation of village life. In the village, time is a shifting concept, and the inhabitants are trying to stop the erosion to survive - but to what end (hello, The Woman in the Dunes)?

The whole book is rendered in a detached, unemotional language, which contributes to the scary effect, but I have to admit that at times, it bothered me, because it tends to let the writing appear a little bloodless. Of course, the narrative impulse is interesting though: Much like the village, Ruth is crumbling, and she buries her emotions inside herself, where they rage under the composed words of the physicist. This is juxtaposed by some fairy tale-like vignettes that convey the past of the village, thus framing historic realities as myth (there are also other strategies to re-write the past employed by the villagers).

This novel offers numerous scenes, conversations and descriptions that scream for varied interpretations, and I recommend to read this book with friends, because I can report that trying to dissect this multi-layered narrative is great fun. Young Austrian novelists are currently dominating the game when it comes to innovative and daring texts written in German, and Edelbauer is one of them.

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Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine österreichische Gräfin, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht. In ihrem schwindelerregendem Debütroman geht Raphaela Edelbauer der verdrängten Geschichte auf den Grund.
Ruth will ihre Eltern in Groß-Einland beerdigen, der Ort, in dem sie auch geboren sind.
Zunächst gestaltet es sich schon schwierig, diesen Ort zu finden. Vieles kommt ihr dort zunächst seltsam vor, doch je länger sie bleibt, um so vertrauter wird ihr das Verhalten der Groß-Einländer.
Eine Geschichte, die für mich die Frage stellt: Wie gehen wir mit der Vergangenheit um?
Meiner Meinung nach ist dies ein Buch, das jede Menge Stoff für Diskussionen in Lesekreisen bietet.

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Verschüttet – Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land

Wenn morgen verkündet wird, wer in diesem Jahr den Deutschen Buchpreis erhält, dann könnte mit Raphaela Edelbauer eine Debütantin gewinnen. Zwei weitere Debütromane haben es auf die Shortlist geschafft. Wie bereits Miku Sophie Kühmels „Kintsugi“, das sich ebenfalls unter den letzten sechs befindet, hat mir auch „Das flüssige Land“ sehr gefallen. Dass ich fest mit Norbert Scheuer als Buchpreisgewinner rechne, ist dabei eher zweitrangig – außerdem ist die Jury ja immer für eine Überraschung gut. Edelbauer steht außerdem auch auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises (und Miku Sophie Kühmel erhält in diesem Jahr den aspekte Literaturpreis). Das dritte Debüt auf der deutschen Shortlist, Tonio Schachingers „Nicht wie ihr“ habe ich nicht gelesen.

Wieso also ist das Land, um das es hier geht, flüssig? Die junge Physikerin Ruth erhält zu Beginn des Romans einen Anruf, der alles verändert: Ihre Eltern sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ruth ist im Ausnahmezustand, weiß erst einmal nicht, wohin mit sich, setzt sich ins Auto und fährt los. Von ihrer Tante weiß sie, dass die Eltern unbedingt in Groß-Einland begraben werden wollten, einen Ort, den Ruth nicht kennt – und den sie zunächst auf keiner Karte finden kann und den niemand zu kennen scheint. Es ist ein Zufall, dass sie den Ort dann doch noch findet, als sie ein Gespräch mithört, in dem vom ihm die Rede ist.

Groß-Einland ist ein merkwürdiger Ort. Nicht nur befindet sich ein Loch mittendrin, ein Hohlraum, dem nicht beizukommen ist, den man nicht einfach zuschütten kann, der ein merkwürdiges Eigenleben zu führen scheint. Der das Land „verflüssigt“. Dieses Loch scheint auch eine Wirkung auf die Bewohner des Ortes zu haben. Sowieso sind sie allesamt ein bisschen seltsam, das bemerkt Ruth gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes dort. „Herrin“ des Ortes ist die Gräfin, die auf seltsame Art alle Fäden zusammenzuhalten scheint und die über alles, was in Groß-Einland geschieht, stets bestens informiert ist. Von ihr erfährt Ruth auch, dass ihre Eltern den Ort sehr regelmäßig besucht haben, ja, sie seien Freunde der Gräfin gewesen – von all dem hatte Ruth keine Ahnung.

Auch auf Ruth hat Groß-Einland eine merkwürdige Wirkung. Die Gräfin bietet ihr einen Job an, nebenbei könne sie an ihrer Habilitation weiter arbeiten. Als Physikerin müsse es doch ein Leichtes für sie sein, einen Weg zu finden, dem Loch endlich beizukommen – dass Ruths Forschungsgebiet ein anderes ist, wird dabei einfach ignoriert. Sowieso ignoriert man in Groß-Einland gern, was man nicht sehen oder hören möchte, was immer wieder zu merkwürdigen, durchaus humorigen Dialogen führt, in denen Ruths Gesprächspartner gern mal ziemlich schroff einfach stur an ihr vorbeireden.

Ruth beginnt zu recherchieren, nimmt täglich Akten mit nach Hause und stößt auf Ungereimtheiten, die mit der Geschichte Groß-Einlands und Ereignissen während des Nationalsozialismus zusammenhängen. Im Dorf wird das nicht gern gesehen, immer misstrauischer wird Ruth beäugt, Menschen, mit denen sie sich angefreundet hat, gehen auf Distanz. Derweil wird der Hohlraum unter dem Ort immer größer und bedroht die Statik des ganzen Dorfes.

„Das flüssige Land“ ist eine seltsame Mischung aus Fantasy, Distopie und einer Art Selbstfindungsroman. Eine Geschichte voller Symbolik: Wenn die Bewohner alles, was sie loswerden wollen, in das mysteriöse Loch schütten und die nationalsozialistische Vergangenheit stets über allem hängt, die man doch aber verdrängen und vergessen möchte, dann kann man das sicherlich als zu offensichtlich empfinden. Oder als stimmig in diesem so surreal wirkenden Roman. Dazu passt auch Edelbauers bildreiche Sprache, mit der sie eindrückliche, immer etwas merkwürdige Bilder malt.

„Die Couch sickerte trüb in die Wohnzimmerwand und hinein in die gräuliche Wolkenstimmung des Frühnachmittags.“ Kapitel 1

„Ich war schockiert über das Ausbluten dieses Monologs, der mir unmittelbar von den Lippen gelaufen war“. Kapitel 3

„Das flüssige Land“ ist ein seltsamer, oft unwirklicher Roman um eine Frau, die alles andere als surreal ist. Ein verwirrendes und fesselndes Buch, das den Platz auf der Shortlist verdient hat.

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Ruth Schwarz ist Physikerin – und zwar theoretische, wie sie immer wieder betont. Ihre Forschung bewegt sich jenseits der üblichen Vorstellungen, das Thema ihrer Doktorarbeit liest sich gar wie Science Fiction: sie beschäftigt sich mit dem Blockuniversum, einer alternativen Theorie über das Wesen der Zeit.

Ruth sitzt schon einige Jahre an ihrer Habilitation, als die Nachricht vom Unfalltod ihrer Eltern sie erreicht. Bei der Planung der Beerdigung stößt sie auf ein unerwartetes Hindernis: ihre Eltern wollten in Groß-Einland, ihrem Geburtsort, begraben werden – aber niemand weiß, wo der sich überhaupt befindet. Er wird in keinem Atlas, keinem Geschichtsbuch, keinem Artikel im Internet erwähnt, bei keinem Amt ist er gemeldet.

Wild entschlossen, diesen letzten Wunsch zu erfüllen, trägt Ruth akribisch alle Erinnerungen daran zusammen, was ihre Eltern jemals über den Ort oder ihre Kindheit gesagt haben. Schließlich fährt sie einfach los, mit Wahrscheinlichkeiten und Indizien anstatt Navi und Straßenkarte. Ihr Roadtrip wird zunehmend surreal, und dann ist es auf einmal da: Groß-Einland. Ein Ort wie aus dem Bilderbuch, mit einer Gräfin als Leitfigur einer Quasi-Aristokratie. Ruth ist gestrandet, aber verzaubert von der scheinbaren Idylle, fühlt sich zum ersten Mal in ihrem Leben heimisch – erst nach und nach enthüllt Groß-Einland ihr seine Geheimnisse.

Der ganze Ort ist untergraben von einem gigantischen Hohlraum und sackt jeden Tag ein paar Zentimeter mehr in den Abgrund. Doch es gibt auch menschliche Abgründe, die in der Zeit des Nationalsozialismus verwurzelt sind…

Raphaela Edelbauer erzählt ohne Zweifel eine vielschichtige, komplexe Geschichte. Die wird manchmal so surreal, geradezu grotesk, dass einem der Kopf schwirren kann, hat in meinen Augen die Nominierung für den Deutschen Buchpreis aber redlich verdient. Alleine schon durch unverbrauchte und tiefreichende Originalität – obwohl der Roman, wie ich anderen Rezensionen entnehme, durchaus polarisiert.

Schon nach den ersten Seiten war ich indes rettungslos gefangen. Verzaubert und bereit, erstmal alles hinzunehmen, so fantastisch es auch sein möge, ließ ich die Sprache auf mich wirken. Raphaela Edelbauer bedient sich ungeheuer redegewaltiger Sätze, findet grandiose Bilder und Metaphern und Wortneuschöpfungen, die die absonderliche Welt von Groß-Einland perfekt zum Leben erwecken.

Alles fließt und sickert und tropft und wabert – das flüssige Land eben.

Aber es ist nicht nur die Sprache, die Sogwirkung entfaltet.

Abstrakte Konzepte der Physik treffen hier auf Mystik und Philosophie, während Groß-Einland buchstäblich in einem Morast aus Schuld, Umweltzerstörung und Machtmissbrauch versinkt.

Aus diesem seltsamen Konglomerat entsteht das Psychogramm einer Kleinstadt, deren Bewohner bereit sind, bis zum bitteren Ende alles zu leugnen – in jedweder Hinsicht. Sie ignorieren das Loch, das ihre Stadt zu verschlingen droht, wie sie wohl auch das Konzentrationslager ignoriert haben, das sich ehedem unter Tage befand. Derweil arbeiten heimische Wissenschaftler heimlich daran, Produkte wie Coca-Cola zu kopieren, um den Einwohnern eine Verbindung zur Außenwelt vorzugaukeln, die nicht besteht.

Das ist Wahnsinn mit System.

Es funktioniert, weil der Status Quo in dieser Stadt heilig und unantastbar ist, mit Gräfin Knapp-Korb von Weidenheim als seiner Hohepriesterin. (Die Namen in diesem Roman sind wunderbar sprechend.)

Das alles würde absurd und lachhaft wirken, wenn es nicht dermaßen alptraumhaft wäre. So liest es sich jedoch über weite Strecken wie ein Fiebertraum, den auch Kafka niedergeschrieben haben könnte. Und das macht Spaß, irgendwie, während es den Leser zugleich mit in den Abgrund reißt.

Ruth findet ihr Glück, Ruth wird um dieses Glück wieder betrogen, Ruth muss hinabsteigen, buchstäblich und im übertragenen Sinne, in die Abgründe dieser Stadt. Und sich dann entscheiden, ob sie diese Stadt retten will, um welchen Preis. Eine sonderbare und dennoch in sich schlüssige Heldenreise.

Die Charaktere sind gnadenlos überzeichnet. Sie widersprechen sich, handeln unlogisch, werden auf Stereotypen reduziert, aber wie alles andere fügen sie sich nahtlos in diese verquere Welt. Die Gräfin zum Beispiel könnte der Herzkönigin die Hand reichen. Das passt, und deswegen wirken die Figuren meines Erachtens auch glaubhaft.

Zu guter Letzt:

Vieles bleibt offen, vieles muss man als Leser einfach hinnehmen, weil die Figuren es tun.

Raphaela Edelbauer zieht das durch bis zum kompromisslosen Ende, und es funktioniert, – wenn man sich darauf einlässt. Für mich ist „Das flüssige Land“ ein echtes Highlight, wenn nicht sogar DAS Jahreshighlight 2019.

Ist die Autorin wirklich erst 29?

Es muss wohl was dran sein an der Theorie des Blockuniversums, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft alle gleichzeitig existieren, denn das Buch hat eine alterslose Qualität. Es ist unterhaltsam, spannend und erschreckend, auf jeden Fall jedoch zum Nachdenken anregend.

FAZIT

Ruths Eltern sind gestorben und haben zu Lebzeiten verfügt, in ihrer Heimatstadt Groß-Einland begraben werden zu wollen. Nur hat anscheinend nie jemand von diesem Ort gehört und er ist nirgendwo verzeichnet. Ruth macht sich dennoch auf die Suche und spürt letztendlich eine kleine Stadt auf, die über einem enormem Hohlraum gebaut wurde und seit Jahren immer weiter in den Abgrund sinkt. Und in diesem Loch wurden anscheinend schon seit langer Zeit alle Schandtaten und Geheimnisse der Stadt versenkt…

Dieses Buch konnte mich mit seiner schieren Sprachgewalt und Originalität begeistern. Kafka trifft „Alice im Wunderland“ in einer Geschichte, die eine Vielzahl von Themen verbindet: die persönliche Schuld, das kollektive Wegsehen, die fehlgeleitete Sucht nach Harmonie – gewürzt mit schrägen Gestalten wie der falschen Gräfin Knapp-Korb von Weidenheim und kleinen Seitenhieben auf Heimatromane, wie eine 400-köpfige Blaskapelle.

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Ich bin so froh, dass dieses Buch für den Buchpreis nominiert wurde, sonst hätte ich es vielleicht nie entdeckt. Mit einer Handlung kann man „Das flüssige Land“ kaum beschreiben, die treibt besonders am Anfang nur so dahin. Als Ruths Eltern sterben, macht sie sich auf den Weg in deren Heimat, in das mystische Dorf Groß-Einland in den Bergen Österreichs. Als sie es zufällig findet, entdeckt sie die nette Dorfgemeinschaft mit den vielen Geheimnissen. Die Unehrlichkeit dieser Dorfbewohner ist genau das, was das Buch ausmacht. Es sind nicht mal reine Lügen, es ist ein Verdrängen, das schon über Jahrzehnte vor sich geht. Was passiert hier eigentlich? Warum ist da ein großes Loch unter dem Dorf, in dem nach und nach alles versinkt? Warum ignoriert es die Gemeinschaft? Was hat die autoritäre Gräfin damit zu tun? All das ist eigentlich egal. Auch Ruth verdrängt und lenkt sich ab, stürzt sich ins Vergessen und Aufklären gleichermaßen. Alles hier fließt, verändert sich und ist in Gefahr. Das gilt für die Natur, die Protagonistin und das Erinnern. „Das flüssige Land“ ist ein tolles Buch, auf das man sich einlassen muss. Ich mochte es sehr.

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“Das flüssige Land” von Raphaela Edelbauer ist ein faszinierender Roman.
Die Geschichte hat mich von der ersten Seite an überrascht und mitgerissen.
Eine interessante Protagonistin, eine merkwürdige Gemeinde und eine nicht einschätzbare Gräfin.
Das Debüt von Raphaela Edelbauer stand zurecht auf der Shortlist des deutschen Buchpreises 2019.

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