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Fliegende Hunde
Roman
von Wlada Kolosowa
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Erscheinungstermin 09.03.2018 | Archivierungsdatum N/A

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Zum Inhalt
»Russische Mädchen schlagen sich durch, verlieben sich und ekeln sich dabei. Ein freches, leidenschaftliches, kluges Buch.« Wladimir Kaminer
Oksana und Lena wachsen in einem tristen Vorort von St. Petersburg auf. Sie teilen alles: Träume, Sorgen, erste Berührungen – Nächte, die es nicht geben darf. Um ihnen zu entkommen, zieht Lena zum Modeln nach China, wo ihr Körper Fotografen, Agenten und schmierigen Kunden gehört. Oksana taucht immer tiefer in eine Online-Community ab, in der Magersüchtige die Belagerung von Leningrad nachahmen und Rezepte für Ledergürtelsuppe und Erdkaffee austauschen. Als Lena in den Ferien nach Hause kommt, müssen beide Entscheidungen treffen. Ein Roman über die Freundschaft und zarte Liebe zweier junger Frauen, die auf ihren unterschiedlichen Wegen ihr Glück und sich selbst suchen – und dabei zu Konkurrentinnen werden.
»Russische Mädchen schlagen sich durch, verlieben sich und ekeln sich dabei. Ein freches, leidenschaftliches, kluges Buch.« Wladimir Kaminer
Oksana und Lena wachsen in einem tristen Vorort von St...
Verfügbare Ausgaben
AUSGABE | Anderes Format |
ISBN | 9783961010066 |
PREIS | 20,00 € (EUR) |
SEITEN | 224 |
Auf NetGalley verfügbar
Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Oksana und Lena träumen von einer schönen, einer besseren Zukunft. Während Oksana in ihrem russischen Dorf zurückbleibt und ihre Schule weitermacht, geht für Lena ein Traum in Erfüllung. Sie darf als Model nach China reisen. Doch wieviel hat ihr Traum mit der Wirklichkeit zu tun?
Die Autorin lässt ihre beiden Protagonistinnen abwechselnd ihre Sicht der Dinge erzählen. Die Schilderungen von Oksana, was da auf dieser russischen "Diät-Seite" abging, waren hammerhart und schonungslos dargelegt. Das ist so abartig und dadurch, dass man den geschichtlichen Bezug auf die Blockade von Leningrad bekommt, wirkt das Geschehen doppelt schlimm. Mir war nicht bewusst, was da in den Kriegsjahren geschah! Warum man so ein schlimmes geschichtliches Ereignis als Vorlage für eine Diätidee nimmt, ist fast schon grausam. Durch Oksanas Recherchen bei Zeitzeugen, wurde dieses geschichtliche Ereignisse noch realer. Für Lena lief auch nicht alles so, wie sie es sich erträumte. Ich hatte bei ihr das Gefühl, dass sie gerne einen Schlussstrich ziehen wollte, sie sich aber nicht eingestehen konnte, dass ihr Traum nicht der Realität entspricht. Die Freundschaft der beiden wurde auf eine harte Probe gestellt.
Durch die kurzen Kapitel war das Buch sehr abwechslungsreich und ich fand es durchaus interessant zu lesen. Die Autorin hat einen sehr flüssigen und fesselnden Schreibstil, der das lesen leicht macht. Hier handelt es sich aber nicht um ein lustiges Unterhaltungsbuch, sondern es geht um sehr tiefgehende, ernste Themen. Das Buch wirkt definitiv noch nach!

Oksana und Lena kennen sich schon ewig. Sie wohnen Tür an Tür und selbst ihre Mütter kannten sich schon, bevor sie schwanger wurden. Die beiden besten Freundinnen sind sich selbst genug. Doch als Lena die Chance hat, als Model ein paar Monate in Shanghai zu verbringen, scheint Oksana schnell vergessen. Lena will raus: Raus aus dem Vorort, raus aus der Armut, einfach weg, am besten ohne einen Blick zurück. Und Oksana? Die hat Heimweh nach ihrer Freundin, schwankt zwischen Vermissen und Wut und flüchtet sich in ein Onlineforum, das eine seltsame wie gefährliche Diät zelebriert.
Ich war gleich drin in dieser Geschichte, die abwechselnd aus Oksanas und Lenas Perspektive erzählt wird. Wlada Kolosowa hat mich mit ihrer bildhaften Sprache, dem echt wirkenden Russland und den authentischen Charakteren direkt mitgenommen. Auch wenn Kolosowa in ihrem Roman viele Themen anspricht, verzettelt sie sich nicht. Magersucht, Freundschaft, Liebe, der Mut zu den eigenen Gefühlen und dem eigenen Körper zu stehen, Armut und Krieg. Auch wenn das eine gewagte Mischung zu sein scheint: Hier fügt sich alles zu einer absolut runden Geschichte zusammen.
Kolosowa schafft es, auch bei ernsten Themen den Witz nicht zu verlieren. Ob in der grauen Vorstadt, wo nur die Perspektive bleibt, so zu werden wie seine Eltern oder im fernen Shanghai, wo die Grenzen zwischen Modellleben und Prostitution viel zu fließend scheinen. Mit einem kleinen Satz, einer herzlichen Geste oder leiser Ironie scheint alles gleich viel weniger dramatisch. Aber auch in die andere Richtung wurde ich überrascht: Ein einfacher Supermarktbesuch bei den nicht viele Worte fallen und dann kommt plötzlich so ein Satz, der mir fast die Tränen in die Augen treibt.
„Schau mal, all die Hunde hier. Es gibt große und kleine, dürre und flauschige. Und jeder von ihnen hat jemanden, der ihn für den besten hält.“ Dann lief er schweigend zum Ausgang, unsichtbare Steinchen unter seinen Füßen wegkickend. - S. 85
Fliegende Hunde ist einfach ein rührendes Buch, das Lesern jeglichen Alters gut gefallen dürfte. Ich mochte es sehr und kann auch nach längerem Nachdenken nichts finden, was mich gestört hätte. Mal herzlich, mal ernst. Mal lustig und mal nachdenklich. Ein tolles Debüt, das unbedingt gelesen werden sollte!

Sehr beeindruckend: mit nur kleinen Abstrichen.
Zwei sechzehnjährige Mädchen in Krylatowo, einem sozial benachteiligten Stadtteil von Petersburg. Lena gelingt der Sprung über einen, in ihrer Schule veranstalteten Modelwettbewerb nach Shangai, Oksana, neidisch, bleibt zu Hause und findet sich dick.
Wlada Kolosowa schreibt einen bittersüßen Roman über eine Mädchenfreundschaft, über eine tiefe Beziehung, die am Ende scheitert. Die beiden Personen sind fein und süß gezeichnet, filigran fast, aber keine Spur süßlich. Der Roman hat mir sehr gut gefallen! Die Figuren sind authentisch und wunderbar entwickelt.
Die Tätigkeiten, Gedanken und Erlebnisse der Mädchen sind witzig und tragisch. Jede kämpft in ihrer Welt mit Entfremdung, Identitätsfindung und Heimweh nach der anderen. Über den Kontrast von Oksanas Figurproblemen zur Leningrader Hungersnot durch Belagerung im Zweiten Weltkrieg, eine intelligente feine Nebenlinie, muss man einfach schmunzeln, trotz aller Tragik.
Wlada Kolosowa, geboren 1987 in Petersburg, erzählt leicht wie eine Feder, die Lektüre macht sehr viel Spaß, sie ist voller schöner Metaphern und Vergleiche. Denn die Autorin kann ganz wunderbar mit Sprache umgehen, ein vielversprechendes Talent! Bis ungefähr Seite 185 gab es nicht ein Jota an dem Roman auszusetzen.
Danach ist der Roman immer noch schön, fällt aber ein wenig ab, nicht viel, aber doch, weil die Autorin einem Anfängerfehler erliegt und des Guten zuviel tut. Manchmal genügt es, zu sagen: es schneit. Man braucht für das Selbstverständlichste keinen Vergleich. Und in der Einfachheit liegt auch Schönheit.
Die verwendeten Bilder und Beobachtungen stimmen aber immer noch und sind immer noch schön. Bis auf eines, ich zitiere: „Oksanas Gehirn lief immer weiter heiß, ohne dass sie es bremsen konnte“. Bitte nicht so was!! Solchen Müll brauchen wir nicht in einem sonst so tollen und kunstfertigen Roman.
Leider kann es sich die Autorin nicht verkneifen, hintenraus zu viel Gewicht auf die Leningrader Katastrophe zu legen. Auch hier wäre weniger mehr gewesen. Ich war drauf und dran, mich mehr für dieses historische „Detail“ zu interessieren, bekam dann aber deutlich zu viel Information. Anfüttern ist gut, Belehrung und Draufrumreiten ist schlecht. Auch im Hinblick auf die sozialen Netzwerke, in denen sich eins von den beiden Mädchen verfangen hat, hätte man das überdeutlich Belehrende hintenraus nicht gebraucht, wodurch der Witz und die Spritzigkeit des Romans gelitten haben, man hätte auch ohne erhobenen Zeigefinger verstanden!
Fazit: Insgesamt ein beeindruckendes Debüt einer vielversprechenden Autorin, die innovativ mit Sprache umgeht, sie dabei aber nicht verhunzt wie manch anderer Jungautor. Der Leser sollte Wlada Kolosowa im Auge behalten, sie könnte Preise gewinnen!
Kategorie: Gehobene Literatur
Verlag: Ullstein, 2018

In diesem Roman begleitet man die beiden russischen Mädchen Oksana und Lena - 16 Jahre alt - und beste Freundinnen auf einen kleine Weg zum Erwachsen werden. Lena wird Model und geht nach China - sie berichtet über ihre Erlebnisse und Gedanken. Oksana bleibt im Ort Krylatowa und beschäftigt sich mit abstrusen Diäten.
Abwechselnd berichten die beiden Protagonistinnen über ihre Erlebnisse. interessant, atmosphärisch und angenehm zu lesen.

Dies ist ein Buch über eine Freundschaft. Dies ist ein Buch über die Liebe. Dies ist ein Buch, über das, was passierte als die Grenzen verschwammen.
Der liebevolle Blick der Autorin, Wlada Kolosowa, die mit 12 Jahren aus St. Petersburg nach Cottbus kam, und 12 Jahre später mit den Augen einer deutschen Touristin von Couch zu Couch surfte, auf das Heimatland ihrer Familie, macht die Geschichte so berührend. Ihre damalige Reise hat sie in „Russland To Go – Eine ungeübte Russin auf Reisen“ verarbeitet, das 2012 erschien. Wie sich das Leben junger Russen jenseits der mondänen und hippen Hotspots wie St. Petersburg und Moskau anfühlt, hat sie sehr eindrucksvoll in ihrem Debut dem Coming-of-age Roman Fliegende Hunde dargestellt.
Lena und Oxana, beide 16, leben seit ihrer Geburt Wand an Wand in dem fiktiven St. Petersburger Vorort, Krytylowa, eine Trabantenstadt, die es an Tristesse mit jeder Hochhaussiedlung von Paris oder Hamburg aufnehmen kann. Bröckelige Betonwüsten, aufgestapelte Quader, Pioniertaten der egalitären Sowjetarchitekten, davor heruntergekommenen Spielplätze, von deren Geräten die Farbe wie billiger Nagellack abplatzt, auf den Bänken je nach Tageszeit jungen Müttern, alten Omis oder notorische Freilufttrinker.
Diese Freundschaft, die ihnen in die Wiege gelegt worden zu sein scheint, bindet sie aneinander, so dass die Außenwelt, die Eine nicht ohne die Andere denken kann. Von diesem Gefühl der Einheit, bei der sie gemeinsam im Jungmädchenbett liegen und an Fenster fliegende Hunde beobachten, zum Einssein sind es nur wenige Zentimeter gewanderter Fingerspitzen unter der Bettdecke. Das kann die Einzelne stärken, oder so sehr verwirren, dass sie flieht.
Und Lena, die lange Dünne, die hier alle Jungs abfällig nur Rechen nennen, die mit ihren straßenköterblonden Haaren und den Glubschaugen, noch immer ungeküsst ist, und deren Schulnoten eher mittelprächtig sind als das sie ihr Ticket für eine bessere Zukunft sein könnten, befreit sich aus der Symbiose.
Sie nutzt die Chance, das Versprechen einer Modelkarriere auf dem großen aufstrebenden Markt im Land des Mitte, wo groß, fettlos und mitteleuropäisch noch gefragt ist. Lena zerschneidet die Nabelschnur, bringt über 9000 km zwischen sie beide. Sie lässt Oxana zurück mit der gemeinsamen Vergangenheit und macht sich auf in die Zukunft, die für sie in Shanghai liegen soll.
Als sie sich dann einfach nicht bei der Freundin meldet, füllt Oxana, den Hunger nach Nähe, nach Lena, mit der Mitgliedschaft in einem perversen Internetforum, über das sie bei ihrer Recherche für eine Schularbeit gestoßen ist. In diesem Geheimbund versuchen junge, namenlose Russinen die ultimative Magerkeit durch die minimale Kalorienmenge, die den Einwohner St. Petersburgs, damals noch Leningrad, während der Blockade der Stadt vom September 1941 bis zum Januar 1944 zur Verfügung stand, zu erreichen. Damals verloren etwa 1,1 Mio. Zivilisten ihr Leben, Die meisten von ihnen verhungerten.
Qxana wird durch ihr Geschichtswissen zur Blockade und die eingestellten Rezepte der dementen Großmutter Lenas, die die Blockade dank Ledersuppe mit Nelkenbeigabe und Kleisterbuletten überlebt hat, zur mit Likes und Herzchen dekorierten Koryphäe, ein "hot ranked member" der bizaren Leningraddiät. Und dass, obwohl sie beim von der Handycamera aufgenommenen und zur Massenkritik durch die Kampfdiätlerinnen freigegebenen Wiegen und Speckfalten Messen genau so mogelt wie beim Hungern.
Als nach Wochen des Wartens endlich eine Mail bekommt, ist es als hätte ihr eine Fremde geschrieben, nichts als klischeehafte Beschreibungen eines Vogue-Model-Lifestyles. Das die weder etwas mit Lenas realen Leben in ihrer restlos überbelegten Model-WG in Shanghai, zwischen stinkenden chinesischen Instanttütensuppen, entmenschlichten Anziehpuppenjobs in wenig glamourösen Lagehallen und einem übergriffigen Betreuer. Das um 9 das Licht ausgeht wie in einem Mädchenpensionat in den 50ern, dass der chinesische Markt schon nicht mehr schreit nach russischen Gesichtern, dass die Alternative, der ungefragten Mädchen das Abendprogramm mit ältlichen Herren ist, schreibt sie nicht.
Lena wählt das Alternativprogramm in Form eines ältlichen Fotografen, Rafik, mit dem sie relativ erfolgreich ihren Körper gegen bessere Jobs tauscht, statt Sommerkleidchenphotos in eisiger Kälte, lebendige Attraktion zum Anfassen für Jedermann in einem Freizeitpark, win-win würde sie sagen.
Nach drei Monaten Trennung kehrt Lena zurück, zwischen Fremdeln und Freude schwankend, kommt es an ihrer gemeinsamen Geburtstagsfeier zu unerwarteten Erkenntnissen.
Kolosowa ist mit ihrem Debut eine spitzzüngige, pointierte Darstellung des Alltags weiblicher, russischer Teenager am Rande der großen Stadt gelungen, die sich, wer hätte das gedacht, essentiell wenig unterscheidet von der in anderen großstädtischen Randgebieten dieser Welt, genau so wenig, wie das Thema Frauenfreundschaft literarisch unberührt ist und doch gelingt es ihr, dem Kanon etwas Neues, Lesenswertes hinzuzufügen. Sie bleibt nah bei ihren Figuren und stellt sie trotz schonungslosem Blick auf die Realität, der sich nie als Anklage liest, nicht bloß. Ein lesenswerter Roman.

Eine Freundschaft
Oksana und Lena sind Freundinnen, wie sie im Buche stehen. Sie wohnen in demselben Haus, haben ihre Zimmer Wand an Wand. Beide sind gleich alt, haben von klein auf alles zusammen erlebt, auch weil ihre Familien vieles zusammen unternommen haben und sei es nur rauchend im Zimmer zu sitzen und zu quatschen. Doch das ist nur die Ausgangslage, an der die Autorin sich entlang hangelt, um zu definieren, was es heutzutage ausmacht in Russland, speziell hier im St.Petersburger Umland aufzuwachsen, vielleicht nie aus diesem Leben heraus zu kommen, sich damit abfinden zu müssen, ein Leben zu leben, wie es schon die Eltern gemacht haben. Dazu mischt die Autorin noch einiges mehr mit ein. Die Belagerung in Stalingrad ist ein Thema, was sie anhand Oksana definiert, die für sich eine Art „Diät“- Seite im Internet aufsucht, die die Blockade während der Belagerung durch die deutsche Wehrmacht zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges zum Thema hat. Damit will sie zum einen abnehmen (gruselige Vorstellung), was sie natürlich nicht schafft und zum anderen will sie damit den Verlust von Lena verarbeiten, die es nach Shanghai verschlägt, wo sie für eine Modelagentur angeheuert wurde. So wird anhand des Buches aufgezeigt, wie sich diese enge Freundschaft durch die Teilung weiterentwickelt und wie ganz nebenbei kommen Themen zur Ausnutzung, Abgrenzung, Vergangenheitstrauma, Kriegserfahrungen und einiges mehr zum Vorschein. Das auf knapp über 200 Seiten zu verdichten und dabei den Blick nie von den zwei Mädchen zu lassen ist in meinen Augen stark gemacht, auch wenn man für manche Dinge einen starken Magen braucht (Stichwort: Belagerungsdiät). Es Literatur von einer Autorin, die den Blick in Richtung Osteuropa lenkt und auf die man auch in Zukunft achten sollte. Ein starkes Debüt.
Wie siamesische Zwillinge, plötzlich getrennt
Lena und Oksana verbringen viel Zeit miteinander. Wenn sie sich in ihren Zimmern gegenseitig besuchen und auch da übernachten, kann der Eindruck entstehen, dass sie wie siamesische Zwillinge sind, die nichts und niemand trennen kann. Da entwickeln die Hände ein Eigenleben und erkunden den Körper der anderen. Ein gefährliches Spiel, von dem niemand etwas erfahren darf, gerade in einem Land wie Russland. Doch beiden gefällt es irgendwie und sie wollen auch mehr. Doch diese Entwicklung wird von außen abrupt unterbrochen als Lena überraschend von einer Modelagentur entdeckt wird, da genau ihr Typ in Shanghai gefragt ist. Blass, dünn, groß, osteuropäisch, all diese Attribute werden dort verlangt. Lena nutzt die Chance, um aus dem Kaff zu entkommen, welches im Umland von St. Petersburg liegt.
Durch diese abrupte Trennung ist Oksana völlig desorientiert. Sie, die immer die dickere der beiden war, die zwar gute Noten in der Schule hat, aber sonst nie beachtet wurde. Sie sucht sich ein Ventil im Internet und findet es auf einem Forum, die eine abartige Version einer Diät verbreitet, die mit der Belagerung von Stalingrad im Zusammenhang steht. Oksana tarnt das Ganze als Schulreferat und versucht sich in den Rezepten der Belagerungszeit, als die Menschen Dinge essen mussten, die man unter normalen Umständen nicht mal in Richtung Mund führen würde. Erst ist sie skeptisch, doch mit jedem Like und jedem Herzchen für ihre Beiträge wächst das Selbstvertrauen. Dass sie es bei der Diät nicht so genau nimmt ist dabei geschenkt. Doch als ein Forumsmitglied auf tragische Weise stirbt und Oksana sich die Schuld dafür gibt, setzt ein Umdenken ein und sie kommt wieder an die Realität. Doch erst die Erzählungen von Lenas Oma, von der sich Oksana ebenfalls Informationen über die Belagerung holte, bringen sie erst richtig auf den Boden zurück. Während dieser ganzen Zeit wartet sie vergeblich auf Nachrichten von Lena.
Unterdessen richtet sich Lena in ihrem eher erbärmlichen Leben in Shanghai ein. Sie wird in einer Bruchbude untergebracht, in der noch 5 andere Mädchen und Frauen leben, die von derselben Agentur angeboten werden. Das Leben besteht daraus, zu Castings zu fahren, dort versuchen so gut wie möglich auszusehen, damit man angenommen wird. Denn der Druck ist groß, die Vorschüsse durch die Agentur müssen herein gearbeitet werden und dabei spielt nicht nur das Modeln eine Rolle. Auch andere Dinge aus dem horizontalen Gebiet dienen dazu, Geld an Land zu holen, welches die Mädchen nach Hause zu ihren Familien schicken. Dabei ist die Zeitspanne, in denen ihr Typ gefragt ist, sehr eng gespannt und richtig berühmt wird wohl keine von ihnen. Und doch gefällt Lena dieses relativ trostlose und erbärmliche Leben, da es einen Gegensatz zu ihrem Leben bei St. Petersburg bietet. Sie entkommt der Tristesse und erlebt dabei unzählige Abenteuer. Das sie dabei kaum an Oksana denkt geschieht dabei fast beiläufig und es tut ihr noch nicht einmal weh. Lediglich kurze, stakkatohafte Nachrichten sendet sie ihrer ehemaligen besten Freundin. Wie zerrüttet das Verhältnis der beiden ist, zeigt sich, als Lena über Weihnachten für einige Tage nach Hause zurückkehrt.
Russische Befindlichkeiten? Kriegsgeschichte? Ein Buch über das zunehmende Zerbersten einer Freundschaft?
Es ist alles, aber so gut durchmengt, dass es nicht zu viel wird. Zum einen wird die Freundschaft beziehungsweise das Auseinanderdriften von dieser zelebriert. Oksana lenkt sich mit der genannten Diät ab und so kommt der Zweite Weltkrieg ins Spiel mit der Belagerung Stalingrads, was sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit zu heftigen Szenen führt, die einigen auf den Magen schlagen dürften und auch ich musste bei einigen Szenen mächtig schlucken, da sie sehr realistisch beschrieben waren.
Die zeitgenössischen, russischen Befindlichkeiten stehen da etwas hinten an und werden vielmehr über Lena definiert, die ihre Heimat während ihrer Abwesenheit stärker in den Geist dringen lässt. Wobei sie immer mehr zu dem Schluss kommt, dass, wenn sie schon zwischen zwei negativen Übel wählen muss, sich für das weniger Schlimme entscheidet. Als Außenstehender schwer zu fassen, denn was Lena in Shanghai durchmacht, ist bar jeder Geschmacksgrenze. Da geht es nicht nur ums Modeln, sondern auch um hostessähnliche Dienste, mit denen sich die jungen Frauen Extragagen oder lohnenswerte Jobs angeln.
Beide Hauptfiguren sind also extrem verunsichert. Zum einen Lena, weil sie sich in einer neuen Umgebung und neuen Gesetzmäßigkeiten auseinandersetzen muss. Aus der Tristesse des Dorfes ausgebrochen, erlebt sie die Großstadt wie im Rausch und weiß zu Beginn nicht, wie sich geben soll und ist entsprechend schüchtern. Doch das legt sie mit der Zeit immer mehr ab. Oksana als Daheimgebliebene jedoch nicht. Das alles fängt die Autorin in ihrem Debütroman mit einer unaufgeregten und doch interessanten Sprache ein. Die gewählten Wörter und der ihnen eingepflanzte Ton spiegeln die Unsicherheiten beider Hauptfiguren sehr schön wieder. Wir lernen darüber das Innenleben von Oksana und Lena sehr gut kennen, was sie bewegt und was sie über die jeweils andere denken. Die Autorin konnte mich damit vollauf begeistern und man merkt, dass sie sich tief mit den Gefühlen ihrer Figuren beschäftigt hat.
Die Kehrseite dieser Geschichte ist das Thema der Belagerung Stalingrads und wie die Autorin dies in der Geschichte unterbringt. Wie bereits angedeutet, sucht sich Oksana eine Art Ersatz für Lena, damit sie die Leere während ihrer Abwesenheit füllen kann. Ein Schulreferat über die Zeit der Belagerung und eine rundlichere Figur lassen Oksana in ein Forum eintreten, die sich „Speisepläne“ austauschen, wie sie zur Zeit der Belagerung vorhanden waren, insbesondere im Winter. Das es Oksana mit der Diät nicht ganz ernst ist, wird immer wieder eingestreut und als sie mit Lenas Oma, die nebenan wohnt, über diese Zeit austauschen will, werden ihr die grausamsten Details der Wintermonate nicht erspart und Oksanas Pläne verpuffen zusehends. Ein schlechtes Gewissen bleibt, auch beim Lesen dieser Passagen. Was treibt Mädchen zu solch obskuren Machenschaften? Gibt es solche frei zugänglichen Seiten wirklich? Und warum um alles in der Welt, löffelt man sich so etwas freiwillig hinein? Die schrecklichsten Momente in Oksanas Passagen sind die, wenn sie Lenas Oma nach Erfahrungen befragt und was sie dann erzählt ist kaum auszuhalten.
Zum Glück für uns Leser erzählt Wlada immer in wechselnder Perspektive aus Oksanas und Lenas Sicht, so dass einem beim Lesen Lenas Passagen weniger schlimm vorkommen. Dabei bekommt man im Verlauf der Geschichte immer mehr auseinanderdriftende Erzählstimmen geliefert. Wie bereits angedeutet weicht Lenas Unsicherheit einer gewissen Professionalität, mit der sie ihrer Situation begegnet, während die zurückgebliebene Oksana immer mehr in das Leben rutscht, welches Lena durch ihre Abwesenheit und Erfahrungen, die sie währenddessen macht, immer mehr verabscheut. Kann unter diesen Voraussetzungen die Freundschaft zwischen Lena und Oksana noch bestehen? Dieser Frage sollte man unbedingt nachgehen und bekommt einen eindrücklichen Roman geboten, der zeitgenössische Themen anreißt, aber auch zeitlose Beschreibungen einflechtet. Es ist nicht unbedingt leichte Kost, die man da zu lesen bekommt und man sollte das Buch öfter mal aus der Hand legen. Doch im Endeffekt ist es eine Lektüre, die zum Nachdenken anregt und welche sich in den Kopf pflanzt, was ich vor und auch während dem Lesen nicht so erwartet hätte.