„Ich habe dir Augen gegeben, und du blicktest in die Finsternis“ ist nicht nur ein Buch, sondern eine Beschwörung. Ein Zauber der Zeit und der weiblichen Erinnerung, der mich zutiefst bewegt hat. Wenn das andere Buch der Autorin „Singe ich, tanzen die Berge “ ein polyphoner Chor der Natur und der Lebewesen war, so ist die Stimme hier tiefer, viszeraler, wie ein tiefes Murmeln, das aus dem Boden eines mythologischen Kataloniens aufsteigt. Beim Lesen dieses Romans hatte ich das Gefühl, einen heiligen, fast verbotenen Raum zu betreten, in dem Frauen nicht nur Figuren, sondern ursprüngliche Elemente sind. Joana, Bernadeta, Margarida und die anderen, von Generation zu Generation, leben nicht nur in der Geschichte, sie leben in mir, mit Körpern aus Fleisch und Sehnsucht, mit zerrissenen Leben und unerfüllten Wünschen, in einem endlosen Pakt mit der Vergangenheit und dem Leiden.
Der Pakt mit dem Teufel in diesem Buch handelt nicht von schwarzer Magie. Es geht um Verzweiflung, darum, wie weit eine Frau geht, um Spuren in der Welt zu hinterlassen, um Kinder zu gebären, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Das Haus Clavell wird so zu einem Mutterleib und einem Grab, einem Raum, der von Stille und Echos, fehlenden Augenbrauen und von Schuld gezeichneten Herzen verflucht ist. Die Prosa von Irena Solà ist hypnotisch, manchmal geradezu schwindelerregend. Sie ist so dicht lyrisch, dass man beim Lesen innehalten muss, um Luft zu holen. Was mich jedoch am meisten beeindruckt hat, ist, wie sie es schafft, das Groteske in Poesie zu verwandeln. Der fehlende Finger, die ungeborenen Kinder, die deformierten Wesen – all das ist in ihrer Hand nicht mehr nur Entsetzen.
Ein Roman darüber, was wir zurücklassen und was bleibt, ob wir es wollen oder nicht. Abschließend möchte ich nur noch Folgendes sagen: Wenn „Singe ich, tanzen die Berge“ das Lied des Lebens war, dann ist „Ich habe dir Augen gegeben, und du blicktest in die Finsternis“ das Gebet des Todes. Beide sind gleichermaßen notwendig.