Zornfried

Roman

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Erscheinungstermin 28.02.2019 | Archivierungsdatum 02.05.2019

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Zum Inhalt

Tief im Spessart liegt die Burg Zornfried. Dort versammeln sich die Vordenker einer Neuen Rechten: ein Dichter, dessen Texte von Blut und Weihe triefen, ein völkisch philosophierender Waldgänger, ein Filmemacher, der sich als böses Genie inszeniert, und eine Gruppe kämpferischer junger Männer. Von der Aussicht auf eine spektakuläre Reportage werden jedoch auch immer wieder Journalisten angelockt – die sich bisweilen gefährlich weit auf das Spiel der Burgbewohner einlassen. Jan Brock ist freier Reporter und schreibt für das Feuilleton der Frankfurter Nachrichten. Er sieht sich als Rebellen, kennt aber im Grunde nur ein Prinzip: Was es gibt, darüber muss man schreiben. Im Internet stößt er auf die schwülstigen Texte des rechten Dichters Storm Linné, die ihn gleichzeitig abstoßen und faszinieren. Als er erfährt, dass Linné mit anderen Vordenkern der Neuen Rechten auf einem tief im Wald verborgenen Rittergut names Zornfried lebt, macht er sich auf zu einer Reportagereise. Doch zwischen Schrumpfköpfen, Militariasammlungen, Kampfübungen, weihevollen Tafelrunden und Predigten über die Hierarchien des artenreinen deutschen Waldes verwischen zunehmend die Grenzen zwischen teilnehmender Beobachtung und beobachtender Teilnahme. Jörg-Uwe Albig legt eine Satire über die neurechten Bewegungen unserer Gegenwart vor – und über die Medien, die deren Treiben mit sensationsfreudigem Eifer begleiten.

Tief im Spessart liegt die Burg Zornfried. Dort versammeln sich die Vordenker einer Neuen Rechten: ein Dichter, dessen Texte von Blut und Weihe triefen, ein völkisch philosophierender Waldgänger, ein...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783608964257
PREIS 20,00 € (EUR)

Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

"Zornfried" ist eine Satire auf die Neue Rechte, aber auch auf den hilflosen Umgang von Medien und Gesellschaft mit "besorgten Bürgern", deren "Sorgen man ernst nehmen" muss (Spoiler alert: Vielleicht muss man so manchen Schwachsinn nicht ernst nehmen, sondern einfach mit Hilfe von Fakten als Schwachsinn diskreditieren). Auf der Burg (denn wo kann man sich besser vor der Welt verschanzen?) "Zornfried" im Spessart serviert Hartmut Freiherr von Schierling so manchen Becher mit Gift, allerdings im übertragenen Sinne: Radikale Abendgesellschaften diskutieren die Zukunft Deutschlands, junge Rechte leisten bizarre Wehrübungen und der von seinen linken Eltern oh-so-schlimm traumatisierte rechte Lyriker Storm Linné dichtet Blut-und-Boden-Verse, die seinen Jüngern (see what I did there? :-)) die Tränen in die Augen treiben. Die Lyrik von Linné wird vom Journalisten Jan Brock entdeckt, und dessen Verriss in einer Zeitung führt dazu, dass weitere Medien auf den Zug aufspringen und Linné unterm Strich mehr Aufmerksamkeit und Zuspruch im Netz erhält. Als Brock zur Recherche nach "Zornfried" reist und es bald mit einer Konkurrentin, die natürlich eine noch bessere Story zusammenzimmern will, zu tun bekommt, geraten die beiden in einen Wettstreit um den Zugang zu Informationen und damit die Gunst des Burgherrn - wie weit werden die beiden gehen, wie werden sie am Ende über "Zornfried" berichten?

Albig schafft es, die Faszination zu beschreiben, die das rechte Weltbild auf seine Anhänger ausübt, und sich dabei gleichzeitig darüber lustig zu machen: Da ist der romantische, wilde Wald (ein Ort, an dem Storm Linné in nahezu hysterischer Überhöhung Inspiration sucht) und der Schlossgarten, der natürliche Zutaten für die lokal produzierten Gerichte liefert (die Speisekarte auf "Zornfried" ist der eines ökologischen Hipster-Restaurants nicht unähnlich); da sind die zahlreichen, bizarr benannten Säle in der riesigen Burg; die archaisch-männlichen (und damit tendenziell lächerlichen) Bruderschaftsrituale der Nachwuchsorganisation; und da sind natürlich die martialischen Verse Linnés. Besonders bezeichnend schien mir auch eine Szene, in der Linke sich zur Gegendemo vor der Burg einfinden, während die rechte Gesellschaft auf den Zinnen steht, Sekt mit Erdbeeren schlürft und hinunter ruft: "Ihr seid so hässlich" - das hätte so auch in einem Roman von Christian Kracht vorkommen können.

Zudem wimmelt der Text von Anspielungen: Da wird der Mephisto-Walzer gespielt, es werden blassgrüne Pillen geschluckt, auffällig viele Personen sind rothaarig und Brock denkt an das House of Usher (das schon bei Poe als Symbol für Wahnsinn gelesen werden kann). Und hier hören die Bezüge nicht auf: Während sich Albig für die Gedichte Linnés (35 davon finden sich im Buch) von Dichtern der 20er und 30er Jahre sowie Stefan George inspirieren ließ, erinnert der Burgherr natürlich stark an den rechten Verleger und Vordenker Götz Kubitschek, der mit seiner Frau und sieben Kindern auf dem Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt lebt.

Zwar hätte ich mir oft gewünscht, dass Albig weiter gegangen wäre, den Konflikt zwischen den Journalisten breiter ausgespielt und seine Handlung ausgebaut hätte - häufig wirkt der Text wie eine Aneinanderreihung von Ideen und Motiven -, aber insgesamt ist dies ein lesenswertes Buch, da es sich nicht in platten Gags verliert und insbesondere auch Dynamiken von Aufmerksamkeit, Eitelkeit und Verführbarkeit hinterfragt.

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Faszinierend verstörend

Unangenehm, ein bisschen sperrig, gespickt von trutzig-teutonischer Lyrik, verwirrend und für mich nicht durchgängig witzig ist die Satire „Zornfried“ von Jörg-Uwe Albig über den Journalisten Jan Bröck, der sich bei Recherchen zum Dichterfürsten Storm-Linné der Neuen Rechten zu verlieren droht.
Nichts der im Buch erdachten Orte und Personen ist real, man könnte beim Lesen des Namens Zornfried mit seinem Burgherrn von Schierling zwar an Götz Kubitschek und das Rittergut Schnellroda denken. Doch vermutlich ist sowohl Burgname ein spielerischer Hinweis ebenso wie der Dichtername Storm Linné, zusammengesetzt aus Theodor Storm und Carl von Linné, dem aus Schweden stammenden Begründer der Klassifizierung von Pflanzen, was nach Aussage des Autors Albig irgendwie zur Rechten passen würde - Einteilung, Klassifizierung in Rassen. Namentlich ebenso symbolträchtig erscheint mir Freiherr von Schierling, Burgherr von Zornfried, namensgebend hier die giftigste Pflanze Deutschlands und alte Tötungsmethode - der Schierlingsbecher. Dazu gesellen sich mit Freya, Burglinde oder Teutonia als austauschbare Töchter von Schierlings und seiner Ehefrau Brigitte.
Ergänzt wird die illustre Gesellschaft von Computer-verspeckten Möchtegern-Kämpfern, die im Burghof brüllen und sich schlagen, sich bei einer Antifa-Demo vor den Mauern der Burg gemeinsam mit den Burgbewohnern und reichlich Sekt auf dem Burgturm verschanzen, fröhlich ihre Unerreichbarkeit als Sieg feiernd, von Juristen, Studienräten, Burschenschaftlern, und böse-genialen Filmemachern die sich regelmäßig zur Tafelrunde und Gedichtrezitation Storm-Linnés versammeln.
Dazwischen bewegen sich der Journalist Jan Brock und die Journalistin Jenny Zerwien von der Konkurrenz auf ihrer Reportagereise wie zwei Fremdkörper inmitten all des Deutschtums, beide Gefahr laufend, die Orientierung zu verlieren inmitten all der Teutonik, abstoßend und zugleich faszinierend weihevollen Waldgängen, Kampfesproben. Für Jan Brock drohen sich die Grenzen zwischen Beobachtung aus Abstand und dem Willen nach Teilnahme und Zugehörigkeit zu verwischen, doch in seinem allabendlichen Rückweg zum Gasthaus im nahegelegenen Wuthen verschafft er sich mit (ebenso erdachter) Musik von Shit Tsunami oder Braineaters wieder seine Erdung.
Mehrere Tage begleitet Brock als freier Journalist den Burgherrn von Schierling auf dessen Einladung, nachdem er einen kruden Verriss der Lyrik von Storm-Linné verfasste, um einen intensiveren Eindruck vom schwülstig teutonisch-weihevollen Dichter Storm Linné zu erhaschen, mit angeborener Neugier und getreu seinem Motto, dass man über alles, was es gibt, schreiben muss, getreu seinen Vorbildern im Gonzo-Journalismus, die mit Rockern kifften und prügelten, um über sie zu berichten. Im Geiste ein solcher Rebell stolpert er dennoch in die Fallstricke, die seit Jahren von der Rechten ausgelegt werden, nämlich Publicity um jeden Preis zu bekommen. Er beginnt an den rechten Ritualen teilzunehmen, unbemerkt nickend, auf dem Burgturm heimlich am Sekt nippend, immer in der Hoffnung, dass es nicht gesehen und bemerkt wird...und er verschafft den Rechtsintelektuellen Vordenkern zumindest zeitweise genau das, was sie wollen.


Richtig unheimlich und gruselig, markig-romantisch und erdig-blutig ist die kleingeschriebene Lyrik, die Jörg-Uwe Albig für den Roman schuf:

„Und wenn auch brunst-geschmeiß und vieh die kirchen fluten
Wenn hass aufs eigne schrill von den altären klingt
Wenn üble priester mann und mann vermählen
Und grauser chor der massen herrschaft singt
So bleibt uns doch der größte dom von allen
Wo wahrhaft frommer sang durch kuppeln hallt
Wo licht durch säulen bricht und grüne ornamente
So bleibt uns doch der ewig deutsche wald“

Zum Glück umgibt diese mystifizierenden Gedichte mit perfektem Versmaß und Rhythmus eine bitterböse Satire, andernfalls könnten sie durchaus aus der Ultra-rechten Ecke stammen.
Und natürlich ist der Roman trotz aller satirischen Persiflage auf die Homestories aus Schnellroda von einer entscheidenden Grundfrage geprägt: Wie weit darf journalistische Neugier gehen?
Ich fand es nicht ausschließlich witzig, was ich gelesen habe. Aber gelesen werden muss dieses Buch meiner Meinung nach. An hellen Sonnentagen und weit weg vom Wald.

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Als Satire im Sinne großer Gesellschaftssatiren wie Heinrich Manns Der Untertan charakterisiert in einem lesenswerten Text ein Rezensent der ZEIT die kurze Novelle Zornfried von Jörg-Uwe Albig. Das muss in Zeiten, in denen mit Satire vor allem das bissige Sich-lustig-machen über den politischen Gegner gemeint ist, vielleicht konkretisiert werden. Ein wirkliches enges Ziel der Satire, wenn man den Roman als solche begreifen möchte, gibt es in Zornfried nicht. Weder sind es die Bewohner des lose auf Schnellroda gemodelten Rittergutes, noch sind es die Journalisten, die sich für eine gute Story mit denen gemein machen. Wenn überhaupt nimmt der Roman die Gesellschaft als Ganzes in den Blick, die solche Typen hervorbringt, doch das, ohne eine einzige Pointe im komödiantischen Sinne zu setzen. Vielleicht aber sollte man sich gar nicht zu sehr von dem Begriff Satire leiten lassen: Zornfried ist eine äußerst dicht geschriebene Novelle, die eine interessante Geschichte erzählt. Sie transzendiert auf jeder Seite deutlich den beschränkten Rahmen „engagierter“ Literatur.

Worum es geht:

Der Plot in Kürze: ein mittelalter Journalist, der zwar einerseits meint, den humanistischen Grundkonsens zu vertreten, aber andererseits seine Werte auch vor allem zu haben scheint, weil sie eben die seines Milieus sind, stößt auf einen martialisch-intellektualistischen Männerbund auf Burg Zornfried. Vor allem fasziniert ihn der enigmatische Dichter Storm Linné, dessen Gedichte ihn so sehr abstoßen wie anziehen. Gewiss, er macht sich über den Duktus lustig, doch er beginnt zu recherchieren, wird von dem Milieu aufgesogen, irgendwann dann drängt sich eine forschere Journalistin dazwischen, die sich aus der Perspektive des Protagonisten deutlich zu stark dem Milieu anbiedert.

Am ehesten tatsächlich offen lächerlich macht Zornfried diese Journalistin, die Plattitüden verbreitet wie „Erst einmal bin ich hier, um zuzuhören (…) Das nennt man Journalismus“, und komplementär den Dichter und die, die ihn für groß halten, schreibt der doch Verse wie:

„Wer liebt darf sich nicht scheun vor grausamkeit
Muss kalten blicks den heißen schnitt vollziehn
Muss lachend schweigen wenn das aug zerrinnt
Und staunend schaun wie heitre wunden blühn
Denn liebe ist nicht für den unterling
Der nach der weiber kosen schier vergeht
Sie frommt nur dem der bei sich bleiben kann
Und unter tausend toten noch besteht“

Nebenbei: Die in der Zeit geäußerte Überzeugung, dass die „dunkle, virtuos klimpernde Lyrik Stefan Georges“ in einer Weise persifliert werde, „dass es auch geübten Leserinnen schwerfallen dürfte, Original und Parodie zu unterscheiden“, kann ich als geübter Leser wirklich nicht bestätigen. Diese immergleich rumpelnden Verse voller völkischer Wendungen lassen sich leicht von den wechselnden, oft schwebenden Rhythmen Georges unterscheiden, die zudem, das ist ja genau, was George als Träger reaktionäre Ideologien so lange so effektiv gemacht hat, in den meisten Fällen auf ein all zu offenes Ausbuchstabieren des reaktionären Gedankengutes verzichten (Ausnahmen wie „mit den Frauen fremder Ordnung“ sind eben tatsächlich Ausnahmen). Ich werde die Texte demnächst aber mal verblindet an Bekannten testen.

Der Dichter ist mehr als eine Witzfigur

Aber der Dichter Linné ist im Romanganzen gerade keine durchweg lächerliche Figur, obschon er zwischenzeitlich lächerlich erscheint. Noch, als der Protagonist sich über den ganzen Spuk auf der Burg erhaben fühlt, schleichen sich Rudimente des zornfriedschen Duktus in sein Denken ein, sobald er sich versucht, einmal über die eigene beschränkte Sprache der verwalteten Welt zu erheben:

"Sie hatte mir Silvia geschenkt, die ich damals in ihrer traumhaften Unschlüssigkeit am Beckenrand im Nordparkbad gefunden hatte, eine verirrte Muschel, von einer Möwe im Flug verloren."

Eine verirrte Muschel. Das Kitsch-Bild für weibliche Sexualität schlechthin. So überheblich-elitär etwa denkt der Protagonist über seine Freundin. Und an der Sprache des Gegenbildes (denn das ist Linné letztlich dem Protagonisten, ein Gegenbild, das auch anzieht und fasziniert), gelingt ihm kaum eine bessere als eine Schullehrerkritik:

" Auf den humanistischen Konsens pfeift er ebenso hochmütig wie auf Interpunktion oder zeitgemäße Rechtschreibung."

Der Dichter wird ihm so rasch Faszinosum, und auf der „Jagd“ nach dem zurückgezogen Lebenden scheint er beinah selbst zu dichten:

" Ich beschloss, die Gelegenheit zu nutzen. Vorsichtig tappte ich über den Kopfstein des Burghofs ins Turmgebäude, stieg die Wendeltreppen hinauf. Die oberste Tür musste in die Werkstube führen, und tatsächlich glaubte ich, hinter ihr Geräusche zu hören, ein Husten, das Knarren eines Stehpults, womöglich das Kratzen einer Feder. Ich klopfte. Dann atmete ich durch und hörte nur noch Stille. Aber es war eine Stille, die zu wachsen schien. Sie fühlte sich prall an, ein Luftkissen, das sich ausdehnte, den Turm ausfüllte und sich anschickte, mich an die Wand zu pressen. Ich drückte die Klinke, aber die Tür war verschlossen. Und ich fühlte mich wie nach drei Minuten unter Wasser, als ich meinen Posten aufgab und endlich die Wendeltreppe wieder hinunterstieg"

Überhaupt ist auffällig, wie treffsicher die Köpfe der Neuen Rechten (im Buch!) immer wieder auf Punkte vorstoßen, wo der Protagonist eine tatsächliche Leere zu spüren scheint. Er spürt nicht zu leugnende ästhetische Offenbarung im Saal des Willens:

"Ich musste an meine Vierzimmerwohnung in Bockenheim denken. Mühsam hatte ich sie möblieren müssen, im Schweiß meines Angesichts. Ich hatte sie mit Rauttiainen-Stühlen und Ciccione-Lampen gefüllt, hatte ein Sofa von Vertongeren elegant dazwischenbalanciert. Doch in Wahrheit hatte die Möblierung die Wohnung nur kleiner gemacht. Hier sah ich eine Größe, die aus der Rohheit kam. Und inmitten dieser Rohheit stand ein glatter, ovaler Tisch, umringt von geradezu schmerzhaft nackten Stühlen."

Oder existenzielle, wenn er sich, einem plötzlichen Impuls folgend, im Wald verliert:

" In waldes treu-erhabner welt, ging es mir durch den Kopf. Gebiert des neuen lebens kraft. Und mit einem Mal spürte ich das vage Bedürfnis, mit diesem Wald etwas zu klären, eine Rechnung zu begleichen, satisfaktionsfähig zu werden, ohne Satisfaktion zu bekommen. Mich packte das Gefühl, ich könnte in diesem Wald etwas erfahren, was mir die Burg verweigerte, und an einer Einbuchtung stoppte ich abrupt den Wagen.

Ich musste ein paar Meter die Straße hinabgehen, bevor ich eine Lücke zwischen den Stämmen fand. Dann ließ ich mich einfach vom Dickicht ansaugen. Ich pflügte durch Eichenlaub, Reste vom vergangenen Herbst, und plötzlich genoss ich das Wirbeln der Blätter. Als ich einmal so schwungvoll zutrat, dass das Laub in die Höhe flog und mir schließlich ins Gesicht regnete, löste ich das kühle, nassweiche Blatt, das noch auf meiner Wange klebte, mit großer Vorsicht ab, um es nicht zu verletzen. Ich überließ mich dem Zufall, folgte auf gut Glück für ein paar Schritte einem Reh, das plötzlich aus dem Dickicht brach und in schwebenden Bögen durchs Unterholz setzte. Ich fand Spuren im Schlamm und verfolgte sie, so weit ich konnte, und als ich an eine Fuchshöhle kam oder einen Dachsbau, machte ich kehrt und hoffte auf das nächste Zeichen, das nächste Signal."

Und immer wieder, zwischendurch, sucht der Protagonist die Lockungen Zornfrieds, die für ihn niemals solche der Politik sind, auf dem Rückweg ins Hotel durch Musik zu vertreiben, deren Titel kaum hoffen lassen, dass sie sich weit über das Niveau der lyrischen Ergüsse Linnés erheben.

Ästhetizismus und Barbarei

Nicht falsch verstehen: Die rechten Bewohner Zornfrieds kommen bei Licht betrachtet in dem gleichnamigen Roman nicht sonderlich gut weg. Es ist auch kein Text, der eine Äquidistanz zu rechtem Identitätsraunen und verwalteter Welt propagiert. Obwohl ich mir vorstellen könnte, dass ein Leser mit entsprechender politischer Ausrichtung sich durchaus positiv in dem Roman wieder finden könnte (eine Amazon-Rezension, die das unterstreicht, gibt es und der Roman nimmt etwas Ähnliches vorweg, als der Protagonist zu Anfang seiner Recherchen ein Video auf YouTube stellt und seinem kritischen Anspruch zum Trotz bei der einschlägigen Klientel vor allem Begeisterung für Zornfried weckt).

Zornfried ist ein starker Roman, dessen Stärken sich daraus speisen dürften, dass er auslotet, was Thomas Mann die unheimliche „Nachbarschaft von Ästhetizismus und Barbarei“ nannte. Wenn Zornfried eine Satire ist, dann vor allem eine darauf, welch plumpe Beschwörungen von Größe und Tiefe heute ausreichen, um die von ihrer eigenen Welt angeekelten Bildungsbürger zu erschüttern. Welch kindisches Gaukelspiel bereits ausreicht, um dieses ganz reale Bedürfnis nach „Mehr“ zu aktivieren, womit der Stoß Zornfrieds auch solche konservativen Autoren treffen dürfte wie Mosebach, Strauß oder Lewitscharow, die ihren Vorbildern Jünger, George & Co stilistisch derart hinterherhinken, dass es für einen unbeteiligten Beobachter geradezu lustig sein könnte. Leider gibt es im gesellschaftlichen Rechtsruck keine unbeteiligten Beobachter und wenig zu lachen.

Als Angriff auf die Neue Rechte würde Zornfried auch deshalb nicht funktionieren, weil es sich deren tatsächlich irrelevantestes Phänomen herausgreift, Waldgang-Geraune und Dichterverehrung verblassen neben den Netzwerken der Facebook-Trolle und Meme-Fabriken, und selbst Kubitscheks Erfolge lagen ja eher darin, dass er den Rechten einen kulturkämpferisch-rebellischen, hip wirkenden Überbau gezaubert hat – mit einem Dichter wie Linné als Galionsfigur wäre Schnellroda wohl längst schon wieder in der Versenkung verschwunden.

Zornfried stellt vielleicht auch, zaghaft, die Frage, ob es nicht anderweitig möglich sei, an dieses ultramoderne Gefühl der Leere zu rühren, Ästhetizismus und Barbarei also womöglich produktiv zu entkoppeln. Die letzten Seiten, als der Protagonist der Burg den Rücken kehrt und dennoch sprachlich auf seine Umgebung in erhöhter Sensibilität reagieren kann, könnten der Versuch einer Antwort sein. Doch daran wäre weiter zu knabbern, es ist die durchaus zentrale Frage moderner Dichtung, die sich nicht zwischen den beiden heutigen Polen der Kunst, Epigonalität und Effekthascherei, entscheiden möchte.

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