Histrioniker

Der Verhaltens- und Gesprächspsychotherapeut Rainer Sachse hat sich mit dem neuesten Trend auf dem Feld der Persönlichkeitsstörungen beschäftigt – der „Histrionik“.

Als „Histrioniker“ bezeichnet man innerhalb der Psychoanalyse eine Person, die sich gern immer und überall wie ein Schauspieler (lat. histrio) inszeniert und damit nach grenzenloser Aufmerksamkeit heischt. Das große Drama ist des Histrionikers Welt, wobei sich narzisstische wie hysterische Neigungen zeigen. Solchen Personen, die vorwiegend weiblichen Geschlechts seien, gehe es nach Sachse weniger um das eigene Selbst als um das Wahrgenommenwerden in einer sich immer schneller drehenden Welt. Andere um den Finger zu wickeln, sie für eigene Zwecke zu manipulieren und dabei immerfort im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen, ist das erklärte Ziel des egozentrischen Histrionkers.

Sachse liefert mit seinem wissenschaftlich-nüchternen bis ironischen Sachbuch nicht nur eine stimmige Einführung in die Thematik, sondern gibt dem psychologischen Laien zugleich auch einen unterhaltsamen Ratgeber an die Hand. Letzteren erachte ich allerdings mehr als augenzwinkernde Persiflage auf diese Störung denn als ernst gemeinten Leitfaden. Denn innerlich leere Blender, die scheinbar mühelos die Karriereleiter erklimmen, gibt es auf dieser Welt doch schon mehr als genug oder?

FAZIT
Ein Buch, das nach dem Motto „Entdecke, den Histrioniker in dir!“ konzipiert wurde und trotz des psychologischen Sujets allerlei Kurzweil zu bieten hat.

Rainer Sachse: „„Histrioniker. Mit Dramatik, Manipulation und Egozentrik zum Erfolg“

2018, erschienen bei Klett-Cotta.

Psychologische Gebrauchanweisung, witzig, klug
Rainer Sachse ist Psychologe, Verhaltens- und Gesprächspsychotherapeut und Autor mehrerer psychologischer Fachbücher. Aber auch Erfolgsautor mit Titeln wie „Wie ruiniere ich mein Leben – und zwar systematisch“ oder „Selbstverliebt aber richtig!“ Oder „Wie ruiniere ich meine Beziehung – aber endgülltig“. Und jetzt eben ganz neu: „Histrioniker. Mit Dramatik, Manipulation und Egozentrik zum Erfolg“.

Diese meist schmale Bücher sind keine Fachliteratur, keine Psychologie für Psychologen, sondern sind für den interessierten Laien gedacht. Vor allem aber sind sie witzig. Erstens weil Sachse hier nicht sachlich-analytisch schreibt und so wenig wie möglich Fachbegriffe verwendet. Zweitens, weil er so tut, als liefere er psychologische Gebrauchsanweisungen. Und drittens, weil er ironisch schreibt, satirisch, augenzwinkernd. Und das bei profunder psychologischer Fachkenntnis. Damit ist er ein Ausnahmeschreiber seiner oft knochentrockenen Zunft.



Was ein Histrioniker ist? Einfach gesagt: Jemand mit einem ausgeprägten Hang zur Dramatik. Histrioniker wollen unbedingt und immer im Mittelpunkt stehen, brauchen Aufmerksamkeit wie der Verdurstende das Wasser, lechzen nach Zuwendung, wollen bewundert werden, verehrt, angebetet, vergöttlicht, in der Ehe, auf der Party, im Beruf, überall, immer. Narzissmus war gestern. Heute muss man Histrioniker sein! Und wenn Sie noch keiner sind, hier können Sie´s werden.

Dazu müssen Sie vor allem lernen, was Dramatik ist. Wie man große Effekte erzeugt. Zum Beispiel: Wenn Sie eine Geschichte erzählen, müssen sie sie inszenieren: Arme in die Luft werfen, konzentrierter Blick, dramatische Pausen. Schlagen Sie Ihre Zuhörer in den Bann! Sie müssen verblüffen, in Spannung halten. Text, Betonung, Stimmlage, Mimik, Gestik – alles muss zusammenpassen. O-Ton Rainer Sachse, und da steckt seine Ironie und sein Sarkasmus drin. „Dramatik bedeutet auch, Sie sind den Effekten verpflichtet, nicht der Realität und Wahrheit ist ohnehin relativ.“ Und bei Beziehungsproblemen? „Es müssen schon Eier fliegen und es muss Porzellan zu Bruch gehen, unter dem sollten Sie es als Histrioniker nicht tun!“

Histrioniker sind Meister der Manipulation. Also der Tricks, mit denen sie ihre Partner dazu bringen, alles Mögliche für sie zu tun und zwar auch dann, wenn der Partner das gar nicht will und auch so, dass der Partner (zunächst) nicht einmal merkt, eigentlich abläuft. Rainer Sachse beschreibt zwei Arten von Manipulation: Die positiv und die negative. Eine positive Strategie ist, sexy zu sein, attraktiv, verführerisch und diese Reize dazu zu nutzen: »Du möchtest auch sicher XY für mich tun, nicht wahr, Schatz?« Und Schatz möchte, betört von Ihrer erotischen Ausstrahlung, ganz sicher XY für Sie tun!“ Es kann eine ganze Zeit gut gehen, bis der Partner merkt, dass er manipuliert wird. – Negative Strategien dagegen sind viel schneller „beziehungstoxisch“. Zum Beispiel das „ Ich-würde-ja-gerne-Spiel«: Man verspricht dem andern alles Mögliche, meistens Sex, wird dann aber leider, leider, davon abgehalten: Durch Kopfschmerzen, Ängste, Panikanfälle oder moralische Bedenken. Der Gewinn? Der Partner bleibt an ihrer Angel, weil Sie ihn immer aufs „nächste Mal“ vertrösten!

Eine besonders effektive manipulative Strategie nennt Sachse »Dornröschen-Spiel«: Man signalisiert, dass man Zuwendung braucht, Hilfe, Unterstützung, Solidarität. Und dass der andere sich bitte schön anstrengen soll, Hindernisse überwinden. Je größer die sind, desto stärker seine Liebe. Und umgekehrt. Also überwinde die Dornenhecke! Erwecke mich! - Oder das: »Blumen-Paradox«: Sie wollen dass Ihr Partner Ihnen Blumen schenkt. Und erwarten natürlich, dass er »von selbst darauf kommt« Und wenn nicht? Dann können Sie ihm das vorwerfen! Soll er sich doch schuldig fühlen! Motto: Wenn du mich lieben würdest, würdest du fühlen, was ich will! Du Scheusal!“ - Oder das auch sehr beliebte „Es-ist-alles-in-Ordnung-Schatz-Spiel«! Dabei senden sie sich widersprechende verbale und nonverbale Signale (Fachterminini: paradoxe Ambivalenz, Double Binds). Ihr Mund sagt: „Es ist alles in Ordnung“. Aber ihre traurigen, bitteren und enttäuschte Gesichtszüge sagen genau das Gegenteil. Vorteil: Ihr Partner ist verwirrt, ratlos, fühlt sich schuldig, verstärkt seine Bemühungen um Sie! –Sehr effektiv ist auch das „Hochschaukelung von Ängsten“. Beispiel: Jemand hat Ihnen die Vorfahrt genommen. Zum Glück ist nichts passiert! Aber es hätte etwas passieren können! Etwas Schreckliches: Sie hätten sich überschlagen können, schwer verletzen! Und machen Sie sich und allen klar, wie extrem unverfroren, rücksichtslos und allgemeingefährlich das Verhalten des andern war! Natürlich haben Sie jedes Recht der Welt, sich darüber lautstark und wortreich zu beklagen! Sie könnten jetzt querschnittsgelähmt sein! Im Rollstuhl sitzen! Blind sein! Und je länger und intensiver Sie sich diese Szenarien ausmalen, desto besser wird es! Jetzt haben Sie die Aufmerksamkeit, die sie wollen! Und zu Recht!

Was der Hauptunterschied zwischen einen Narzissten und einem Histrioniker ist? Einem Narzissten geht es primär um Anerkennung: Er will Erfolg und damit Bewunderung! Er interessiert sich mehr für sich, weniger für die Beziehung. Ein Histrioniker aber will gerade das: Wichtig sein, im Zentrum stehen. Er interessiert sich auch für sich selbst. Aber noch mehr dafür, was er anderen bedeutet! Ein Schauspieler!

Interessiert? Rainer Sachse zeigt Ihnen, wie Sie Histrioniker werden! Und damit auch, wie Sie die Strategien von Histrionikern erkennen können! Und durchkreuzen! Was noch interessanter ist!