Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten

Roman

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Erscheinungstermin 11.02.2017 | Archivierungsdatum 28.08.2017

Zum Inhalt

» ›Und wo zieht es dich danach hin? Hast du Pläne?‹, fragte sie, als wüsste sie nicht längst, dass ich hier gestrandet war wie einer dieser fetten Blauwale, die überall in Neuseeland an den Stränden lagen und langsam verreckten.« Jeden Abend betrachtet Annika durch das Fenster ihres Apartments die junge Frau gegenüber. Marie-Louise scheint all das zuzufliegen, wonach Annika sich sehnt: Freunde, Liebhaber, Geselligkeit. Sie lebt aus vollen Zügen, während Annika von Praktikum zu Praktikum driftet und nichts mit sich anzufangen weiß. Doch eines Nachts klingelt Marie-Louise an Annikas Tür. Aus einer Zufallsbekanntschaft wird enge Freundschaft, als Annika nach Hause zurückkehrt, um endlich herauszufinden, was sie eigentlich mit sich anfangen will. Und unversehens ihre alte Nachbarin wiedertrifft. Bald stellt sich jenes Gefühl von Schwerelosigkeit ein, das Phasen des Umbruchs begleitet, und für die beiden Frauen beginnt ein Sommer in der Provinz, wo Humor und Verzweiflung nah beieinander liegen.

» ›Und wo zieht es dich danach hin? Hast du Pläne?‹, fragte sie, als wüsste sie nicht längst, dass ich hier gestrandet war wie einer dieser fetten Blauwale, die überall in Neuseeland an den Stränden...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE E-Book
ISBN 9783608100914
PREIS 12,99 € (EUR)

Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Dinosaurier aus Papier falten können, das kann nicht schaden, dachte ich mir. Eine anfangs aus meiner Sicht namenlose und geschlechtslose Person lebt in einem Wohnheim, um 40 Wochenstunden in einem öden Praktikantenjob irgendwo im Kulturbereich arbeiten zu können. Praktikantinnen erledigen für ein Taschengeld die Arbeit, mit der Festangestellte später im Jahresbericht glänzen können. Annika hat Kulturwissenschaften studiert, wie offenbar viele andere auch, ist sich jedoch nicht klar, was sie eigentlich tun will. In der gegenüberliegenden Wohnschachtel lebt Marie-Louise, bei der jeden Abend Fete ist. Die Icherzählerin fühlt sich deshalb als Zuschauerin noch einsamer, als sie ohnehin ist. Nachbarin Marie-Louise macht den ersten Schritt auf Annika zu. Sie sprudelt vor Ideen, sie redet immer, egal ob jemand zuhört. In Annikas Ödnis gelangt damit Tempo. Als der Praktikantenjob beendet ist, zieht Annika notgedrungen wieder in ihr Kinderzimmer zuhause. Ohne Job scheint sie dazu verdammt, als ewige Jugendliche in einer Endlosschleife festzuhängen. Ihre Generation ist irgendwo auf der Welt unterwegs, um Erfahrungen und Qualifikationen zu erwerben, die andere längst besitzen. Doch wer Japanisch in Japan lernt, legt damit nur die Latte für alle anderen Bewerber höher und muss sich nach der Rückkehr mit in die Endlosschleife einreihen. Niemand von ihnen wird an irgendeinem Arbeitsplatz gebraucht, keiner scheint gut genug für den Kulturbetrieb. Selbst wenn Annika mit 30 Kindern Dinosaurier falten könnte, würde das nichts ändern. Die Mädels arbeiten ihre Löffelliste der Dinge ab, die sie dringend tun sollten, ehe sie einmal den Löffel abgeben müssen und wiederholen mit den Aufgaben eine Kindheit, der sie längst entwachsen sein sollten. Im biografischen Niemandsland steht die Zeit still. Ob es im Leben ein Später geben wird, darüber nachdenken müssen sie genau jetzt.

Mehr Befindlichkeit als Handlung vermittelt Kristina Pfisters Ausschnitt aus dem Leben der Generation Praktikum in makellosem Stil. Eine Icherzählerin von eher gedämpftem Temperament könnte zum Problem werden, wenn ich beim Lesen ständig das Gefühl hätte, sie anstoßen zu müssen, damit sie endlich in die Gänge kommt. Doch die Mädels mochte ich, ihre Gedanken interessierten mich, so dass ich das Buch bedenkenlos empfehle.

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Annika, die Ich-Erzählerin in Kristina Pfisters Debut „Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten„, Mitte 20, Kulturwissenschaftlerin, ist eine vor Erfurcht vor der richtigen Art zu leben, erstarrte Beobachterin des Lebens der Anderen.

Sie beobachtet täglich durch das Fenster ihres kleinen, genormten Apartments Marie- Louise. Das Mädchen von der anderen Seite, in dieser gesichtslosen Bungalowanlage, in einer unwichtigen, namenlosen Stadt, weil sie nur Heimat auf Zeit ist, für die nächsten drei Monate, für eine weitere Möglichkeit in unzähligen, unterbezahlte Stunden Arbeitspraxis für den Lebenslauf anzuhäufeln wie Kartoffeln.

Wie in einem dieser skandinavischen Avangardefilme mit nur einer Kameraeinstellung ist dieses rechteckige Fenster die Leinwand für den Film und im geöffneten Zustand ist der dann sogar mit einer Tonspur versehen. Annika lauscht so dem Lachen der zahlreichen Besucher, dem klirren der aneinander geschlagenen Bierflaschen, der bekannten, in die Nacht wabernde Musik, sie schnappt Abschiedsgrüße von der Straße nach oben ans andere Fenster auf, bestaunt in sternenloser Nacht glitzernde Ohrringe und bewundert perfekt oval geformte Rauchringe, die nur wenige Meter Luftlinie von ihr entfernt den fremden Frauenmund verlassen.

Während sie allein und einsam fühlt und ihr einziger Austausch die Telefonate mit ihrer Mutter sind, haben alle anderen ein Leben. Eins, das es wert ist, mit dem richtigen Filter versehen, in die Welt geschickt zu werden, um Belohnung in Herzchenform zu generieren, eines zu dem es sich lohnt Excerpte auf maximal 140 Zeichen eingestampft zu geben oder aber wenigstens die algorithmisch generierte Frage „Wo bist du?“ mit einer exotisch klingenden Ortsbezeichnung zu beantworten.

Da steht eines Abends Marie-Louise schon leicht betrunken vor ihrer Tür und nun kommt erstmals Bewegung in Annikas Leben. Marie-Louise ist die Antagonisten wie man sie nicht besser hätte erfinden können. Sie wartet nicht lange, sie klopft an Türen und wenn nicht gleich geöffnet wird, klopft sie auch mal heftiger. Sie folgt keinem Plan, weil man das so tut, sondern tut jetzt, was sie will und morgen will sie vielleicht schon wieder etwas Anderes.

Jetzt will sie erst einmal nach London sich einen Job suchen. Da Annika die Abschiedsparty verschläft, holt Marie-Louise sie höchst selbst zur Feier nach der Feier in ihr Apartment, der Sehnsuchtsort, wo das wahre Leben ist. Während dieser Nacht mit den kulinarischen Überbleibseln, viel Wodka, ein paar Salzstangen und löffelweise Schokopudding, in der Marie-Louise viel erzählt und Annika mehr schweigt, klettern die beiden einem spontanen Einfall folgend aufs Hausdach und ohne jede Vorwarnung übt Annika das Loslassen. Sie springt vom Dach in die nicht zu tiefe Tiefe. Was sie mit ein paar Abschürfungen und einem kaputten Knie erst einmal zurück auf Mamas Sofa bringt.

Dort leckt sie sich ihre Wunder, igelt sich ungeduscht, mit fettigem Haar und in olfaktorisch bedenklicher Jogginghose antriebslos auf dem Sofa, mit dessen Muster sie phantasiert zu verschmelzen, ein. In die Polster gedrückt von der Wackerstein schweren Last in ihrem Bauch. Der erste Elan dem ungeliebten Praktikum entkommen zu sein, reicht nur noch für den Griff zum Joystick, um den High-score der Ballerspiele ihres jüngeren Bruders zu knacken.

Eine der Stärken der Autorin ist, dass sie sich der bleiernden Lethargie wie auch dem Getriebensein der beiden Frauen mit der gleichen sprachlichen Hingabe widmet, und so die Emotionen spürbar zu machen.

Zwei Wochen später treffen Annika und Marie-Louise im kleinstädtischen Krankenhaus ihrer Heimatstadt erneut aufeinander. Die eine lässt dort ihr Knie behandeln, die andere sitzt am Sterbebett der Urgroßmutter und faltet den Titel gebenden Origami Dinosaurier, denn für so ‚was Komplizertes gibt’s Anleitungen. Angesicht der Endlichkeit erstellen die beide eine Art bucket-list und beschließen all die Dinge, die sie schon immer mal, oder schon lange ncht mehr in den nächsten Tagen abzuarbeiten. Kitschig, ja, aber auch ein erster Schritt, um eigene Wünsche wertfrei zu formulieren. Auch wenn es Anika jetzt von der Couch schafft. Bewegung im Wortsinne in sie kommt, sie zu Fuß auf Konzerte geht, sie im nahen Baggersee schwimmt, Stifter tut nicht so, als sei jetzt endlich alles wieder gut.

Annika erkennt, dass auch die bewunderte, umtriebige Freundin, die einer Schlange gleich, sich ein ums andere Mal häutet, eine Methapher, die Pfister wirklich etwas überstrapaziert, sich immer wieder neu erfindet, die selben Fragen ans Leben hat.

Wer bin ich? Wer will ich sein? Wo ist mein Platz im Leben?

Mir gefällt, dass die Autorin darauf keine Antworten gibt, sie keine Bauanleitung für das eine richtige Leben anreicht. Es gibt unendliche viele Möglichkeiten, das kann auch beängstigend sein, doch Bangemachen gilt nicht.

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Endlich das Studium beginnen, dann kann das richtige Leben nun losgehen. Doch Das Leben lässt auf Annika noch warten. Sie hangelt sich von Praktikum zu Praktikum, sitzt in fremden Städten in kleinen Wohnungen und die prekäre finanzielle Lage erlaubt ihr auch nicht einmal kleine Sprünge. Wochenlang beobachtet sie in einem Appartement auf der anderen Straßenseite eine junge Frau, die offenbar viele Freunde hat und das Leben ausgelassen genießt. So lernt sie Marie-Louise kennen, ein Freigeist, der nicht danach strebt, irgendwelche Erwartungen oder Normen zu erfüllen. Wieder in der Heimat wird Annika in die Zeit ihrer Kindheit zurückversetzt, wie damals lebt sie bei ihrer Mutter während die ehemaligen Schulfreunde scheinbar Karriere machen. Doch auch bei diesen ist der äußere Schein eine wacklige Fassade.

Kristina Pfister gelingt es überzeugend das Lebensgefühl der Generation Praktikum einzufangen. Einerseits die Erwartung, dass das Leben voller Abenteuer und Chancen ist, die man nur ergreifen muss; andererseits der Erfüllungs- und Leistungsdruck, die unsichere Zeit zwischen Studium und festem Arbeitsplatz und das Gefühl, noch gar nicht erwachsen genug für das Leben zu sein, das man führen soll. Sehr schön wird dies mit folgendem Satz von dem Freigeist Marie-Louise auf den Punkt gebracht:
„man muss aufpassen, dass freihändig Fahrrad fahren nicht das einzige Abenteuer bleibt, das man je erlebt hat“ (Pos. 320)
Dem entgegen stehen die weisen Sprüche des Therapeuten Öztürk, der Annika helfen soll, Struktur und Sinn in ihr Leben zu bringen:
„kleine Schritte. Jemanden ansprechen zum Beispiel.“ (Pos. 1958) oder
„manchmal müsse man sich überwinden, etwas zu tun, was man nicht tun wollte, damit die Dinge besser würden.“ (Pos. 2319)
Sie wirken geradezu absurd für eine junge Frau, die offenbar verloren im eigenen Dasein ist und zwischen den Extremen der Erwartungserfüller und den scheinbar völlig Freien hin und her schwankt und doch ihren Platz nicht findet.

Der Roman lebt nicht von der Handlung, diese ist passenderweise sehr überschaubar, denn Annikas Lebens ist zum Stillstand gekommen. Sie steckt fest und sieht keinen Weg heraus aus ihrem Dilemma. Es ist das Gefühl, das sie in dieser Situation begleitet und das den Roman trägt. Es passieren kleine, unwichtige Dinge. Ein Treffen mit Freunden, ein Konzertbesuch, aber die großen Ereignisse bleiben aus. Auch die Arbeit bietet kein mentales Futter, um den Gedankenkreislauf zu durchbrechen, stupide und uninspirierend werden dieselben Handgriffe Stunde um Stunde wiederholt.

Das Buch bietet keine Lösung, wie man aus diesem Strudel ausbrechen könnte – aber dies wäre auch absurd, die Ratschläge Öztürks verdeutlichen dies, es kann nur aus dem einzelnen selbst kommen, sich sein Leben zu gestalten, der Rat von außen bleibt weitgehend hohl.

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