Seht mich an

Roman mit einem Nachwort von Daniel Schreiber | Die literarische Wiederentdeckung der Booker-Prize-Gewinnerin

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Erscheinungstermin 23.02.2023 | Archivierungsdatum 28.04.2023

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Zum Inhalt

Frances Hinton arbeitet in einer medizinischen Bibliothek und führt ein zurückgezogenes Leben, gemeinsam mit der früheren Haushälterin ihrer längst verstorbenen Mutter. Doch ihre eintönige Existenz wird von neuem Glanz erfüllt, als sie ein extravagantes Paar kennenlernt, das sie in ihren illustren Freundeskreis aufnimmt. Frances kann sich der Bewunderung des charmanten Nick und seiner umwerfenden Frau Alix nicht erwehren und schafft es mithilfe des glamourösen Paares, endlich aus ihrem Schattendasein herauszutreten. Doch muss Frances bald erkennen, dass diese neue aufregende Welt nicht so glanzvoll ist, wie sie scheint…

Frances Hinton arbeitet in einer medizinischen Bibliothek und führt ein zurückgezogenes Leben, gemeinsam mit der früheren Haushälterin ihrer längst verstorbenen Mutter. Doch ihre eintönige Existenz...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783961611539
PREIS 22,00 € (EUR)
SEITEN 288

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Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Zeitlos

Die britische Schriftstellerin Anita Brookner ist eine exzellente Schreiberin. Sie war eine großartige Autorin, die 2016 starb.
Sie schriebt meinst über alleinstehende Frauen aus dem Mittelstand in London..
In ihrem Roman Seht mich an, hat sie
ein psychologisches Gespür für einsame Frauen.
Die Protagonistin Francis ist voller
Komplexe und innere Konflikte.
Sie schreibt und arbeitet in einer Bibliothek. Sie freundet sich mit einem Ehepaar an, die etwas seltsam sind.

Frances genoss diese Freundschaft bis sie sich dann doch etwas zurück nahm. Dieser Roman ist stilistisch gut und etwas getragen, wie alle Bücher der Autorin. Der Roman ist zeitlos.e Literatur

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Für Frances sieht jeder Tag aus wie der andere: sie geht zu ihrer Arbeit in der medizinischen Bibliothek und kehrt dann wieder in die Wohnung zurück, in der sie nach dem Tod ihrer Mutter mit deren Haushälterin lebt. An den Wochenenden geht sie spazieren oder besucht eine ehemalige Kollegin. Sie ist zufrieden, aber nicht wirklich glücklich.

Doch dann lernt sie Alix und Nick kennen. Das Paar ist alles, was Frances gerne sein würde: sie sind charmant, selbstbewusst und haben interessante Freunde. Frances kann es kaum glauben, dass sich die Beiden für sie interessieren. Aber das tun sie und ihre Freundschaft eröffnet Frances ein neues, wunderbares Leben.

Anfangs habe ich mich für Frances gefreut. Hinter ihr steckt viel mehr als die graue Maus, die die Meisten auf den ersten Blick sehen. Aber weil die Menschen ihr nicht mehr als diesen ersten Blick gönnen, trauen sie ihr nicht viel zu und mit der Zeit hat sie diese Meinung übernommen. Dabei wäre sie gerne anders und Alix und Nick bieten ihr die Möglichkeit auf ein anderes Leben.

Die Freundschaft mit Alix gibt Frances ein bisher unbekanntes Selbstbewusstsein. Auch wenn sie sich im Umgang mit Alix’ Freunden oft noch unsicher fühlt, beginnt sie doch, Dinge zu ändern. Sie fängt an, zu schreiben und lernt einen Mann kennen.

Trotz aller Freude für Frances habe ich auch gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Nicht nur, dass die neuen Freunde zu oberflächlich schienen für die ernsthafte Frances. Ich hatte den Eindruck, als ob sie eine Art Projekt gerade für Alix war. Es hat ihr gefallen, die arme Waise, wie sie Frances gerne nennt, unter ihre Fittiche zu nehmen. Jetzt, wo sie selbstbewusster wird, gefällt ihr das nicht. Sie ist eifersüchtig auf jeden Erfolg, den Frances hat. Sie braucht keine Freundin, die ihr ebenbürtig ist, sondern eine, die zu ihr aufsieht.

Dabei will Frances nichts mehr, als dass man sie beachtet, wie Anita Brookner in ihrem Titel eindrücklich sagt. Sie will wahrgenommen werden. Nicht als das Anhängsel von Alix oder die Tochter einer Toten, wie sie ihre Haushälterin immer noch sieht. Aber bei ihrem Wunsch beachtet zu werden, übersieht sie, dass auch andere Menschen genauso wie sie gesehen werden wollen. Es dauert, bis sie das erkennt und ich habe das Gefühl, dass sie es erst danach schafft, sich so zu sehen, wie sie wirklich ist.

Anita Brookner erzählt Frances’ Geschichte in ruhigem Ton, trotzdem hat mich Seht mich an in seinen Bann gezogen. Die Autorin beschreibt die Charaktere so, dass ich mir sie gut vorstellen und auch verstehen kann. Man hat den Eindruck, als ob nicht viel passiert. Aber wie der erste Blick, den man auf Frances wirft, täuscht dieser Eindruck. Es ist eine vielschichtige Geschichte, für die man sich Zeit nehmen sollte, um alle Facetten zu sehen.

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Viele Arten von Einsamkeit;
Dieses Buch ist bereits vor über 40 Jahren erschienen, aber es ist (bis auf kleine Details) zeitlos und zeitlich kaum zu verorten. Es ist aus der Sicht von Francis, genannt Fanny, geschrieben, die in ihrem Leben zwischen Langeweile und Einsamkeit schwankt und von vielen einsamen Menschen umgeben ist. Als sie ein exzentrisches, egozentrisches, oberflächliches Paar näher kennenlernt, hat man direkt Angst, dass sie ihren neuen Bekannten nicht gewachsen ist. Sie ist in das Leben anderer, charismatischer Menschen verliebt und passt sich vollkommen an bis zur Selbstaufgabe. Obwohl wohlhabend, gönnt sie sich selber nichts. Ihre Verzweiflung und Sprachlosigkeit ob des Nicht-Gesehen-Werdens wird glaubhaft und nachvollziehbar geschildert. Das Buch ist mit feiner Psychologie und toller Beobachtungsgabe geschrieben. Es ist eine Analyse menschlicher Beziehungen und die Personen und Charaktere werden toll getroffen. Die Sprache ist gehoben mit sehr langen Sätzen und für die heutige Zeit etwas gewöhnungsbedürftig. Sehr gelungen fand ich das Nachwort, da es mir aus der Seele spricht und das Werk sehr gut analysiert und einordnet.

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Anita Brookner war eine britische Schriftstellerin und Kunsthistorikerin. Geb. Juli 1928, gestorben
im März 2016. Sie befasste sich hauptsächlich mit der französischen Malerei und Literatur des 18. und
19. Jahrhunderts. Ihr literarisches Werk umfasst mehr als 20 Romane.

Die junge Frances Hinton arbeitet in der Bibliothek eines medizinischen Instituts an einer Enzyklopädie
der Krankheit und des Todes. Sie lebt, dank dem Vermögen ihrer verstorbenen Eltern in einer geräumigen
Wohnung zusammen mit der früheren Haushälterin ihrer Mutter. Ihr Leben ist geprägt von Eintönigkeit
und Langeweile, nur durch ihr Schreiben kann sie sich von der Leere befreien. Als Alix und Nick in
ihr Leben treten und sie unter ihre Fittiche nehmen, glaubt sie, endlich das glamouröse Leben führen
zu können, in das sie sich bisher nur hineinschreiben konnte.

Wenn Fanny von der eintönigen Routinearbeit in der Bibliothek nach Hause kommt und ihre Neigung
zur Grübelei und ihre innere Unruhe durch einen Spaziergang zu überwinden glaubt, setzt sie sich
an ihren Schreibtisch und versucht, durch das Schreiben ihren Druck abzubauen. Sie ist sich des
langweiligen Lebens das sie führt durchaus bewußt, auch der großen Einsamkeit, die sie umgibt.
Und wenn sie sich fragt, ob diese Einsamkeit ihr ganzes Leben andauern soll, wird sie von ihren
Gedanken bis an den Rand einer hysterischen Angst getrieben. Und hier bemerkt man auch schon
die ständige Selbsttäuschung von Fanny, die fast im gleichen Moment erwähnte, dass sie nicht
hysterisch sei. Genauso wie sie meint, glücklicherweise nicht zu träumen, später jedoch von ihren
Träumen berichtet, genau diese Zerrissenheit und gestörte Selbstwahrnehmung machen die Person
Frances Hinton, genannt Fanny aus, deren großer Wunsch es ist, wahrgenommen zu werden: Seht
mich an.
Als die Frasers in ihr Leben treten, ist Fanny von allem was die beiden umgibt zutiefst entzückt,
endlich wird sie aus der fürchterlichen Leere ihres bisherigen Lebens befreit, sie sieht eine neue
Chance für sich und gibt ihr Hoffnung auf eine Zukunft, die die Vergangenheit auslöschen würde.
Diese traumatisierende Erfahrung aus ihrer Vergangenheit, über die Fanny nicht reden kann und will,
steht Fanny auch im Weg, als sie sich mit James anfreundet, schon Zukunftspläne schmiedet.
Ihr Wunsch nach mehr Frivolität, und dem Bedürfnis zurück zu ihrem unschuldigen Kind zeigen auch
hier die Zerrissenheit und die Selbsttäuschung der Protagonistin, die einen glücklichen Ausgang
verhindern.

Ein grandioser Roman, bei dem mich am meisten fasziniert hat, dass er so viele unterschiedliche
Interpretationsspielräume bietet und ein großartiges zeitloses Porträt einer jungen Frau, die
wahrscheinlich am meisten unter sich selbst leidet.

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"Ich finde solche Menschen [...] durchaus faszinierend. [...] Es ist mir klar, dass sie vielleicht gar keinen Verdienst haben, und doch werde ich mich bemühen, ihnen zu gefallen und ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Seht mich doch an!"

Solche Menschen - damit bezieht sich die Protagonistin Fanny auf ihre neu gewonnenen Freunde Alix und Nick. Das Boheme-Paar ist so ganz anders als die junge sittsame Bibliothekarin. Alix und Nick inszenieren ihre Ehe, sammeln einen illustren Kreis Freunde um sich und speisen fast jeden Abend im Restaurant. Fanny hingegen fühlt sich von der Welt ausgeschlossen, in ihrem zurückgezogenen Leben, das sie zwischen der Wohnung ihrer toten Mutter, der Arbeit und den Pflichtbesuchen bei Bekannten im Seniorenalter führt. Ihr bliebt die Rolle der schreibenden Beobachterin, die sich durch geistreiche und pointierte Erzählungen um die Gunst ihrer Leserschaft bemüht. Dass Nick und Alix sie unter ihre Fittiche nehmen, kommt für Fanny mehr als überraschend. Doch sie genießt den Klatsch, die Lästereine, den Genuss und den neu erlernten Egoismus - bis sie eines Tages erkennen muss, das die Aufmerksamkeit solcher Menschen ihren Preis hat.

Anita Brookner hat ihren Roman "Seht mich an" vor knapp vierzig Jahren geschrieben. Dennoch sind Thema und Handlung höchst aktuell und fügen sich nahtlos in moderne Romane über toxische Beziehungen ein. Fannys Leben ist - wie Daniel Schreiber in seiner feinen Analyse im Nachwort schreibt - allenfalls erträglich zu nennen. Ihre Einsamkeit springt die Lesenden förmlich an. Man hat Mitleid mit der Frau, die so sehr auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt ist, dass sie verlernt hat, sich selbst anzunehmen. Gerne möchte man ihr zurufen, dass sie stärker auf sich selbst vertrauen soll und das die Welt des schönen Scheins weniger begehrlich ist, als es den Anschein haben mag. Man möchte Fanny ans Herz legen, dass sie sehr wohl da ist - und dazu nicht unbedingt die Aufmerksamkeit der Schönen und (ehemals) Reichen benötigt. Gleichzeitig kann man ihren Wunsch nach Anerkennung so gut nachvollziehen.

Anita Brookner gelingt es vielleicht auf deshalb, eine so authentische Figur zu schaffen, für die der Leser große Zuneigung empfindet, weil sie möglicherweise ein kleines Stück ihrer eigenen Erfahrungen in der Figur spiegeln kann. Denn viele Parallelen zu ihrem Leben lassen sich erkennen, ist Fanny doch ebenfalls Schriftstellerin und hat auch Brookner ihre Mutter bis zu deren Tod gepflegt.

Aber nicht nur der Inhalt mit seiner fein ausgearbeiteten Protagonistin macht diese Wiederentdeckung zu einem Lesegenuss. Brookner versteht es meisterhaft, Motive in die Handlung einzuweben, immer wieder auftauchen zu lassen und so einen Deutungsrahmen zu schaffen. Wie zufällig scheinen Fannys Gedanken über die weibliche und männliche Darstellung von Melancholie zu Beginn des Buches zu sein. Doch sind Sätze wie "Ist aber ein Mann von Melancholie befallen, dann, weil er an der romantischen Liebe leidet" nicht auch eine versteckte Deutungsschablone für den Roman? Und was ist mit Fannys häufig wiederholten Forderung: Seht mich an! oder ihr Sinnieren darüber, dass man einmal Gehörtes nicht mehr vergessen kann? Diese Brotkrumen machen das Lesen von "Seht mich an" zu einem ganz besonderen Vergnügen.

Mit dem Roman ist der "Herrin der Düsternis", wie Brookner schon oft von Kritikern bezeichnet wurde, ein Meisterwerk der Melancholie gelungen. Von der vielleicht anfangs etwas sperrigen Sprache darf man sich nicht abbringen lassen, denn dieser Roman ist die Lektüre definitiv Wert.

(Verlinkungen werden zum Erscheinungstermin erstellt)

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Brookner
396161153X
Zur Autorin (Quelle: Verlag)::
ANITA BROOKNER, 1928 in London geboren, studierte Kunstgeschichte am King’s College und absolvierte ein postgraduales Studium an der Universität von Paris. Brookner wurde Expertin für französische Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts und übernahm 1967 als erste Frau die Slade-Professur der Schönen Künste in Cambridge. 1981 erschien ihr literarisches Debüt Ein Start ins Leben. Ihr Roman Hotel du Lac wurde 1984 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Obwohl Anita Brookner erst in ihren Fünfzigern literarisch zu schreiben begann, verfasste sie bis zu ihrem Tod 2016 in London insgesamt 24 Romane. Sie gilt als meisterhafte Stilistin.

Klappentext:

Frances Hinton arbeitet in einer medizinischen Bibliothek und führt ein zurückgezogenes Leben, gemeinsam mit der früheren Haushälterin ihrer längst verstorbenen Mutter. Doch ihre eintönige Existenz wird von neuem Glanz erfüllt, als sie ein extravagantes Paar kennenlernt, das sie in ihren illustren Freundeskreis aufnimmt. Frances kann sich der Bewunderung des charmanten Nick und seiner umwerfenden Frau Alix nicht erwehren und schafft es mithilfe des glamourösen Paares, endlich aus ihrem Schattendasein herauszutreten. Doch muss Frances bald erkennen, dass diese neue aufregende Welt nicht so glanzvoll ist, wie sie scheint…

Mein Lese-Eindruck:
Frances Hinton ist eine intelligente, gebildete und wohlhabende junge Frau. Sie lebt mit der Haushälterin ihrer verstorbenen Mutter in einer großzügigen Wohnung in London. Ihre Arbeitsstelle gefällt ihr: sie arbeitet als Archivarin in einer medizinischen Bibliothek und ist kunsthistorisch versiert. Die äußeren Rahmenbedingungen sind also beneidenswert.
Aber Frances leidet. Sie leidet unter einer beklemmenden Einsamkeit und schaut voll Schmerz auf das gesellige Leben der anderen, das diese mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit führen, um die sie Frances beneidet. Sie, Frances, gehört nicht dazu, sie ist unauffällig und wird übersehen wie ein Möbelstück ihrer Arbeitsstelle – und würde doch so gerne dazugehören. In dieser Situation lernt sie das Paar Alix und Nick kennen: ein glamouröses Paar, das einen exaltiert-snobistischen Freundeskreis unterhält, in den Frances aufgenommen wird. Endlich: sie wird gesehen! Ihr einsames Leben ist beendet!
Sie registriert allerdings sehr genau die herablassende und dominierende Art, mit der v. a. Alix in dem Freundeskreis und auch ihr gegenüber den Ton angibt. Alix stammt aus einer zwischenzeitlich verarmten Familie von Großgrundbesitzern und wird nicht müde, auf ihre ehemals herausragende gesellschaftliche Position zu verweisen. Sie fühlt sich daher allen überlegen und nimmt für sich das Recht in Anspruch, andere zu mindern, der Lächerlichkeit preiszugeben und vernichtende Urteile zu fälle. Alix fehlt jede Empathie. Sie geht über die Bedürfnisse anderer hinweg und lässt niemals einen Zweifel daran, dass sich jeder ihrem Willen unterordnen zu habe. So werden z. B. Einladungen von entfernten Freunden zwar zugesagt, aber kurzfristig nicht wahrgenommen, weil das Wetter zum Flanieren einlädt.
Das alles beobachtet Frances sehr genau. Mit einer unglaublichen Präzision beobachtet sie sowohl Alix und ihren Zirkel als auch sich selbst. Sie erkennt schließlich sehr schmerzhaft, dass sie nicht als Freundin gesehen und geschätzt wird, sondern nur ein Beobachtungsobjekt des Paares ist, das sie zudem finanziell ausnutzt. Sie wird zwar nun endlich gesehen, aber umgekehrt beobachtet sie das Paar mitleidlos und voyeuristisch, ausschließlich zu seinem eigenen Vergnügen, so wie sie auch das Leben der anderen „Freunde“ nur unter dem Aspekt der eigenen Unterhaltung sehen.
Mit ihrer glasklaren, völlig schnörkellosen Sprache seziert die Autorin ihre Protagonistin, und zwar mit einer Gnadenlosigkeit, die mir stellenweise den Atem nahm. Mir kam es so vor, als ob sie Frances nicht nur sezierte, sondern fast skelettierte: schonungslos und unbestechlich.

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Frances Hinton führt ein sehr zurückgezogenes Leben. Sie hat einen Job in einer medizinischen Bibliothek. Sie lebt zusammen mit der Haushälterin ihrer verstorbenen Mutter zusammen. Alles ändert sich schlagartig, als sie ein extravagantes Paar kennenlernt. Diese nimmt sie in ihren Freundeskreis auf. Sie bewundert Nick und dessen Frau Alix. Man liest sehr eindrücklich, wie sie mit deren Hilfe aus ihrem Schattendasein heraustritt. Doch sie muss auch erkennen, dass diese Welt nicht nur glanzvoll ist. Dieses Buch schildert eine wunderbare Biografie, welche ich mit Vergnügen gelesen habe. Das Lesen ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber sehr gutgeschrieben. Das Buch empfehle ich gerne weiter.

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Francis Hinton führt ein farbloses und eintöniges Leben. Sei arbeitet tagsüber in einer Bibliothek und geht abends heim in ihre große Londoner Wohnung, wo sich die ehemalige Haushälterin ihrer verstorbenen Mutter um sie kümmert. Doch dann lernt sie das ungewöhnliche Paar Nick und Alix kennen und wird in deren Freundeskreis aufgenommen. Von nun an setzt sie alles daran, dass sich das nicht so schnell wieder ändert und nimmt dafür sogar in Kauf, von Alix Fanny, die Waise genannt zu werden, obwohl ihr diese Verniedlichung widerstrebt. Ob und wie ihr das gelingt - lesen Sie es selbst.

Anfangs plätschert die Geschichte so vor sich hin, um dann plötzlich - ich vermag gar nicht zu sagen, wann oder wo - an Fahrt aufzunehmen und fesselte mich dann so, dass ich an manchem Tag auf dem Weg von oder zur Arbeit Mühe hatte, nicht die Haltestelle zu verpassen, an der ich aus der Bahn aussteigen musste, weil ich so in den Bann meiner Lektüre gezogen war.

Beim Lesen fand ich nur wenige, vereinzelte Hinweise darauf, dass Anita Brookner diesen Roman im Original bereits vor 40 Jahren verfasst hat, Er könnte in leicht abgewandelter Form auch heute noch so geschrieben werden.

Die Autorin war mir bisher nicht bekannt, aber nach diesem Lesehighlight wird es für mich nicht das letzte ihrer Bücher gewesen sein. "Seht mich an" ist für mich eine große Überraschung und jede Empfehlung wert.

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Ich lasse mir gern Bücher empfehlen. So folgte ich unlängst einem Tipp von Daniel Schreiber, der mit seinem Essayband Allein zuletzt eine kluge, sehr persönliche und intensive Auseinandersetzung mit dem Leben ohne Partner und Familie veröffentlicht hat: dieses sei in unserer Gesellschaft, so zeigte er, immer noch die Ausnahme von der Regel oder eben auch die Verletzung einer unsichtbaren Norm.

Auf diese Weise liest Schreiber auch den nun neu aufgelegten Roman Seht mich an der britischen Schriftstellerin Anita Brookner:

"Brookners Röntgenblick macht klar, dass trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen die Zweisamkeitsgrammatik unserer Kultur so wirksam ist wie je zuvor,"

so Schreiber, der Anita Brookner nicht nur sehr verehrt, sondern diesen Roman, ursprünglich 1983 erschienen, als erschütternde Lektüre beschreibt: "Seht mich an ist ein Roman über das Nicht-Erkannt-Werden, über die Verzweiflung des Nicht-Gesehen-Werdens, der wahrscheinlich schmerzhaftesten Form von Einsamkeit."

Im Mittelpunkt des Romans steht wie so oft bei Brookner eine gut situierte, allein lebende Frau, aus deren Perspektive die ziemlich überschaubare Handlung erzählt wird. Fanny, so ihr Name, arbeitet in der Bibliothek eines Forschungsinstituts, das sich vor allem mit psychischen Erkrankungen beschäftigt. So kann Fanny Seiten über die Melancholie und über Geisteskrankheiten schreiben; und das Schreiben stellt neben der recht kontaktarmen Erwerbsarbeit die zweite Beschäftigung dar, mit der Fanny ihre Tage verbringt. Sie lebt allein mit der Haushälterin ihrer gestorbenen Mutter in der geerbten Wohnung. Soziale Kontakte pflegt sie nur wenige, diese aber eher aus Pflichtgefühl und diszipliniert an Ritualen festhaltend.

"Ich bin noch ziemlich jung, und ich bin mir bewusst, dass ich ein langweiliges Leben führe."

Anita Brookner: Seht mich an. Mit einem Nachwort von Daniel Schreiber. Aus dem Englischen von Herbert Schlüter. Eisele Verlag 2023

In dieses einsame, vorhersehbare Leben kommt Bewegung, als Fanny von dem lebensfrohen Paar Nick und Alix in die Londoner Gesellschaft eingeführt wird; Restaurantbesuche, Ausflüge und ein Spiel mit den gesellschaftlichen Konventionen bringen Hoffnung auf Veränderung – und dann kommt als viertes James ins Spiel, mit dem Fanny eine zarte Freundschaft beginnt ...

All das wird elegant, mit großer Geduld und geradezu umständlich von Fanny erzählt; selbst die leichtesten Geschehnisse aber verlieren in dieser Prosa, die immer wieder von um größte Genauigkeit bemühte Selbstreflexionen unterbrochenen wird, ihre Leichtigkeit. So sehr man es ihr wünscht, man ahnt, dass Fanny die unterschwellig ersehnte – aber immer von sich geschobene – Befreiung aus dem engen Korsett ihres Daseins nicht erleben wird.

Anita Brookner, die von 1981 bis 2009 fast im Jahrestakt einen Roman veröffentlicht hat, nimmt sich viel Zeit für diese kleine, aber so bewegende Geschichte. Sie schreibt brilliant und immer ganz auf der Seite dieser leisen, missverstandenen Frau – und das macht die Lektüre mit zunehmender Seitenzahl so grausam. Wie bekannt kommen mir manche Verhaltensweisen vor, mit denen Fanny ihr Innerstes vor dem Zugriff der Gesellschaft zu schützen versucht, wie sie sich vor Schmerzen förmlich krümmt und dennoch aufrecht zu gehen vorgibt. Wie sie vor Sehnsucht vergeht – und nichts anderes weiß als sich zurückzuziehen.

"Ich gäbe meine gesamte Produktion von Worten hin, von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen, wenn ich dafür einen leichteren Zugang zur Welt bekäme und wenn ich sagen dürfte: 'Das tut mir weh – das mag ich nicht – das will ich will haben.' Oder auch nur: ’Seht mich an!’"

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Anita Brookner erzählt in "Seht mich an" eine Geschichte über Gemeinschaft, Verlust und Einsamkeit. Die Protagonistin, die Archivarin und alleinstehende Frau Frances Hinton, verbringt ihre Tage inmitten von Büchern und Gemälden. Sie führt ein ruhiges und zurückgezogenes Leben in einer geerbten Wohnung. Dann lernt sie das schillernde Pärchen Nick und Alix kennen, die sie aus ihrer Einsamkeit herausreißt.

Anita Brookner schreibt mit großer Empathie und Einfühlungsvermögen über die Gefühle und Gedanken ihrer Figuren. Die Sprache ist zurückhaltend und präzise, was die emotionalen Widerstände von Frances Hinton subtil und einfühlsam beschreibt.

Insgesamt ist "Seht mich an" ein ruhiges und feinfühliges Buch über Einsamkeit, Liebe und das menschliche Bedürfnis nach Verbindung. Es ist ein Werk, das uns an die Schönheit des menschlichen Geistes erinnert und uns lehrt, dass wir uns auch in den schwierigsten Zeiten auf uns selbst verlassen können. Wer eine ruhige und introspektive Lektüre sucht, wird dieses Buch sicherlich genießen.

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Was für eine geniale Idee diesen Roman in Zeiten von Social Media neu aufzulegen. Er hilft uns die ewigen psychologischen Push- and Pull-Faktoren von Annäherungen zu verstehen, die unserem Verhalten zugrunde liegen. Wir sind nicht »narzisstisch geworden«. Wir waren schon immer so, wie wir jetzt auf Facebook, Twitter und Instagram sind. Eitel und einsam. Großartig entwickelt bei Anita Brookner in ihrem Psychogramm einer entstehenden Abhängigkeit.

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Über die Autorin:
ANITA BROOKNER, 1928 in London geboren, studierte Kunstgeschichte am King’s College und absolvierte ein postgraduales Studium an der Universität von Paris. Brookner wurde Expertin für französische Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts und übernahm 1967 als erste Frau die Slade-Professur der Schönen Künste in Cambridge. 1981 erschien ihr literarisches Debüt Ein Start ins Leben. Ihr Roman Hotel du Lac wurde 1984 mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Obwohl Anita Brookner erst in ihren Fünfzigern literarisch zu schreiben begann, verfasste sie bis zu ihrem Tod 2016 in London insgesamt 24 Romane. Sie gilt als meisterhafte Stilistin. (Quelle: Verlag)


Übersetzung:
Herbert Schlüter

Erster Satz:
Sobald eine Geschichte bekannt geworden ist, kann sie nie wieder unbekannt werden.

Mein Eindruck:
Frances Hilton ist jung, gebildet und vermögend. Nach dem Tod ihrer Mutter lebt sie mit deren früheren Haushälterin Nancy in dem geerbten Appartement zusammen. Frances arbeitet als Bibliothekarin und führt ein äußerst zurückgezogenes Leben. Sie pflegt gerade mal mehr oder weniger den Kontakt zu ihren Kollegen.

Frances ist unglaublich einsam. Sie wünscht sich im Grunde nur eines, endlich gesehen zu werden, Freunde zu haben. So freut sie sich unendlich als sich das glamouröse Paar Nick und Alix ihr zuwendet. Sie bekommt das Gefühl „gesehen zu werden“. Und bemerkt zunächst nicht, dass es den Beiden nur um eines geht, um sich selbst. Alix stammt aus einer mittlerweile verarmten Familie und lebt immer noch in ihrer Erinnerung an vergangenen Zeiten.
Frances ist gut genug als ihr persönliches Amüsement, darf nach deren Pfeife tanzen und gerne auch die Rechnungen von Restaurantbesuchen begleichen. Als sich noch James zu ihnen gesellt, erhofft sich Frances ein kleines Stück persönlichen Glücks mit ihm.

Ab da wendet sich das Blatt. Frances ist klug genug, um sich selbst und die Handlung der anderen zu reflektieren. Es tut schmerzhaft weh das alles zu lesen.

Anita Brookner durchleuchtet jedes Gefühl, jede Handlung von Frances. Nichts bleibt verborgen. Ein grandioser Roman, der mir fast den Atem genommen hatte und mich sprachlos zurückließ. Ich hatte Mitleid mit der Protagonistin, hätte sie am liebsten selbst in die Arme genommen und ihr gesagt, dass ich sie sehe. Es gab Szenen in dem Roman, die ich wohl nie vergessen werde. Zum Beispiel das Weihnachtsessen und der Spaziergang zurück nach Hause. Brookner verfügt über eine klare und äußerst präzise Sprache, die einem als Leser durchrüttelt. Ein großartiges Buch, das mir ausgezeichnet gut gefallen hatte. Für mich eines meiner Jahreshighlights. Eine Leseempfehlung für entsprechend Interessierten.
Daniel Schreiber hat ein sehr feines Nachwort geschrieben, das ich an dieser Stelle auch empfehlen möchte.

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Meine Meinung:
Eine traurige Geschichte, in einer wunderschönen Sprache erzählt

Als ich die Geschichte beendet habe war ich richtig traurig. Zudem hat sich mir die Frage gestellt, wie ich meine Eindrücke in Worte fassen kann. Kann ich diesem literarischen Meisterwerk mit meinen Worten gerecht werden? Schaffe ich es, die Gefühle zu transportieren, die eine einsame Frau in mir ausgelöst hat? Eigentlich müsste ich jetzt nur das Nachwort von Daniel Schreiber wiedergeben. Er hat alles so phänomenal in Worte verpackt. Beim Lesen hatte ich durchgehend zustimmend mit dem Kopf genickt. Dennoch! Ich versuche es mal.

Frances Hilton ist eine Frau, die es sich nicht erlaubt ihre wahren Gefühle zu zeigen. Ihre Eltern leben nicht mehr. Sie lebt in einer Wohnung, die fast schon einem Museum gleicht. In einer medizinischen Bibliothek verdient sie sich Geld, welches sie nicht nötig zu haben scheint. Sie ist vermögend und gleichzeitig bescheiden. Ihr soziales Leben beschränkt sich auf das Sonntagsessen bei einer Kollegin und deren Familie. Man hegt die Hoffnung, dass sie den Sohn der Familie heiraten wird. Doch Frances ist in Liebesdingen traumatisiert. Leider erzählt sie nicht wieso. Ich habe beim Lesen immer gehofft mehr darüber zu erfahren. Sie lernt in der Bibliothek einen Mediziner und seine kapriziöse Frau näher kennen. Zu dritt unternehmen sie sehr viel. Ich konnte das Ehepaar von Anfang an nicht leiden. Meiner Meinung nach haben sie Frances wie ein Versuchsobjekt behandelt, das ihnen ihre gepflegte Langeweile nehmen soll. Die Gefühle der einsamen Frau haben sie nicht im Mindesten interessiert. Die Oberflächlichkeit der Beiden ist einfach nur grenzenlos. Von Empathie konnte ich nichts spüren. Als James mit ins Spiel kommt, habe ich große Hoffnung für Frances gehegt. Leider ging diese Beziehung einen Weg, der mehr als ungesund war ... Am liebsten wäre ich zwischen die Seiten gekrochen um Frances kräftig zu schütteln. Warum hat sie nicht einmal mit der Faust kräftig auf den Tisch geschlagen und gebrüllt: >>Nicht mit mir! Sucht euch jemand anderes für eure Minderwertikeitskomplexe. Mischt euch nicht auf so penetrante Weise in mein Leben ein. Ihr seid keine Freunde. Ihr seid Parasiten!<< Nein, so erwas hätte Frances nie gesagt. Sie hat gelächelt, wenn ihr zum Weinen war. Sie hat regelmäßig eine ehemalige alte Kollegin besucht, die sie nicht leiden konnte. Wollte Autorin werden, dann wieder nicht. Sie hat jedoch bei allen Geschehnissen gedanklich einen Roman geschrieben. Alles und jeden beobachtet. Selbst sich selbst immer genau beobachtet. Jedes Lächeln und jede eigene Reaktion. Sie wollte sich keine Gefühle in der Liebe erlauben. Was nur ist damals passiert. Das, über das sie nicht mal mit uns Lesern sprechen kann/möchte. Toxische Freundschaften beherrschen ihr Leben. Aus jedem Wort spricht ihre grenzenlose Einsamkeit. Sie ist stolz auf ihre Fassade, die sie hoch erhobenen Hauptes trägt. Und genau die trägt zu ihrer sozialen Isolation bei. Ihrer alten Haushälterin kündigt sie nicht, um dieser nicht weh zu tun. Diese Frau ist so gefangen in ihrem falschen Denken, dass es beim Lesen so richtig weh tut. Das Ende ist furchtbar traurig.

Fazit:
Die britische Autorin Anita Brookner hat ein Meisterwerk hinterlassen, welches nach dem Lesen noch lange nicht beendet ist. Man möchte wissen, ob Frances wirklich ihre Geschichte aufgeschrieben hat. Mein Kopfkino hält sämtliche Enden bereit. Ein großes Dankeschön von mir, für dieses wunderbare Buch.

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Anita Brookner: Seht mich an
Ein Schrei nach Aufmerksamkeit

Anita Brookner (1928 - 2016) begann erst in ihren Fünfzigern literarisch zu schreiben. Die Kunsthistorikerin war dann aber im Laufe ihres Lebens mit insgesamt 24 Romanen sehr produktiv. Meist stehen alleinstehende, einsame Frauen in deren Fokus, so dass es nahe liegt, dass die Autorin auch autobiografische Erlebnisse in ihren Büchern verarbeitete.

Frances Hinton, die Ich-Erzählerin, erzählt ihre Geschichte in der Retrospektive. Sie träumt schon lange davon, einen großen Roman zu schreiben. Mit dieser Geschichte will sie sich der schmerzhaften Vergangenheit stellen. „Sich erinnern heißt, dem Feind ins Angesicht zu sehen. In der Erinnerung liegt die Wahrheit.“ (S. 5) Seit dem Tod ihrer Mutter lebt Frances allein mit dem Hausmädchen in ihrer geerbten, musealen Wohnung. Tagsüber arbeitet sie in einer medizinischen Fachbibliothek. Die Begegnungen mit den etwas schrulligen Kollegen und Bibliotheksbesuchern sind ihr Lebensinhalt, vor dem Wochenende fürchtet sie sich regelrecht. Frances sehnt sich nach Abwechslung, nach Leben. Sie möchte ihrem grauen Dasein entwischen und gesehen werden.
Als sie den Mediziner Nick Fraser mit seiner extrovertierten Frau Alix näher kennenlernt, scheinen sich Frances´ Wünsche zu erfüllen. Alix wirkt wie ihr eigener Gegenentwurf. Sie sieht in diesem oberflächlichen Glamourpaar ihre Eintrittskarte ins Glück und ist zunächst überrascht, dass sich die beiden überhaupt ihrer annehmen. Nach anfänglichen wechselseitigen Einladungen verbringen die Drei immer mehr Zeit zusammen. Frances idealisiert und überhöht das Paar einerseits. Andererseits unterzieht sie deren Verhalten zumindest im Nachhinein einer kritischen Bewertung: „Ich war der Bettler bei ihrem Festmahl, der ihnen allein durch seine Gegenwart bestätigte, dass sie reicher waren als ich. Oder als ich auch nur hoffen konnte, es je zu werden.“ (S. 79) Wobei es hier definitiv nicht um materiellen Reichtum geht, denn darin ist Frances dem Paar – sehr zu Alix´ Missfallen – bei Weitem überlegen. Frances ist es, die die meisten Restaurantrechnungen bezahlt.

Frances schildert die Entwicklung der Freundschaft weitgehend chronologisch. Sie sieht deren Sog und Gefahren, kann sich aber nicht bremsen. Zu verlockend sind die lebhaften Unternehmungen, die Kontakte zum illustren Bekanntenkreis der Frasers. Spannend wird es, als mit James Anstey ein weiterer Mann zu dem Trio hinzustößt, der sich insbesondere für Frances zu interessieren scheint. Als Leser beobachtet man die Beiden mit positiven Gefühlen, weil man Frances wünscht, dass sie mit James einen Weg aus der Isolation findet.
Die Beziehungen innerhalb dieser Vierergruppe entwickeln sich wenig vorhersehbar. Frances´ schreibende Perspektive geht den wechselseitigen Konstellationen auf den Grund. Sie hat viel Zeit damit verbracht, die Entwicklung dieser Freundesgruppe genau zu analysieren und das Verhalten Einzelner auszudeuten. Das Wechselbad der Emotionen wird absolut glaubwürdig und nachvollziehbar beschrieben. „Jetzt wurde mir auf einmal klar, was es für mich wirklich mit dem Schreiben auf sich hatte und hat. Es ist die Buße dafür, nicht glücklich zu sein, ein Versuch, die anderen zu erreichen und sich so ihre Liebe zu erwerben.“ (S.118)

Dieser Roman hat mich von der ersten Zeile an gepackt und nicht mehr losgelassen. Er ist literarisch hochwertig gemacht und wird von einer konstanten Melancholie durchzogen, während er das Innenleben einer einsamen Frau beschreibt, die nach einer schlechten Erfahrung zutiefst verunsichert ist. Frances´ nüchterner Analyse der Ereignisse bin ich sehr gerne gefolgt. Wir erfahren nach und nach vieles aus Frances´ Vergangenheit, was Aufschlüsse für ihr ambivalentes Verhalten gibt. Auch die Nebenfiguren werden perfekt ausgeleuchtet, manche davon scheint eine negative Vorsehung für die Protagonistin darzustellen. Vieles steht zwischen den Zeilen geschrieben. Das Aufeinandertreffen der verschiedenen Lebenswelten enthält reichlich dramaturgisches Potential, das dank Frances´ Selbstbeherrschung jedoch meist nicht zum Ausbruch kommt.
Insofern gestaltet sich der Roman eher ruhig und unaufdringlich. Man braucht etwas Geduld, weil er sich fast ausschließlich mit Frances´ Innensicht beschäftigt.

Anita Brookner ist eine famose Beobachterin. Sie muss über große Menschenkenntnis verfügen, sonst wäre ihr dieses Psychogramm nicht so gut gelungen. Die sprachliche Ausgestaltung empfinde ich als einen Genuss, die Autorin beherrscht ihr Fach, sie schreibt wortgewandt, präzise und klar. Es ist dem Übersetzer Herbert Schlüter perfekt gelungen, diese Akkuratesse ins Deutsche zu übertragen. Die Sprache passt zur Erzählerin und zur Erzählzeit der 1960er Jahre.
Ich konnte Frances´ Sehnsüchten und Gedanken jederzeit folgen, auch wenn sie aufgrund ihrer Distinguiertheit nicht unbedingt eine Sympathieträgerin ist. Der Roman leuchtet das Phänomen der Einsamkeit in vielen Facetten aus. In Zeiten, in denen Familien auseinanderbrechen und immer mehr Single-Haushalte entstehen, darf man das Thema als zeitlos betrachten. Das informative Nachwort hat passenderweise Daniel Schreiber, Autor des Buches „Allein“ (Hanser Berlin, 2021), verfasst. Er ordnet „Seht mich an“ in das Gesamtwerk der Autorin ein und liefert Interpretationsideen.
Für mich war der Roman ein intensives Leseerlebnis. Ich wünsche diesem modernen Klassiker viele Leser und spreche eine große Leseempfehlung aus.

4,5/5 Sterne

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„Ich schreibe, um hart zu werden“

Anita Brookner schreibt in „Seht mich an“ präzise und herausragend über die Einsamkeit

„Das allgemeine Publikum kennt uns kaum, was auch nicht unbedingt unser Wunsch wäre. Wir besorgen vielmehr das Material für unseren eigenen wissenschaftlichen Mitarbeiterstab, für auswärtige Fachkollegen und für die gelegentlichen, sehr seltenen Besucher. Im Augenblick können wir nur mit dem Erscheinen von Mrs. Halloran und Dr. Simek rechnen. Mrs. Halloran ist eine etwas wild dreinblickende Dame mit einer täuschenden Aura von Autorität, die behauptet, in Kontakt mit der überirdischen Welt zu stehen, und die sich bemüht, ihre Theorie zu beweisen, dass die meisten Anomalien im menschlichen Verhalten dem Einfluss des Saturn zuzuschreiben sind. Solche Grenzfälle begegnen einem sehr häufig in Bibliotheken, Dr. Simek ist ein ungemein zurückhaltender Tscheche oder Pole (wir sind uns nicht ganz sicher, was von beiden, und wir meinen, dass es auch nicht unsere Sache ist, dem nachzuforschen). Anhand einer Reihe kleiner Karteikarten arbeitet er über die Geschichte von Depressionen oder, wie man früher sagte, der Melancholie. Er kommt jeden Tag. Beide kommen jeden Tag, und zwar, wie ich vermute, hauptsächlich deshalb, weil die Bibliothek so gut geheizt ist.“

Wer je längere Zeit in einer wissenschaftlichen Bibliothek saß, hatte neben der Fachliteratur bisweilen Gelegenheit, die Leser an den anderen Tischen zu studieren. Deren skurrile Eigenheiten, die über die Wahl des Platzes und der Anordnung der Utensilien oft hinausgingen, waren stets willkommene Ablenkung. Gemeinsam widmeten sie sich ihren Lektüren, sie arbeiten oft nebeneinander und aufgrund der Schweigepflicht kontaktlos. Diese notwendige Einsamkeit setzt sich bei der Ich-Erzählerin in Anita Brookners Roman „Seht mich an“ außerhalb der Bibliothek fort. Sie ist nicht die einzige Figur, die diesem Gefühl ausgesetzt ist. Einsamkeit ist das stärkste Motiv dieses Romans, Brookner variiert es vielfältig und schafft dadurch Szenen, die an die Bildwelten Edward Hoppers erinnern. Mit Künstlern und deren Werken kennt sich die Kunsthistorikerin Anita Brookner (1928-2016) bestens aus. Die in London geborene Tochter polnischer Einwanderer lehrte als Professorin in Cambridge. Der fiktiven Literatur widmete sie sich spät, aber erfolgreich. Ihr Debüt „Ein Start ins Leben“ erschien 1981, das drei Jahre später veröffentlichte Werk „Hotel du Lac“ erhielt den Booker Price.

In ihrem dritten Roman „Seht mich an“ verleiht die Autorin ihrer Figur Frances profunde kunsthistorische Kenntnisse, wenngleich die Ich-Erzählerin keine Kunsthistorikerin ist, sondern als Bibliothekarin eines medizinischen Instituts arbeitet. Gleich zu Beginn führt Frances den Leser in die Ikonographie der Melancholie ein. Die Begriffe Einsamkeit und Melancholie, der Vorläuferin der Depression, könnten die Vermutung aufkommen lassen, es handele sich um eine eher traurige Lektüre. Das ist nicht der Fall.
Frances Hinton, um die Dreißig und attraktiv, lebt nach dem Tod ihrer Mutter in der elterlichen Wohnung. Diese liegt in einem noblen Stadtteil Londons, denn ihr Vater hatte an der Börse ein beachtliches Vermögen angesammelt. Frances lebt alleine, ihre einzige Gesellschaft, die aufgrund der Distanz nicht als solche gewertet werden kann, ist die alte Haushälterin Nancy.
Wenige weitere Kontakte findet Frances an ihrem Arbeitsplatz: Dr. Leventhal, den zurückhaltenden Bibliotheksdirektor - „er gehört zu den Männern, die ihr Schweigen nur brechen, um eine kritische Bemerkung zu machen“-, ihre Kollegin und Fast-Freundin Olivia und die beiden im Eingangszitat charakterisierten Stammgäste. Lediglich Nick Fraser, ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts, belebt mit seinen Auftritten die Atmosphäre. Dieser Nick und seine Frau Alix sind es, die Frances schließlich aus ihrem Alltag ent- und in die gesellschaftlichen Gepflogenheiten einführen. Neben Wohnung, Bibliothek, den Treffpunkten mit Nick und Alix, spielen die dunklen Londoner Parks eine nicht unbedeutende Rolle im Roman.
Dieser beginnt mit dem von der Ich-Erzählerin als langweilig empfundenen Routineleben. Jeder Tag folgt dem gleichen Ritual. Aufstehen, zur Arbeit gehen, Lunch mit Olivia, am Ende der Arbeitszeit kauft Frances eine Zeitung, trinkt einen Kaffee und geht zu Fuß nach Hause. Dort wartet ein von Nancy bereitetes Mahl, das ihr nie schmeckt. Den Abend beschließt sie mit einigen Notizen, dann geht sie zu Bett. Das Alleinsein schenkt Frances viel Zeit zum Nachdenken, was spät abends ins Schreiben mündet. Als ihre Mutter noch lebte, berichtete sie ihr vom Tag in der Bibliothek und brachte sie damit zum Lachen. Jetzt, da niemand mehr da ist, der ihr zuhört, schreibt sie es auf. Vielleicht hatte ihre Mutter recht und es entsteht ein Roman, überlegt Frances, womit Brookner ein interessanter Twist auf die Metaebene gelingt. Was für Frances zunächst eine Ablenkung gegen die Einsamkeit ist, wird immer mehr zum Hilfsmittel. Sie schreibt, um andere zu erreichen, um endlich gesehen zu werden. Schließlich, in ihrer größten Not notiert sie, „Ich schreibe, um hart zu werden“.

Die Introspektionen werden von exakten Beobachtungen der Umgebung und der Personen ausgelöst. Sie münden in tiefe Analysen, durch die die Protagonistin schließlich Einsichten gewinnt. Es ist ein langsamer Prozess des Bewusstwerdens, den Brookner mit großem psychologischem Gespür schildert.
Frances‘ Beobachtungen voller Sensibilität aber auch Ironie sind ihr Schutzschild gegen die Zumutungen des Alltags. Sie errichten zugleich eine Schranke, die sie abhält, sich zu wehren und endlich zu handeln. In der Rückschau, in der das gesamte Geschehen des Romans geschildert wird, scheint diese Lethargie umso schmerzhafter auf. Frances benennt ihre sozialen Ängste, ohne sie zu erkennen. „Der Mensch, dem sie am meisten Furcht macht, ist sie selbst.“ Obgleich sie eine Expertin für Melancholie ist und Alix‘ Depression als Langeweile entlarvt, verschließt sie die Augen für den eigenen Zustand. Frances hält sich nicht nur für kerngesund, sondern „kann unglückliche Menschen nicht leiden“. Von ihrer Melancholie erzählt sie nur verklausuliert in Bildern und Metaphern.

Das Paar Nick und Alix erscheint Frances als Retter aus dem tristen Einerlei. Sie findet es auch großartig von ihnen, „sich so viel Zeit für Leute zu nehmen, denen es an Kraft und Selbstvertrauen fehlt, um ihnen Mut zu machen“. Geblendet von deren Elan und Esprit folgt sie diesen und möchte ihnen gefallen, um dazu zu gehören. Ob dies gelingen kann, ist fraglich, denn von dem Freundespaar trennt sie ein Verhalten, das diese Upperclass-Kids verinnerlicht haben, während es Frances als Tochter neureicher Einwanderer fremd ist. Gefangen in ihrem Bestreben übersieht sie den narzisstischen Charakter des Paars, der sich besonders im Verhalten von Alix zeigt. Sie braucht Menschen wie Frances, die ihr unterlegen oder besser untergeben sind. Alix ist ein Vampir, der die Bewunderung und die Geduld seiner Opfer aussaugt. Diese müssen gefügig sein, sonst werden sie fallen gelassen. So geschieht es auch Frances, als sie beginnt, nach ihren Wünschen zu handeln.

Brookner verleiht ihrem Roman genau beobachtete Szenen und analysiert empathisch und nicht ohne Augenzwinkern ihr Personal. Zugleich gelingt es ihr, Spannung zu erzeugen, Vorahnungen und Andeutungen durchziehen den ganzen Roman – die Leserin ahnt, daß etwas faul ist, sie weiß nur nicht, was – die Spannung kulminiert in hochspannenden Szenen, nachts in den dunklen Parks. Das Ende der Geschichte bleibt offen, doch man ahnt, daß die Heldin gewonnen hat. Rückblickend erzählt diese, erfahren und weise geworden, von ihrer Emanzipation. „Ich wollte nur sehen, wie die anderen, die freien Menschen, ihr Leben führten, und dann konnte ich mein eigenes beginnen.“.

Der Roman „Seht mich an“ erschien erstmals im Jahr 1983. Im Nachwort der Neuauflage des Eisele Verlags bezeichnet Daniel Schreiber ihn als „großen, erschütternden und durch und durch gloriosen Roman“. Dem ist nichts entgegenzusetzen.

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Die englische Autorin Anita Brookner (Jahrgang 1928), deren jüdische Eltern vor den Pogromen in Polen flohen und als Migranten nach London kamen, ist in ihren Romanen eine sehr feinfühlige Beobachterin. Häufig stellt sie Figuren in den Mittelpunkt – meist Frauen - , die etwas am Rande stehen, nur zu leicht übersehen werden, als scheinbare Selbstverständlichkeit hingenommen werden und sich auch selbst nur ein Schattendasein zubilligen.
So eine Person scheint auch Frances Hinton zu sein, die in einer medizinischen Fachbibliothek arbeitet und davon abgesehen – trotz ihrer Jugend – ein sehr zurückgezogenes, langweiliges, einsames Leben führt. Nur die Haushälterin ihrer verstorbenen Mutter (mit osteuropäisch-jüdischem Background) leistet ihr Gesellschaft. Ihrer Einsamkeit versucht sie durch Schreiben zu begegnen.
Dann lernt sie Nick kennen, der für medizinische Recherchen in die Bibliothek kommt, und dessen Frau Alix. Beide sind ein glamouröses Paar aus der Oberschicht, vor allem Alix ist sehr dynamisch, raumgreifend und selbstbewusst – das genaue Gegenteil von Frances. Dennoch geht von dem Paar eine besondere Faszination aus, der sich Frances kaum entziehen kann, verkörpern doch die beiden eine Lebendigkeit, eine Abenteuerlust, eine Weltläufigkeit, nach der sie sich heimlich sehnt.
Als sie vom Ehepaar zum Essen eingeladen und so allmählich auch in ihre Kreise eingeführt wird, scheint sich für Frances ein Traum zu erfüllen. Doch ist sie wirklich für diese Art von Leben geschaffen? Und welche Fäden im Hintergrund zieht Alix als vermeintliche Freundin und Kupplerin?
Ein Buch, das – typisch für Anita Brookner – durch die leise, behutsame, kluge Schilderungen von Menschen und sozialen Dynamiken besticht. Auch wenn dieser literarische Klassiker bereits 1983 erstmals erschienen ist und sich vieles im Rollenverständnis der Geschlechter verändert hat, sind gewisse psychologischen Muster und Prägungen doch zeitlos und sehr interessant zu lesen.

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Dieser klugen und elegant schreibenden Autorin wünsche ich noch viele Leser! Auf hohem Niveau erforscht sie den menschliche Seele, vor allem hier die der verlassenen Frau, die lernt, hinter die Fassade anfangs bewunderter Mitmenschen zu blicken und dann zu sich selbst zu finden.
Eine Perle für den anspruchsvollen Leser mit hintergründigem Humor!

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Eine traurige und anrührende Geschichte auf sprachlich hohem Niveau, die einen aber dennoch von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Dieses Buch hat das Zeug zum modernen Klassiker.

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