Unruhe

Roman

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Erscheinungstermin 04.11.2018 | Archivierungsdatum 08.11.2018

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Zum Inhalt

Ein aufstrebender Journalist reist aus Istanbul in seine Heimat an die türkisch-syrische Grenze. Dort sucht er nach Spuren eines Freundes und stößt auf die Berichte junger Jesidinnen, die dem IS entkommen konnten. Immer tiefer gerät er in einen Sog aus aktuellen und alten Geschichten, Leidenschaften und Gewalt, der ihn zwingt, seine Herkunft und sein Leben neu zu bewerten. Als Ibrahim, der in Istanbul ein geschäftiges aber gewöhnliches Leben führt, vom Tod seines Jugendfreundes Hüseyin erfährt, kehrt er zum ersten Mal seit vielen Jahren in ihre gemeinsame Heimatstadt Mardin zurück. Auf den Spuren des Freundes erfährt er von dessen geheimnisvoller Verlobten Meleknaz. Fasziniert von den Berichten über die junge Jesidin taucht er ein in die Mythen und Überlieferungen ihrer Kultur und trifft auf eine Gruppe von Frauen, die aus der Gefangenschaft des IS fliehen konnten. Zülfü Livaneli konfrontiert den Leser mit einer emotionalen und hochaktuellen Geschichte nahöstlicher Realität, in der Liebe und Schmerz ineinander übergehen. »Livaneli ist eine unverzichtbare Autorität in der kulturellen und politischen Szene der Türkei.« Orhan Pamuk  

Ein aufstrebender Journalist reist aus Istanbul in seine Heimat an die türkisch-syrische Grenze. Dort sucht er nach Spuren eines Freundes und stößt auf die Berichte junger Jesidinnen, die dem IS...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783608962673
PREIS 18,00 € (EUR)
SEITEN 168

Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Unruhe ist ein beeindruckender Roman des bedeutenden türkischen Autors Zülfü Livaneli mit aktuellem Thema. Übersetzt wurde der Roman von Gerhard Meier. Der Autor versteht es kulturelle und politische Szenen der Türkei dem Leser nahe zu bringen.
Vor 5 Jahren habe ich den Roman Glückseligkeit gelesen und freue mich, das ich den neuen Roman Unruhe bei Klett-Cotta entdeckt habe.

Der junge Journalist Ibrahim erfährt in Istanbul vom Mord an seinem Jugendfreund Hüseyin in der USA. Seine Zeitung schickt ihn in seine Heimatstadt Mardin um mehr über die Hintergründe zu erfahren. Mardin liegt an der türkisch-syrischen Grenze.

Hüseyin hat Jesidinnen, einer Glaubensgruppe aus Syrien, die von der IS gefangen waren und fliehen konnten, geholfen. So macht er sich die zu Feinden.
Ibrahim erfährt auf den Spuren seines Freundes von einer geheimnisvollen Verlobten und macht sich auf die Suche nach ihr.

Der Autor beschreibt den unglaublichen Leidensweg der jesedischen Frauen.

Zülfü Livaneli lässt seinen Protagonisten diese Geschichte emotional erzählen und sie ist brandaktuell. Genial.

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Der Journalist Ibrahim kehrt nach vielen Jahren in Istanbul in seinen Heimatort Mardin an der Grenze zu Syrien zurück. Sein Kindheitsfreund Hüseyin ist in den USA erstochen worden und Ibrahim begibt sich auf Spurensuche, befragt Angehörige und Zeitzeugen. Vor seiner Redaktion lässt sich der lange Aufenthalt damit rechtfertigen, dass gerade Angelina Jolie ein Flüchtlingslager in der Region besucht. Der stets gutherzige Hüseyin hatte sich als Helfer in einem Flüchtlingslager in die Jesidin Meleknaz verliebt und dafür seine Verlobte verlassen. Eine Heirat wird jedoch von der muslimischen und der jesidischen Religion verboten. Nach heftigen Konflikten mit Eltern und Geschwistern wegen seiner konfliktträchtigen Wahl flüchtet Hüseyiin zu seinen Brüdern in die USA, nachdem in Mardin auf ihn geschossen worden ist. Kurz nach seiner Ankunft wird er dort von religiösen Extremisten getötet.

Ibrahim erkennt, dass er sich seiner Heimatstadt entfremdet hat, aber auch, wie stark sich der Islam in seiner Abwesenheit gegenüber dem gelassenen Stil verändert hat, den seine Mutter heute noch lebt. Natürlich muss er als Journalist sich auch mit Gewalt und Menschenhandel im Namen seiner Religion auseinandersetzen und warum Menschen ihren religiösen Führern kritiklos folgen. Zentrale Punkte in Ibrahims Auseinandersetzung mit Hüseyins Tod sind jedoch das Einzelschicksal und Erklärungsversuche in Gleichnissen. Onkel Fuat, der Vater von Ibrahims Freund Mehmed, erklärt ihm das Problem der „Harese“, einer Gier, die Menschen und auch Tiere dazu führt, sich selbst zugrundezurichten. Ein Kamel würde Disteln fressen, bis es blutet und müsse bis zum Verbluten immer weiter fressen. Genauso würde der Nahe Osten sich selbst töten. Ibrahim bezieht sich im Text auf einen bildlichen Vergleich in Livanelis Roman „Glückseligkeit“. Dort vergleicht der Autor türkische Intellektuelle mit Trapezartisten, die ihren eigenen (heimatlichen) Trapezgriff bereits losgelassen hätten, den neuen (westlichen) jedoch noch nicht ergriffen.

Wer sich von der Erklärung aktueller weltpolitischer Konflikte in Gleichnissen angesprochen fühlt, wird Ibrahims Spurensuche gern folgen. Zugleich ist „Unruhe“ eine willkommene Gelegenheit für eine Wiederbegegnung mit „Glückseligkeit“ unter veränderten äußeren Bedingungen.

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Ibrahim hat seine südostanatolische Heimat schon lange verlassen, um in Istanbul als Journalist zu arbeiten. Als er auf eine Todesmeldung stößt, wird er stutzig: kann es sich bei dem in Amerika getöteten Türken um seinen alten Schulfreund handeln? Alles spricht dafür und so reist er nach Mardin, um die Hintergründe zu erforschen. Was er dort erfährt, wird sein Leben nachhaltig verändern. Hüseyin war verliebt in eine Frau, doch es war eine Liebe, die nicht sein durfte. Er Muslim, sie Jesidin aus einem der stadtnahen Flüchtlingslagern. Ibrahims Spurensuchte führt ihn zu diesen Geflüchteten und die Geschichten, die er hört, lassen ihn nicht mehr los.

Zülfü Livaneli ist neben Orhan Pamuk eine der bedeutendsten Stimmen der Türkei, vor allem, weil er in seinen Romanen gesellschaftskritische Themen verarbeitet und unbequeme Wahrheiten anspricht. So auch in „Unruhe“, das den Umgang mit Jesiden, die Verachtung dieser Religion und die Ablehnung der Menschen offen anspricht und am Beispiel von Hüseyin und Meleknaz die Absurdität auf die Spitze treibt.

„Im Nahen Osten ist es seit jeher üblich, dass man sich gegenseitig umbringt und nicht merkt, wie man sich dabei selbst tötet.“

Es sind solche Sätze, die wie Nadelstiche auf diejenigen wirken müssen, an die sie gerichtet sind. Es ist nicht nur das unsägliche Treiben des IS, das im Namen einer Religion legitimiert wird und weltweit für Entsetzen sorgt, das Livaneli kritisiert. Dies ist einfach, denn kaum jemand wird ihm da widersprechen. Schwerer wiegt jedoch der Umgang der Bewohner im Grenzland mit den geflüchteten Jesiden. In einem Lager dürfen sie hausen, man kümmert sich auch dort um sie, aber sie sollen bitte auch dort bleiben und auf keinen Fall Beziehungen mit Muslimen eingehen. Meleknaz erfährt kein Mitleid für ihr Schicksal, statt Verständnis schlägt ihr Hass von Hüseyins Familie entgegen.

Aber auch Ibrahim muss erkennen, dass sein Verhalten zweifelhaft ist. Beobachtet er zunächst die Haltung von Hüseyins Familie, ist hierdurch geradezu verstört und sucht fieberhaft nach der jungen Frau, so muss er sich doch irgendwann eingestehen, dass auch er mehr aus Eigennutz handelt als aus Nächstenliebe: er will sich selbst und anderen beweisen, dass er ein guter Mensch ist, seinem Leben Sinn geben. Dass er dabei die Bedürfnisse der Frau ignoriert, wird ihm erst spät bewusst.

„Unruhe“ ist ein kurzer, schonungsloser Roman, der das Schicksal einer Glaubensgemeinschaft ins Zentrum stellt, deren Geschichte von Verfolgung und Hass gekennzeichnet ist. Er wirft kein gutes Bild auf die Welt, die zusieht, im besten Fall schweigt, im schlimmsten für zusätzliches Leid sorgt.

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Ibrahim hat seine kleine Heimatstadt an der türkisch-syrischen Grenze eigentlich längst hinter sich gelassen. Er arbeitet schon seit Jahren als Journalist in Istambul und hat keinen Gedanken mehr an seine Kindheit verschwendet. Doch als er hört, dass ein alter Schulfreund von ihm in Amerika erstochen wurde reist er zurück. In Mardin mit seinem roten Sand und den Flüchtlingslagern praktisch vor der Tür begibt er sich auf Spurensuche: Wieso wurde der herzensgute Hüseyin getötet? Was trieb ihn nach Amerika? Und was hat es mit seiner jesidischen Verlobten auf sich, wegen der es fast zum Bruch mit seiner Familie gekommen wäre?

Livanali lässt neben Ich-Erzähler Ibrahim viele Menschen zu Wort kommen, was für verschiedenste Blickwinkel sorgt. Wie auch der ruhige Grundton hat mir das sehr gefallen. Wie nebenbei informiert der Roman über die jesidische Glaubensgemeinschaft und die Vorurteile mit denen sie zu kämpfen haben. Er informiert über Leid und Missstände und lässt schließlich auch Ibrahim sich selbst und sein Leben hinterfragen. Allein an Hüseyin Geschichte wird die Absurdität der Welt sichtbar: Aus der Türkei musste er fliehen, weil der IS ihm vorwarf kein richtiger Muslim zu sein. In Amerika wurde er dann von Extremisten getötet, eben weil er Muslim war.

„Was tat eigentlich der Gott so vieler Religionen, während all das geschah, fragt ich mich und hatte die Antwort auch gleich parat. Er ruhte sich wohl aus, denn es musste der siebte Tag sein; in sechs Tagen hatte er die Welt erschaffen, und nun, am siebten Tag hatte er sich zum Ruhen zurückgezogen. Und darum vermutlich die Schreie nicht gehört.“ S. 92

"Unruhe" ist ein kurzer aufrüttelnder Roman, der einfach rund ist. Mir hat die Sprache unheimlich gut gefallen. Der Aufbau hält den Leser durchweg bei der Stange. Ich hatte nie den Eindruck, dass ich belehrt werden sollte und die ernsten Themen wurden immer wieder mal humorvoll aufgelockert. Livaneli informiert ohne zu belehren. Er klagt an ohne zu verurteilen. Er schafft eine wunderbar mystische Atmosphäre und findet auch bei schweren Themen einen leichten Ton. Nach dem Beenden des Buches hätte ich gleich wieder von vorne anfangen können. Einfach ein wunderbarer Roman zur richtigen Zeit.

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Als in seiner Redaktion in Istanbul die Meldung eingeht, dass ein junger Türke namens Hüseyin Yilmaz im amerikanischen Jacksonville erstochen wurde, horcht der Journalist Ibrahim auf. Schnell wird klar: Es handelt sich tatsächlich um seinen Schulfreund, der dort durch Rassisten zu Tode kam. Ibrahim fährt zum ersten Mal seit Jahren in seine Heimatstadt Mardin, weit im Osten der Türkei an der syrischen Grenze, um die Hintergründe der Tat zu recherchieren und der Beerdigung beizuwohnen.

Nachdem er die ersten Gefühle der Fremdheit überwunden hat, taucht er ein in eine Welt, die er fast vergessen hatte, die ihn aber mehr und mehr gefangen nimmt. Sein Leben in Istanbul erscheint ihm hier, „wo die Zeit rückwärts fließt“, wo Mythen noch lebendig sind und Aberglaube keine Seltenheit ist, als hektisch und sinnlos.

Er erinnert sich an Hüseyin als schmalen, schwachen Jungen, der allerdings im Koran-Unterricht der gelehrigste war. Von allen Verwandten und Freunden wird er als hilfsbereiter Mann geschildert, der sich mit seiner ganzen Kraft für Arme, Kranke und Unterdrückte eingesetzt hat. Zuletzt hatte er viel Zeit in den Flüchtlingslagern verbracht. Dort hatte er auch Meleknaz kennengelernt, für die er seine Verlobung löste und mit der er Hochzeitsvorbereitungen traf. Doch Meleknaz ist Jesidin und damit für Hüseyins Mutter, wie für viele andere, eine Teufelin, die ihren Sohn verhext und alles Unheil, das ihm geschah zu verantworten hat. Meleknaz ist in ihren Augen Schuld daran, dass Hüseyin von Islamisten angeschossen wurde, dass er die Familie durch die Auflösung seiner Verlobung brüskiert hat und dann nach Amerika zu seinen Brüdern fliehen musste, um sich in Sicherheit zu bringen.

Ibrahim ist fasziniert von den Erzählungen über Meleknaz, die kurz vor Hüseyins Abreise verschwand. Er beginnt ihren Spuren zu folgen und stößt dabei auf Lebensgeschichten voll unfassbarer Grausamkeit, die die Überlebenden – vor allem Frauen – in einem Zustand jenseits aller Gefühle zurücklassen. Meleknaz zu finden, wird für Ibrahim zur fixen Idee. Zeitweise zweifelt er an seinem Geisteszustand, fühlt sich zerrissen zwischen Ost und West, zwischen Orient und Europa.

Zülfü Livaneli, Komponist, Sänger, Filmemacher und einer der erfolgreichsten Autoren der Türkei, erzählt die Geschichte von Hüseyin, Meleknaz und Ibrahim aus wechselnden Perspektiven. Ibrahims Recherche ist im Buch dokumentiert: Die Berichte von Hüseyins Schwester, seinem Bruder, seinem alten Koran-Lehrer und einem seiner Freunde, die Gespräche mit einem jesidischen Scheich und einem aramäischen Priester, die Erzählung von Zilan, einer jungen Jesidin, über ihr grausames Schicksal in der Gefangenschaft und auf der Flucht ergeben ein vielstimmiges Bild der Ereignisse. Immer wieder reflektiert Ibrahim über seine Rolle in der Welt, seine Aufgabe als Journalist und als Mensch. So setzt sich Stück für Stück eine erschütternde und bewegende Geschichte zusammen, die bei Ibrahim in die Erkenntnis mündet, dass durch Mitleid die Pein nicht gelindert wird und dass er als Journalist das Sprachrohr der Vergessenen und Ungehörten ist.

Dieser schmale Roman hat es in sich, er rüttelt auf und zwingt zum Nachdenken über eigene Standpunkte und eigenes Handeln, über Fremdes und Vertrautes, über Vorurteile und Verständnis. In ihm steckt die Poesie und Märchenhaftigkeit des Orients genauso wie unbegreifliche Gewalt, Härte und Unrecht. Er öffnet die Augen und schenkt einen neuen Blick auf die politische und gesellschaftliche Situation in der Türkei. Wer sich dafür interessiert oder einfach ein richtig gutes Buch lesen möchte, dem sei „Unruhe“ wärmstens empfohlen.

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„Zu meiner Kindheit war der Islam in Mardin noch anders. Wenn wir an meiner betenden Großmutter vorbeiliefen oder ihr gar auf den Rücken kletterten, fürchtete sie zwar, ihr Gebet werde dadurch ungültig, doch wehrte sie sich nur so, dass sie gutmütig ihre Gebetsformeln mit lauter Stimme wiederholte (…) In der Stadt, in der Schule, überall waren Aramäer, Muslime, Juden und Zoroastrier miteinander befreundet und feierten gemeinsam die jeweiligen Feiertage. Jetzt dagegen verkommt die Stadt unter dem Schatten eines in sich gekehrten, verhärteten, wütenden Islams.Wenn das andere Ich an der Vaterhand durch die Straßen ging, wurde ihm fast schwindlig von der Mischung aus Anis- und Grilldüften, die manchen Restaurants entströmte. Das roch so gut und so ganz anders als das Essen zu Hause, dass das Kind – wenngleich auch daheim Raki getrunken und an aramäischem Kirschwein genippt wurde – sich vorkam wie in einer anderen Welt. Nun hingegen erscheinen mir die Straßen dunkler als damals, freudloser, öder (…)“

Das schreibt Zülfü Livaneli in seinem neuesten Roman Unruhe. Diese Themen, die Veränderung der Grenzstadt Mardin unter der nahen Bedrohung, aber auch unter dem Einfluss des türkischen fundamentalen Islams, der Widerstreit zwischen lokaler Tradition, Verwestlichung und dem wie auch in Unruhe wieder deutlich wird tatsächlich fundamental m o d e r n e n Islamismus – variiert der Roman in zahlreichen Konstellationen. Dabei wirken besonders die ersten Seiten hervorragend. Bildhafte Beschreibungen, präzise Beobachtungen machen die Hauptkonflikte in einer Weise erfahrbar, die an den großen Yasar Kemal erinnern lässt. Zusammengehalten wird das von der Handlung um den Tod Hüseyins, der sich in Syrien in eine geflüchtete Ezidin verliebt, dem islamischen Staat noch gerade so in die USA entkommt und dort ausgerechnet von Nazis umgebracht wird. Der unwahrscheinlichen Liebesgeschichte und dem Verbleib der Geliebten nach forscht der Istanbuler Journalist Ibrahim, der in Mardin aufgewachsen ist und mit Hüseyins zur Schule ging.
Leider kippt der Roman mit der Zeit öfter ins Thesenhafte. Dem Verhältnis von Muslimen und Christen der Region zu Eziden wird viel Raum gegeben, vor allem durch einzelne lokale Stimmen, die den Journalisten in ausgedehnten Redeströmen berichten. Hier fehlt dann die Vermittlung zur Welt, die die ersten Seiten des Romans so stark macht. Eine interessante Lektüre bleibt Unruhe dennoch. Und zwischendurch setzt der Text auch immer mal wieder literarische Glanzpunkte. Wer noch immer nicht realisiert hat, wie nah die Konflikte des Nahen Ostens an – bzw. in die Türkei hinein gerückt sind und was das für die Bevölkerung und (mindestens auch) Europa bedeuten könnte, wird hier reichlich Material zum Nachdenken finden. Kurz ist der Roman noch dazu. Eigentlich gibt es keinen Grund, ihn nicht zu lesen.

Anmerkungen:

– Etwas überkonstruiert wirkt die Rahmenhandlung mit dem Nazimord. Kann aber beim Lesen meist vernachlässigt werden.
– Ibrahim ist offensichtlich der moralische Anker der Erzählung. Dass er platt behauptet, am gesamten Syrienkonflikt sei die USA schuld, macht ihn als solchen ebenso problematisch wie die Art, wie er über die Exfrau redet. Vielleicht wollte – Livaneli aber auch einen ambivalenteren Charakter kreieren. So richtig klappt das aber nicht.
– Das Buch ist erschütternd brutal. Nicht durch exzessive Gewaltdarstellung. Sondern durch das unvorstellbare, distanziert geschilderte Schicksal der Sklavinnen des IS.

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INHALT
Ein aufstrebender Journalist reist aus Istanbul in seine Heimat an die türkisch-syrische Grenze. Dort sucht er nach Spuren eines Freundes und stößt auf die Berichte junger Jesidinnen, die dem IS entkommen konnten. Immer tiefer gerät er in einen Sog aus aktuellen und alten Geschichten, Leidenschaften und Gewalt, der ihn zwingt, seine Herkunft und sein Leben neu zu bewerten.

Als Ibrahim, der in Istanbul ein geschäftiges aber gewöhnliches Leben führt, vom Tod seines Jugendfreundes Hüseyin erfährt, kehrt er zum ersten Mal seit vielen Jahren in ihre gemeinsame Heimatstadt Mardin zurück. Auf den Spuren des Freundes erfährt er von dessen geheimnisvoller Verlobten Meleknaz. Fasziniert von den Berichten über die junge Jesidin taucht er ein in die Mythen und Überlieferungen ihrer Kultur und trifft auf eine Gruppe von Frauen, die aus der Gefangenschaft des IS fliehen konnten.
(Quelle: Klappentext Klett Cotta)
MEINE MEINUNG
Mit „Unruhe“ hat der bekannte türkische Schriftsteller Zülfü Livaneli einen beeindruckenden, gesellschaftskritischen Roman mit einer sehr aktuellen Thematik verfasst. Es ist ein überaus gelungener, unaufgeregt erzählter Roman, der mit seiner emotionalen Geschichte aufrüttelt und den Leser sehr betroffen und nachdenklich zurücklässt.
Angesiedelt ist die Handlung in der Stadt Mardin nahe der türkisch-syrischen Grenze gelegen, wo viele vor dem Islamischen Staat und seinen Gräueltaten geflüchtete Menschen aus Syrien in Flüchtlingslagern untergekommen sind. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der sympathische Ich-Erzähler Ibrahim, ein engagierter Journalist aus Istanbul, der wegen der Beerdigung seines Jugendfreundes Hüseyin nach langer Zeit in ihren Heimatort Mardin zurückkehrt. Wir begleiten ihn auf seiner Spurensuche, die ihn zu früheren Bekannten mit ihren Geschichten führt und alte Erinnerungen in ihm heraufbeschwört. Aus Ibrahims Blickwinkel erleben wir seine fesselnden Nachforschungen zu den mysteriösen Hintergründen des Tods seines Freunds und zu dessen geheimnisvoller Verlobten Meleknaz, einer jungen geflohenen Jesidin mit einem blinden Baby. Sehr eindringlich und einfühlsam beschreibt Livanali in verschiedenen Episoden, wie sehr die jesidische Glaubensgemeinschaft mit Vorurteilen und offenen Anfeindungen selbst im muslimischen Exil durch die Bewohner im Grenzland zu kämpfen hat. Nach und nach lässt der Autor uns in die faszinierenden jesidischen Mythen und befremdlichen Traditionen dieser recht archaischen Kultur eintauchen. Was Ibrahim schließlich aber über die grausame Verfolgung der Jesiden, ihren Massenmord durch den IS und ihr leidvolles Schicksal von einer jesidischen Frau im Flüchtlingslager erfährt, rüttelt ihn auf und lässt auch uns Leser sehr betroffen zurück. Zunehmend beginnt er – konfrontiert mit den dörflichen Mythen und islamischen Traditionen - seinen westlich geprägten Lebensstil und seine bisherigen Überzeugungen zu hinterfragen. Ibrahims obsessive Suche nach Hüseyins verschollener Verlobten wandelt sich immer mehr zu einer eigenen Sinnsuche.
Trotz der eher schweren, schonungslosen Thematik versteht es Zülfü Livaneli mit seinem oftmals blumigen Erzählstil, eine gewisse Leichtigkeit in seine Geschichte zu bringen und dem Leser sein Anliegen nicht belehrend, sondern unterhaltsam und anschaulich zu vermitteln.
FAZIT
Eine schonungslose, nachdenklich stimmende Geschichte über Schmerz, Hass, Verfolgung und Gewalt, aber auch über die versöhnlich stimmende Kraft der Liebe, die bisweilen alle Grenzen überwinden kann.
Sehr lesenswert!

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Der Roman bringt das Thema Nahost-Glaubenskonflikt sehr gut rüber. Mir hat das Buch gefallen, allerdings denke ich dass es eher schwer verkäuflich sein wird.

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Eine klare Lesempfehlung.
Ein grausames zeitaktuelles Thema, sehr intelligent und vielschichtig bearbeitet. Es wirkt lange nach und regt zum Nachdenken an.
Dieses Buch fasziniert mich durch diesen Reichtum an Informationen einerseits, Poesie andererseits und durch die „Menschwerdung des Protagonisten“.

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Das kann man einfach nicht beschreiben, wie toll dieses Buch ist. Aktuell, liebevoll und auch mit einem Ziel.

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Ein aufstrebender Journalist reist aus Istanbul in seine Heimat an die türkisch-syrische Grenze. Dort sucht er nach Spuren eines Freundes und stößt auf die Berichte junger Jesidinnen, die dem IS entkommen konnten. Immer tiefer gerät er in einen Sog aus aktuellen und alten Geschichten, Leidenschaften und Gewalt, der ihn zwingt, seine Herkunft und sein Leben neu zu bewerten. Als Ibrahim, der in Istanbul ein geschäftiges aber gewöhnliches Leben führt, vom Tod seines Jugendfreundes Hüseyin erfährt, kehrt er zum ersten Mal seit vielen Jahren in ihre gemeinsame Heimatstadt Mardin zurück. Auf den Spuren des Freundes erfährt er von dessen geheimnisvoller Verlobten Meleknaz. Fasziniert von den Berichten über die junge Jesidin taucht er ein in die Mythen und Überlieferungen ihrer Kultur und trifft auf eine Gruppe von Frauen, die aus der Gefangenschaft des IS fliehen konnten.

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Mit „Unruhe“ hat der im Exil lebende türkische Schriftsteller Zülfü Livaneli einen Roman um Liebe, Freundschaft und die Schatten blutiger Konflikte im türkisch-syrischen Grenzgebiet geschrieben. Es ist auch eine Geschichte über Entfremdung und zögerliche Wiederentdeckung der eigenen Wurzeln, den Zwiespalt junger türkischer Intellektueller zwischen traditionellem Orient und säkularem Westen. Ganz wunderbar ist das auch in der Sprache des Erzählers wiedergespiegelt – mal nüchterne Selbstbilanz, mal so poetisch, dass sie anknüpft an Erzählungen und Dichtungen wie aus tausendundeiner Nacht.
Ich-Erzähler Ibrahim macht sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg in die Kleinstadt im Südosten der Türkei, in der er seine Kindheit erlebte. Er hat dort buchstäblich keine Wurzeln mehr, die Eltern sind schon lange tot. Doch bei einem der Mord- und Totschlagsfälle in der Redaktionskonferenz merkt er auf: Der Tote ist ein ehemaliger Mitschüler und Jugendfreund. Was ist passiert, was führte zum Tod von Hüseyin, der immer der stillste, schwächste und am wenigsten aggressive der Klasse war?
Ibrahim reist zurück und die Suche nach der Geschichte Hüseyins führt ihn nicht nur zu einer komplizierten Liebesgeschichte, zu Aberglauben und Vorurteilen, sondern auch zum langen Arm der IS-Kämpfer, der bis in die Türkei reicht, zum Schicksal jener Jesidinnen, die als Sexsklavinnen in die Hände der IS-Kämpfer fielen und nun traumatisiert in Flüchtlingslagern leben, zu der einstigen kulturellen Vielfalt seiner Heimatregion, in der sich früher ganz Selbstverständlich Kurdisch, Türkisch und Arabisch mischten.
Die Spurensuche nach Hüseyin zieht Ibrahim zurück in die eigene Vergangenheit. Istanbul ist auf einmal sehr weit weg und Ibrahim wird in den Bann einer Frau gezogen, die er noch nie gesehen hat. Das hat etwas von der Poesie und der Gewalt wie einst bei Tschingis Aitmatows „Dshamila“.
Es ist eine kleine Welt, die Livaneli da beschreibt, doch die großen Konflikte, der Terror und die Gewalt haben jetzt Einzug gehalten. Der Schrecken und das Misstrauen verändern die einen – andere leben, so wie schon ihre Vorfahren seit Jahrhunderten gelebt haben mochten. Die Unruhe, die Ibrahim antreibt, ist auch eine Innere – die wachsende Unzufriedenheit mit seinem Istanbuler Leben, mit Materialismus und Konsum, der Anonymität der Großstadt, die in scharfem Kontrast steht zu der Gastfreundschaft, die er in der Stadt seiner Kindheit erlebt. Trauer, Liebe, Sehnsucht – „Unruhe“ ist voller Gefühle, aber nicht sentimental. Livaneli behält seinen scharfen Blick auf die Realitäten bei. Sein Buch ermöglicht auch einen Blick in eine Welt, die viele „westliche“ Leser entweder nicht kennen oder nur unzureichend verstehen. Eines der Bücher, die zum Blick über den eigenen Horizont einladen.

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Eine Jesidin und ihr Schicksal: das ist das Thema von Zülfü Livanelis Roman „Unruhe“ .

Erzählt wird die Geschichte der Jesidin Meleknaz aus Sicht des Journalisten Ibrahim. Und so wird aus der tragischen Lebensgeschichte der Jesidin eine Geschichte um Liebe, Mitleid, Gewalt und Hilflosigkeit. Denn der Journalist recherchiert nicht nur, er lässt sich immer mehr hineinnehmen in die Geschichte, die er da erfährt – eine innere Unruhe befällt ihn. Eine Unruhe, die er sich selbst nicht erklären kann.

Auslöser der Recherchen des Journalisten ist eine kurze Nachricht aus den USA: ein „hate crime“, ein Muslim wird erstochen Dass er aus der Stadt Mardin stammt, lässt den Journalisten Ibrahim aufhorchen: die Stadt an der syrischen Grenze ist seine Geburtsstadt. Bald schon ist klar: der Ermordete war ein Schulfreund von Ibrahim. Der reist nach Mardin und stößt auf eine Liebesgeschichte, die fast schon wie Romeo und Julia klingt. Der fromme Hüseyin trifft in einem Flüchtlingslager, wo er arbeitet, auf eine Jesidin – und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Die beiden wollen heiraten – gegen den Widerstand ihrer Familien und Religionen. Dass Hüseyin eine bestehende Verlobung dafür löst, macht die Sache nicht einfacher.

Doch an dieser Stelle beginnt erst der Alptraum für Meleknaz. An ihrem Beispiel erzählt Zülfü Livaneli das Schicksal der Jesiden in Syrien unter dem IS. Nach und nach trauen sich die Menschen, dem Journalisten Ibrahim zu erzählen, was geschehen ist. Und nach und nach findet Ibrahim so heraus, was Meleknaz erleiden musste und was aus ihr wurde. Je mehr er von ihr erfährt, umso mehr wächst in ihm der Wunsch, ihr und ihrem blinden Baby zu helfen. Sowohl dieser Wunsch in ihm wie auch die Ablehnung, die er erfährt, verstören den Journalisten immer mehr. Der Leser spürt förmlich, wie sehr ihn das beschäftigt, was er erfahren hat. Allerdings nimmt es auch sehr absurde Züge an, wenn er etwa beginnt, Liebesgedichte an Meleknaz zu schreiben wie es einst Hüseyin getan hat, um zu erreichen, dass sie seine Hilfe annimmt und ihren Stolz überwindet.

Ich muss zugeben, dass mich dieser Teil der Geschichte nicht ganz überzeugt hat, umso mehr aber die Geschichte der Jesiden, die in ihren Traditionen und in ihrem schweren Schicksal unter dem IS in Zülfü Livanelis Roman „Unruhe“ einem plastisch vor Augen treten.

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