Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit

Erzählungen

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Erscheinungstermin 25.10.2023 | Archivierungsdatum 24.12.2023

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Zum Inhalt

»Lebedew ist einer der besten russischen Schriftsteller der jüngeren Generation.« The New York Review of Books

Wenn man sich den Verbrechen der Vergangenheit nicht stellt, kehren sie in Gestalt von Gespenstern wieder. Auch die sowjetische und postsowjetische Zeit erzeugt mit ihren verdrängten Verbrechen fortwährend neue Ungeheuer. Sergej Lebedew folgt in seinen Erzählungen dem vergifteten Erbe der Sowjetunion und seinen unheimlichen Spuren in der Gegenwart: von Tschetschenien bis zur Ukraine, von Katyn bis Berlin. Ein leeres Gebäude oder Gelände, ein Rauschen in der Telefonleitung können dabei zu Auslösern der Erinnerung werden. Obwohl Lebedews Geschichten jeweils für sich stehen, verbindet sie ein gemeinsames Thema, ein gemeinsamer, poetischer Raum. In diesem Raum ziehen die Schatten der Vergangenheit ruhelos umher, und die Toten rufen fortwährend nach Gerechtigkeit.

»Lebedew ist einer der besten russischen Schriftsteller der jüngeren Generation.« The New York Review of Books

Wenn man sich den Verbrechen der Vergangenheit nicht stellt, kehren sie in Gestalt von...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783103975222
PREIS 25,00 € (EUR)
SEITEN 304

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Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Es handelt sich um Erzählungen eines russischen Schriftstellers.

Erfreulicherweise erfüllt dieses Buch das angekündigte Thema der nicht aufgearbeiteten Schuld der Vergangenheit, die dadurch auch auf die Gegenwart ausstrahlt.
Das zeigt exemplarisch schon die erste Erzählung Abend eines Richters. Das Winseln eines Hundes bewirkt bei einem korrupten Richter einen Flasback. Er erinnert sich an eine Schandtat seiner Jugend.

Es sind düstere Geschichten. Das verwundert bei dem Thema nicht.
Oft wird das Gefühl der Bedrohung transportiert.

Nicht jede Erzählung hat mir zugesagt, unbedingt erwähnenswert ist aber die brillante Titelgeschichte Titan. Darin bewundert der Icherzähler, ein junger Mann, einen Schriftsteller, der im Gulag war. Der Eindruck einer allumfassenden Verfolgung durch die Diktatur wird beklemmend vermittelt.

Für mich ist Sergej Lebedew eine Entdeckung.

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Sergej Lebedews übergreifendes Thema ist die Verdrängung und Vertuschung von Kriegsverbrechen der Sowjetunion. In „Der Himmel auf ihren Schultern“ hatte der Großvater des Erzählers nördlich des Polarkreises als Kommandant ein Arbeitslager geleitet. Als Geologe folgt er Jahrzehnte später den Spuren einer Gruppe von Häftlingen, an denen der Großvater sich schuldig gemacht hat bis ins eisige Niemandsland.

Die Geister der Toten als Spuren hingerichteter Kriegsgefangener finden sich auch in Lebedews neuem Band mit Erzählungen. Zu kleinen Funden wie Knöpfen oder Münzen, die der Permafrostboden mit der Zeit an die Oberfläche zurücktransportiert hat, kommen in seinen Erzählungen symbolhaft Gebäude, in denen Gefangene zusammengetrieben, und Schauplätze, an denen sie hingerichtet wurden. Stimmen der Toten belagern Menschen der Gegenwart u. a. in ihrer abgelegenen Datscha, wo sie Abstand zu Widrigkeiten des Alltags erwartet hatten. Doch auch auf dem Land ist Korruption und gegenseitige Bespitzelung allgegenwärtig. Subbotnik, das gemeinsame Ramadama der Hüttenbewohner, ist noch der harmloseste Ausleger unerwünschter Nähe in der Sommerhaus-Kolonie. An anderer Stelle verkörpert die „Datscha“ im übertragenen Sinn die Stelle für Statistik und Beurteilungen, von der nahezu jeder Lebenslauf abhängt.

„Der Obelisk“ führt in eine von Sträflingen gerodete Gegend, in der selbst zivile Tote der Gegenwart in ihren Gräbern keine Ruhe finden vor Geschachere um Privilegien. Lebedews Figuren, die sich so penibel mit den Grabmählern der eigenen Familie befassen, ignorieren hier die Massengräber, auf denen sie errichtet sind. In „Abend eines Richters“ zeigt Lebedew einen Mann, den Ereignisse seiner Kindheit bis heute und bis auf den Richtertisch verfolgen. Er muss einsehen, dass das System eines Staates dessen Zusammenbruch überleben kann. „Antoniusfeuer“ zeigt aus der Sicht des Geldverleihers Batizki die Macht von Erinnerungsstücken, die zu Beweismitteln für Massenmorde an politischen Gegnern und ebenfalls zu Schatten der Vergangenheit werden könnten. Mit „Die Scheune“ aus der gleichnamigen Erzählung schlägt Lebedew einen Bogen zu Gebäuden und Brunnenschächten, die die Gebeine im Sumpf bis heute überdauern. Große Erinnerungen benötigen große Lagerräume. Diese generationenübergreifende Story lässt sich dem Zweiten Weltkrieg zuordnen.

In weiteren Geschichten beeindruckt Lebedew mit der stimmungsvollen Beschreibung des Nordlichts und mit Figuren, die an Rändern und Außenposten des ehemaligen Reichs eingesetzt sind: ein Funktionär, dessen einzige Auslandsreise nach Ägypten führt, ein Pilot, dessen Trauma seine Existenz bedroht, und der Zuständige für eine militärisch bedeutsame Weiche in der Steppe. Mehrfach scheint das Thema der Kränkung Einzelner in totalitären Systemen durch. Neue Seiten schlägt der Autor u. a. mit „Das kurze Й“ auf, den kyrillischen Buchstaben, der - gespiegelt - mich an das Sütterlin-I erinnert: Rauf-runter-rauf-Pünktchen oben drauf. Die Kurzgeschichte folgt Iwan, dessen Großmutter Professorin war; die Bedeutung ihrer jugoslawischen Schreibmaschine wird ihm erst spät klar. Für Iwan als Diener des russischen Wortes und der russischen Macht ist das i der russischste Buchstabe. Die modernste Geschichte "Die Sängerin auf der Brücke“ spielt im Nachwende-Berlin. So herausragend wie komplex finde ich „Titan“. Hier rührt der Nachlass vom Jugendfreund des Vaters Ereignisse der 30er Jahre auf und kann den Erben noch heute ins Gefängnis bringen.

Da sich Zeitebenen, Erinnerungen, Ängste und Alpträume vermischen, sind Lebedews Erzählungen oft schwer zeitlich einzuordnen. Laut Prolog beziehen sie sich auf Tschetschenien, Ukraine, Katyn und Berlin. Geschichte lässt sich nicht im Untergrund vergraben und zum Verschwinden bringen, das nehme ich als übergeordnetes Thema mit, das der Autor zu verschiedenen Kreisen kombiniert. Geschichten regionaler oder familiärer Traumata sind in diesem Band meist generationenübergreifend und fallen damit ins Raster der Epigenetik.

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