Rezension

Cover: Wisting und der See des Vergessens

Wisting und der See des Vergessens

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Rezension von

Sebastian B, Rezensent*in

Auch ein erfahrener Ermittler wie William Wisting hat hin und wieder Urlaub, doch wer glaubt dass der vielbeschäftigte Kommissar nach all seinen kniffligen Fällen mal dankbar über eine Auszeit sein würde, der wird mit "Wisting und der See des Vergessens" eines Besseren belehrt. Man könnte geneigt sein zu behaupten, dass sein Schöpfer Jørn Lier Horst ihm die Verschnaufpause nicht gönnen würde, allerdings scheint Wisting selbst recht froh darüber zu sein, die freien Tage nicht tatenlos in seinem Haus oder mit Rasenmäher im Garten verbringen zu müssen. Denn als ihn während seines Urlaubs ein mysteriöser Brief mit einer einzigen Zahlenfolge als Inhalt erreicht, ist die Neugier des Kommissars sofort geweckt und er stellt umgehend eigene Nachforschungen an.

"Wisting und der See des Vergessens" ist der vierte Band des "Cold Case"-Ablegers der Hauptreihe und bereits der 15. Auftritt des beliebten Ermittlers insgesamt. Von Abnutzungserscheinungen ist jedoch nichts zu erkennen, denn die Hauptfigur sprüht regelrecht voller Tatendrang und kann selbst im Urlaub die Finger nicht von einem Rätsel lassen – was allerdings nachvollziehbar ist, denn der norwegische Bestsellerautor und Ex-Polizist Jørn Lier Horst hat seinen Helden wieder mal vor eine interessante Aufgabe gestellt, die auch die Lesenden schnell in den Bann ziehen wird. Dabei geht es diesmal um den rund 20 Jahre zurückliegenden Mord an einer 17-Jährigen, die auf dem Heimweg von ihrem Aushilfsjob verschleppt und getötet wurde. Der Fall wurde damals zwar schnell aufgeklärt und der Ex-Freund des Opfers für die Tat verurteilt, die kryptische Botschaft an die eigene Privatadresse regt Wisting jedoch zu einer umfassenden Überprüfung der damaligen Ermittlungen an – und Fans der Reihe wissen, dass der Kommissar dabei überaus gründlich vorgeht...

Auch in diesem Buch präsentiert sich William Wisting wieder als eher untypischer Protagonist eines nordischen Kriminalromans, denn von den üblichen Klischees wie Familientraumata oder Alkoholproblemen ist bei dem routinierten Polizisten nichts zu sehen, stattdessen tritt er als sympathischer und respektvoller Fragesteller, fürsorglicher Vater und Großvater und aufgeschlossener Ermittler auf, der auch neuen Methoden und Hilfe von anderen offen gegenüber steht und für den die lückenlose Aufklärung eines Falles vor persönlichen Eitelkeiten steht. Damit wirkt Wisting in diesem Genre fast schon etwas "langweilig", es ist aber ungemein angenehm einfach mal einen netten Menschen als Krimi-Hauptfigur zu haben, der weiß wo seine Stärken und Schwächen liegen und auch dementsprechend auftritt.

Im Gegensatz zu früheren Bänden nimmt Wistings Tochter Line hier allerdings nur eine sehr kleine Rolle ein und ist an den Ermittlungen nicht beteiligt, Fans der jungen Journalistin müssen hier also diesmal ein paar Abstriche machen. Wettgemacht wird das in Teilen mit einem weiteren Mordfall, der mehr oder weniger parallel zur eigentlichen Handlung läuft und in den Wisting aus Neugier immer mal wieder "hineinhört", natürlich nicht ohne sich dabei eigene Gedanken zu den Entwicklungen zu machen. Der Hauptfall ist jedoch wieder so, wie es Fans der Reihe gewohnt sind: wenig Action, dafür aber jede Menge Detailarbeit, mühsame Spurensuche, falsche Fährten, unermüdliche Laufarbeit und geduldige Befragungen. Nicht immer bringt jeder Ansatz automatisch Erfolg mit sich, aber eine derartige Darstellung von Polizeiarbeit macht die Wisting-Krimis eben auch sehr authentisch und glaubwürdig – hier zeigt sich die persönliche Diensterfahrung des Autors, der in seiner Laufbahn vermutlich auch häufiger Akten gewälzt hat als mit der Waffe Verbrechern hinterhergejagt ist.

Auch mit "Wisting und der See des Vergessens" liefert Jørn Lier Horst also wieder hohe Qualität ab und bietet genau das, was man sich von der Reihe erhofft: spannende Kriminalfälle, realistische Ermittlungsmethoden und sympathische Hauptfiguren. Wem skandinavische Krimis sonst zu düster und brutal sind, der bekommt hier vergleichsweise ein regelrechtes Wohlfühlprogramm geboten, ohne auf einen seriösen Krimiplot verzichten zu müssen. Vielleicht nicht immer der ultimative Nervenkitzel, aber garantiert nie langweilig.

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