Milchmann

Roman

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Erscheinungstermin 22.02.2020 | Archivierungsdatum 21.04.2020

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Zum Inhalt

»"Milchmann" ist stilistisch vollkommen unverwechselbar. In einem Moment beängstigend, dann wieder inspirierend. Überwältigend.« Jury des Man Booker Prize - Man Booker Prize 2018 (Fiction) - National Book Critics Circle Award 2018 (Fiction) - Orwell Prize 2019 »Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.« Mit Milchmann legte Anna Burns das literarische Großereignis des vergangenen Jahres vor. Ein Roman über den unerschrockenen Kampf einer jungen Frau um ein selbstbestimmtes Leben – weltweit gefeiert und ausgezeichnet mit dem Man Booker Prize. Eine junge Frau zieht ungewollt die Aufmerksamkeit eines mächtigen und erschreckend älteren Mannes auf sich, Milchmann. Es ist das Letzte, was sie will. Hier, in dieser namenlosen Stadt, erweckt man besser niemandes Interesse. Und so versucht sie, alle in ihrem Umfeld über ihre Begegnungen mit dem Mann im Unklaren zu lassen. Doch Milchmann ist hartnäckig. Und als der Mann ihrer älteren Schwester herausfindet, in welcher Klemme sie steckt, fangen die Leute an zu reden. Plötzlich gilt sie als »interessant« – etwas, das sie immer vermeiden wollte. Hier ist es gefährlich, interessant zu sein. Doch was kann sie noch tun, nun, da das Gerücht einmal in der Welt ist? Milchmann ist die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem Weg für sich sucht – in einer Gesellschaft, die sich ihre eigenen dunklen Wahrheiten erfindet und in der jeglicher Fehltritt enorme Konsequenzen nach sich zieht. Stimmen zur englischen Ausgabe »Ein einzigartiger Blick auf Irland in Zeiten des Aufruhrs.« Jury des Man Booker Prize »Brillant. Die beste Booker-Preisträgerin seit Jahren.« Metro »Tiefgründige, ausdrucksstarke, eindringliche Prosa.« Sunday Telegraph »Auf ein solches Buch haben wir dreißig Jahre lang gewartet.« Vogue »Originell, witzig, entwaffnend schräg. Einzigartig.« The Guardian »Beeindruckend, wortstark, lustig.« Irish Times »Milkman blickt mit schwarzem Humor und jugendlicher Wut auf die Erwachsenenwelt und deren brutale Absurditäten.« The New Yorker »Dieser Roman knistert vor intellektueller Kraft.« New Statesman

»"Milchmann" ist stilistisch vollkommen unverwechselbar. In einem Moment beängstigend, dann wieder inspirierend. Überwältigend.« Jury des Man Booker Prize - Man Booker Prize 2018 (Fiction) -...


Verfügbare Ausgaben

AUSGABE Anderes Format
ISBN 9783608504682
PREIS 25,70 € (EUR)
SEITEN 448

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Rezensionen der NetGalley-Mitglieder

Was für ein besonderes Buch!
Alleine schon der Versuch, sich zu orientieren, scheitert. Wann genau spielt die Geschichte und wo?
Der kulturelle Hintergrund passt in viele Zeiten, in viele Gesellschaften.
Die Zwänge sind oftmals die gleichen.
Darum wahrscheinlich auch das Bestreben der Autorin, das Buch so anonym zu gestalten, dass es in viele Vorstellungswelten passt.
Z. B. hat der Schwager hat keinen Namen. Er ist Schwager 3...
Die Schwestern werden ebenfalls mit Ziffern nach der Reihenfolge ihrer Geburt bezeichnet.
Durch diese Anonymisierung entsteht eine gewisse Austauschbarkeit. Den Menschen fällt es so vielleicht leichter, sich selber mit der Aussage des Buches in Kontakt zu bringen. Sich zu hinterfragen: Und in was für willkürlichen und sinnlosen gesellschaftlichen Zwängen bin ich gefangen? Was für Regeln befolge ich einfach ohne darüber nachzudenken? Und was für große Gefahren entstehen dadurch? Nicht zuletzt durch Vorurteile und Moralisieren. Menschen, die sich gegen einengende Systeme auflehnen, sind sofort die am aggressivsten zu bekämpfenden Feinde, weil sie das eigene Handeln der Angepassten in Frage stellen.
Dieses Buch ist eine Bereicherung für jeden, der wach ist.
Für jeden der kritisch ist.
Absolut empfehlenswert.

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Milchmann, der Titel und die Autorin – wollte es unbedingt lesen.

Und was für ein Buch. Den Leser erwartet hier ein absolut gelungenes Werk. War begeistert von der Ausdrucksweise / Schreibstil und dem hier dargelegten irischen Konflikt der 70er / 80er Jahre.
Bespitzelung, Gerüchteküche, Zwänge religiös und sozial.

Mir hat hier sehr gut gefallen:
Packende Sprache – intelligent und manchmal zum Schreien komisch.
Düster und beklemmend.
Die Personen haben hier keine Namen.
Schwager Drei…Vielleicht Freund und viele mehr.

Kein Buch für zwischendurch.
Die Autorin verlangt dem Leser hier Zeit und Hingabe ab, um das geschriebene zu verstehen und zu verarbeiten.


Fazit: Absolut verdienter Man Booker Literatur Preis.

Danke an NetGalley und dem Klett-Cotta Verlag für das Rezensionsexemplar. Dies hat meine Meinung hier in keiner Weise beeinflusst.

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Ich habe dieses Buch in 2019 im Original gelesen und es war mein Roman des Jahres. Jeder der es im Original lesen kann, würde ich das empfehlen, weil es einfach einen unglaublichen Sog und eine sehr dichte Atmosphäre auf den Leser überträgt, die nicht leicht in eine andere Sprache zu übertragen ist. Wer es nicht in Englisch lesen kann, sollte dieses Buch immer noch unbedingt lesen, weil es ein unfassbar gutes Buch ist und die Übersetzung eine Aufgabe gewesen sein muss, die sicher nicht leicht zu bewerkstelligen war.

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Was für ein Buch!!!
Anfänglich hat mich der Titel interessiert, und dann las ich die ersten Seiten und war wie elektrifiziert. Was für eine Idee: Die Protagonistin erzählt ihr Leben und nummeriert Geschwister, alles so anonymisiert und doch ist man hautnah dabei. Das Kopfkino läuft und läuft. Ich sehe förmlich die Nachbarinnen auf die Mutter einreden!
Ein Buch, von dem man nicht viel erzählen mag. Man muss es einfach selbst gelesen haben, denn der Sprachstil ist unvergleichlich. Es entsteht ein Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Ein Erlebnis von Literatur!!!

Absolut empfehlennswert!!!

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Bei diesem Buch hat es mir ganz besonders der Titel angetan. „Milchmann“. Einen Milchmann gab es früher, kenne ich aus den Erzählungen meiner Oma. Und was soll an so einem jetzt spannend sein, dass man ein Buch darüber schreibt und Preise gewinnt? Ich ließ mich also überraschen und war direkt von Anfang an begeistert. Warum? Weil es in diesem Buch keine Namen gibt. Es gibt den Milchmann, die Schwester, den Schwager. Die Brüder Dings und Dings, und Irgendwer McIrgendwas. Das liest sich, als ob man sich daran erst gewöhnen muss, aber überhaupt nicht. Ich konnte die Story lesen ohne zu stolpern, ohne überlegen zu müssen wer mit wem in welcher Beziehung steht.

Die Geschichte wird aus der Perspektive der mittleren Schwester erzählt. Sie wird gestalkt, und zwar von Milchmann. Dabei muss sie sich nicht nur verbal gegen ihn zur Wehr setzen, sondern auch die Tiraden ihrer Mutter aushalten, die gespielte Sorge ihrer Schwester, muss die Gerüchte ertragen, die über sie in die Welt gesetzt werden. Alles in allem: Sie hat es nicht leicht.

Die Autorin hat es geschafft, mit wenigen Worten und leichter Sprache einen Roman zu schaffen, der so viel mehr erzählt, als man im ersten Moment denkt. Sie bringt die Gedanken und Gefühle der mittleren Schwester so lebendig rüber, dass man denken könnte, sie sei es selbst gewesen. Sie hat mich mit diesem Buch aus der Komfortzone gelockt und ich habe es nicht bereut. Diese Buch ist es definitiv wert, dass man ihm eine Chance gibt!

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#Milchmann ist das Werk der irischen Autorin Anna Burns. Sie schreibt über die Zeit der großen Konflikte in ihrer Heimat, wo Mord und Totschlag an der Tagesordnung lagen. Die Rede ist oft von „Wir“ und „die da drüben“, wobei „drüben“ nur die andere Straßenseite war. „Unsere“ Religion und „deren“ Religion bietet ebenfalls immer wieder Stoff zu tödlichen Auseinandersetzungen.

In dem Buch #Milchmann beschreibt die Ich-Erzählerin ihr Leben in Irland. Sie berichtet von sexueller Nötigung durch ihren Schwager und der Gerüchteküche ihrer Nachbarschaft. In ihren Augen war es eine „Chefgerüchteküche“, die nicht nur ihr das Leben schwer machten. Die Menschen sind verstört, weil sie, geprägt von dauerhafter Gewalt und sozialen Konflikten, ihr Leben in Belfast fristen. Die Autorin verarbeitet hier eigene Traumen und Erlebnisse und das macht das Buch zu etwas Besonderem. Sie weiß, wovon sie schreibt. Nichts ist übertrieben und, obwohl zuweilen lustig, so blieb mir als Leser das Lachen im Halse stecken.

Die Hauptperson des Buches ist 18 Jahre alt und leidet unter den Familienverhältnissen. Der Vater ist depressiv und muss immer wieder zur langwierigen Behandlung in eine psychiatrische Klinik. Wie es damals wohl noch extremer war als heute, wo wurde die Erkrankung gegenüber der Nachbarschaft geleugnet. Die Mutter verstand nicht, was den Vater belastete. „Man sah doch nichts.“ Die junge Frau ist ebenfalls Opfer von Verleumdung und übler Nachrede. Keiner der Denunzianten hinterfragt den Wahrheitsgehalt der Gerüchte, dabei hätte sie deren Hilfe so sehr gebraucht.

Nein, es ist kein Buch, welches ich einfach mal so locker weg lesen konnte. Es gibt ungewöhnlich lange und verschachtelte Sätze sowie viele neue Wortschöpfungen. Oder haben Sie schon mal etwas von „Vielleicht-Freund“, „Zehnminutengegend“ oder „Bruder zwei“ gehört oder gelesen? Und gerade deshalb packte mich die Freude an außergewöhnlicher Literatur und ich ließ mich auf das besondere Buch ein. Es lohnte sich und ich lernte die Situation der Iren aus einer anderen Perspektive kennen. Nämlich der einer jungen Frau. Erschrecken war für mich, dass der Konflikt noch immer schwelt und der Roman in einer Zeit spielt, die noch gar nicht so lange zurück liegt. Wer sich auf ungewöhnliche Sprache einlässt, wird bei der Lektüre von #Milchmann nicht enttäuscht. #NetGalleyDE

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"Milchmann" objektiv zu bewerten, fällt mir wahnsinnig schwer. Ginge es nach der reinen Lektüreerfahrung, würde ich es schlecht bewerten, denn es ist es ein unendlich anstrengendes und zähflüssiges Buch. Ein Buch, das man mehrmals abbrechen möchte, es in die Ecke schleudern um es nie wieder zu öffnen. Und dann öffnet man es doch wieder und wird hineingezogen in eine Literatur voller Sprachgewalt und eine fiktionale Welt voller buchstäblicher Gewalt. "Milchmann" ist nämlich auch auf seine Art brilliant, gesellschaftskritisch, politisch, wagemutig, experimentell und unvergleichlich einzigartig. Ob es den renommierten Booker-Preis 2018 zurecht gewonnen hat? Ich kann es nicht beurteilen, da ich die Mitbewerber nicht gelesen habe. Die Auszeichnung hat aber sicher nicht nur politische Hintergründe.

Die Erzählweise ist speziell. Stellenweise entfaltet sie eine gewisse Sogwirkung, meistens ist sie aber ermüdend, lamentierend, enervierend. Der retrospektive innere Monolog der Ich-Erzählerin, der vorwiegend aus Litanei-artigen, teilweise halbseitigen Mammutsätzen und einer sperrigen Syntax besteht, verlangt dem Leser einiges ab, vor allem aber ein hohes Maß an Konzentration. Der Roman ist per se eine einzige Digression. Vom eigentlichen Thema, nämlich dem Stalking der Ich-Erzählerin durch den Milchmann, wird ständig abgeschweift, obwohl es am Anfang vorwiegend um das Thema geht - was gleichermaßen verwirrend ist.

Die Handlung ist denkbar dünn wie einfach: Eine 18-jährige Ich-Erzählerin, deren Namen wir nicht erfahren, lebt in einer ungenannten Stadt (Belfast in den 1970er Jahren), in der Bespitzelung, Gewalt, ziviler Ungehorsam und Terror alltäglich sind. Sie ist das mittlere Kind und eine von sehr vielen Töchtern einer 11-köpfigen Familie , wobei ihr Vater - der an einer psychischen Krankheit litt - und einer ihrer Brüder bereits verstorben sind (Letzterer aufgrund eines Anschlags).
Die Ich-Erzählerin macht sich verdächtig, weil sie scheinbar subversive Verhaltensweisen an den Tag legt, wie im Gehen zu lesen. Das ist ihre Art des Eskapismus, genau wie ihre Lektürewahl, die moderne Literatur ausklammert und die des 19. Jahrhunderts bevorzugt. Dieses unkonforme, unpolitische Verhalten ruft den ominösen Milchmann auf den Plan, der die sie bis zu seinem gewaltsamen Tod stalken wird. Die Bedrohung, die von Milchmann ausgeht, ist vage, subtiles Stalking, immer in der Schwebe und Psychoterror pur.
Das Stalking wiederum führt zu einer verhängnisvollen Spirale der Verdächtigungen, zu einer Hexenjagd, in der die Ich-Erzählerin zur Zielscheibe wird. Anna Burns zeigt hier gewissermaßen eine verkehrte Welt auf: Ein Verhalten wie das der Ich-Erzählerin, obwohl harmlos, erregt unangenehme Aufmerksamkeit. Ein guter bzw. “normaler” und unpolitischer Mensch zu sein ist verdächtig und subversiv, Mord, Gewaltexzesse und Erfahrungen des sinnlosen Todes hingegen alltäglich und Teil des Straßenbildes.

Anna Burns legt den Nordirlandkonflikt unters Messer ihrer Protagonistin, die ihn mit schmerzhafter Klarheit und Detailliertheit seziert. Das Sujet ist sicher für jeden Außenstehenden gewöhnungsbedürftig. Die Tatsache, dass man in ständiger Bedrohung lebt, nur weil man der falschen Religion angehört - ob man sie jetzt praktiziert oder nicht - ist harte Realität. In dieser Gesellschaft, in diesem Land, in dieser Stadt, in der die Ich-Erzählerin vor sich hin existiert, möchte niemand leben. Ich habe noch nie so oft das Wort "Autobombe" in einem einzigen Text gelesen.

Kann eine Geschichte funktionieren, in der niemand, der darin vorkommt, einen echten Namen hat? Ja, kann sie. Nach einer gewissen Lesezeit hat man sich daran gewöhnt und es fühlt sich völlig natürlich an. Namen werden zu Platzhaltern in einer Gesellschaft, in der in Schubladen gedacht wird: Irgendwer Mc Irgendwas, Vielleicht-Freund, Themenfrauen, Tablettenmädchen, Mittelschwester, Atomjunge, Milchmann. Dennoch: Als dann neben dem Milchmann auch noch der "Echte Milchmann" auftaucht, wird es langsam anstrengend, die Figuren voneinander zu unterscheiden. Die kleinen Schwestern der Ich-Erzählerin ("Mittelschwester"), drei an der Zahl und alle unter zehn Jahren alt, sind sowieso ein Kollektiv. Sie zeichnen sich alle durch Hochbegabung und nicht-altersentsprechende Intellektualität und Belesenheit aus.
Der Tenor der ganzen Anonymität: Alle sind austauschbar und besondere Merkmale gehören nicht in diese Gesellschaft, die nichts mehr scheut als Individualität. Namen verleihen Identität und Einzigartigkeit - etwas das hier nicht erwünscht ist.

Allerdings: Wo ist eigentlich der Humor? Ist es ein spezieller nordirischer Insider-Humor, den Außenstehende einfach nicht begreifen oder ein solcher, der in der Übersetzung verloren geht? Geschmunzelt habe ich vielleicht an einer oder zwei Stellen. Alles in allem aber ist das Buch ein zutiefst ernstes, wenig erfreuliches, oft deprimierendes.

Der Roman ist auch ein feministisches Manifest. Es geht mitunter darum, wie Frauen sich - weitgehend alleine - ihre Welt erschaffen und wie Männer versuchen, sie wieder einzureißen bzw. in ihren Grundfesten zu erschüttern. Männer (symbolisch: der Milchmann) bedrohen mit ihren Gewaltfantasien, ihrer Doktrin, ihrem Stalking und ihrem Machtstreben die komplexe (der Himmel ist bunt), differenzierte, vielfarbige, literarisch-künstlerische Existenz des Weiblichen (symbolisch: die Ich-Erzählerin).

"Milchmann" ist innovativ, ein literarisches Experiment, prädestiniert um zu polarisieren.
Dieses Buch ist eine Challenge, eine literarische Tour-de-Force, eine Bergbesteigung, ähnlich wie "Ulysses" von James Joyce. Man hat nach der Lektüre das Gefühl, einen literarischen Berg bestiegen zu haben, zufrieden, dass man den Aufstieg geschafft hat, aber auch froh ihn wieder verlassen zu dürfen.

“Milchmann” ist keine leichte Lektüre, sondern eine, die dem Leser ein hohes Maß an Konzentration und Bereitschaft für sprachliche Komplexität abverlangt. Wenn man sich aber darauf einlassen möchte, eröffnet das Buch manchem Leser vielleicht eine neue Sicht auf die Dinge, das Schöne hinter dem Grausamen und die vielen bunten Farben des Himmels, der alles andere als nur blau ist.

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Außergewöhnlich. Dieses Wort fällt mir als erstes ein, wenn ich an den Roman „Milchmann“ von der Autorin Anna Burns denke. Wortgewandt, lange, teilweise verschachtelte Sätze, spannend und doch in die Länge ziehend. Wiederholend und dennoch in jedem Wort das gewisse Etwas zu finden. So wirkte der Schreibstil in „Milchmann“ auf mich. Stets war ich auf der Suche nach dem, was mir die Autorin Anna Burns mit ihrem Buch wohl sagen will. Und dennoch – oder gerade deshalb – hat mich ihr Roman so sehr gefesselt und gefangen gehalten. In einer Welt nach dem Zweiten Weltkrieg, in der sich die Gesellschaft noch zu ordnen versucht, lebt die namenlose Ich-Erzählerin in einer Beziehung zu ihrem namenlosen Vielleicht-Freund und in einer Familie mit Mutter, Bruder 1 bis 4 – wobei einige der Brüder eben nicht mehr leben – Schwester 1 bis 3 – wenn ich mich nicht verzählt habe – sowie daugehörigen Schwägern 1 bis 3 und Kleinen Schwestern – 3 an der Zahl. Die Erzählerin selbst ist die Mittelschwester. Und schon allein an diesem Beziehungskonstrukt kann der Leser erkennen, in was für eine Welt er sich begibt. Sie ist eben außergewöhnlich. Ach ja. Und dann ist da noch der Milchmann. Er stalkt scheinbar die Protagonistin, die Ich-Erzählerin ohne Namen. Und schnell wird ihr eine Affäre angedichtet, und sie ist die einzige, die weiß, dass es nicht so ist. Niemand glaubt ihr. Im Übrigen ist dies der falsche Milchmann, denn es gibt ja noch den Echten Milchmann. Alles ziemlich verwirrend. Aber irgendwie auch total abgefahren zu lesen. Und wer zwischen den Zeilen lesen kann, merkt schnell, dass es keiner Namen bedarf. Es kann jedem Individuum so ergehen. Der Leser lernt, wie schnell sich Gerüchte verbreiten und potenzieren. Wie schnell es vorbei sein kann, wie oft der Schein einfach trügt. Auch wenn man sich ins Lesen hineinfinden muss und wenn man dies letztendlich geschafft hat, gewinnt man den Roman „Milchmann“ und den Schreib- und Erzählstil von Anna Burns echt lieb. Ich kann mich nur wiederholen: „Milchmann“ ist außergewöhnlich aber dafür umso lesenswerter. Einfach mal etwas Anderes, was mich als Leserin überrascht hat und dafür für mich umso wertvoller ist.

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Nicht umsonst als das literarische Gr0ßereignis des Jahres gepriesen. Es ist die Geschichte einer Jungen Frau, in einer kleiner Stadt, die ihre Anonymität in dem Moment verliert, als ein älterer Mann - der Milchmann - offen sein Interesse an ihr bekundet, Sprachlich sehr gut geschrieben, immer mit einer Prise Humor und Tiefgründigkeit - ich habe es genossen!

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Die junge Frau, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, lebt ihr Leben in geregelten Bahnen, sie hat ihre Arbeit, ihren Vielleicht-Freund und am Wichtigsten für sie: ihre Bücher. Oft läuft sie durch die Straßen und liest dabei, immer ein Buch aus dem neunzehnten Jahrhundert, denn das zwanzigste Jahrhundert gefällt ihr nicht. Bis eines Tages dieser ältere Mann, den alle unter dem Namen Milchmann kennen, neben ihr ist und beiläufig davon spricht, wie gefährlich es doch sei, in diesen unruhigen Zeiten lesend umher zu laufen. Er bietet ihr an, in seinem Auto mit zu fahren, doch die junge Frau ist sich der Gefahr bewusst, die hinter diesem Angebot steht und lehnt höflich ab. Als der Milchmann wieder auftaucht, ist die junge Frau gerade beim Joggen im Park und da er nicht unhöflich zu ihr spricht und sie auch nicht berührt, sieht sie keinen Grund, sich belästigt zu fühlen - obwohl ihr der Mann und sein plötzliches Auftauchen Angst machen, zumal er eben so plötzlich wieder verschwindet. Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, spricht sie mit niemandem darüber, aber die Nachbarn, allen voran der Mann ihrer ältesten Schwester, fangen dennoch an über die junge Frau und ihre angebliche Affäre mit dem verheirateten Milchmann zu reden. Er ist ein Staatsverweigerer, einer der Anführer der Bewegung und hat große Macht. So zieht er seine Kreise um die Protagonistin immer enger, doch die Bedrohung ist so subtil, dass die unbedarfte junge Frau immer noch nicht weiß, ob es Sinn macht, jemandem davon zu erzählen - doch das Gerede ist ihr voraus geeilt und als sie sich eines Tages ihrer Mutter anvertraut, glaubt diese ihr nicht, so dass sich die namenlose Protagonistin immer weiter in sich selbst zurück zieht....

"Milchmann" von Anna Burns handelt in der Zeit des Nordirlandkonflikts, was aus dem Text nicht wirklich zu erkennen ist. Die Zeit der Handlung kann der Leser nur durch Hinweise auf Filme und Musik erahnen, die die Männer in der Gegend ablehnen. Beiläufig, weil es für die Protagonistin zum Alltag gehört, werden Autobomben und entführte Linienbusse erwähnt, Staatsverweigerer und Staatsbefürworter, die richtige und die falsche Religion, was ohne die Informationen, die ich aus Pressetexten entnehmen konnte, schwierig zum Einstieg in das Buch gewesen wäre. Ein kurzes Vorwort um den geschichtlichen Hintergund der Handlung wäre da hilfreich gewesen. Auch die Erzählweise ist ungewöhnlich, so wird keine der Figuren mit Namen benannt, sie sind älteste Schwester, Schwager drei, Vielleicht-Freund, Nachbar und so weiter. Mit erschreckender Beiläufigkeit berichtet die Hauptfigur von den vielen Menschenleben, die der Konflikt bereits gefordert hat, es gehört zum Alltag, dass dieser Bruder und jener Nachbar getötet wurde, kaum eine Familie im Bezirk hat noch keinen Verlust zu beklagen. Diese alltäglichen Begebenheiten während des Nordirlandkonfliktes sind es, die aus der Sicht der Protagonistin so nebenher erzählt werden, und dabei so weit entfernt von unserer heutigen Realität scheinen, dass sie auf mich beim Lesen schockierend wirkten und ein Bild jener Zeit vor meinem geistigen Auge zeichneten.

Die Schreibweise habe ich in der ersten Hälfte des Buches als sehr verschachtelt empfunden, die Protagonistin kommt in ihren Gedanken von einer Szene in die nächste, weil sie sich vom Milchmann bedrängt fühlt, geht sie in Begleitung ihres Schwagers laufen, dabei denkt sie an eine Episode mit ihrem Vielleicht-Freund zurück bie dem einige Nachbarn zu Besuch sind, aus diesen Gedanken kommt sie zum Chefkoch, dem Freund ihres Vielleicht-Freundes und von den Gedanken geht sie noch weiter zurück, erst zum Stand ihrer Beziehung, dann zum Grund, warum ihr Vielleicht-Freund alleine in seinem Haus wohnt. Beim Lesen musste ich mir in Erinnerung rufen, dass sie immer noch mit ihrem Schwager durch den Park joggt und alles andere in ihren Gedanken statt findet. Doch plötzlich ist der Lauf vorbei und eine in der Gedankenspirale geplante Verabredung mit ihrem Vielleicht-Freund findet statt, die sie dann ebenfalls gedanklich zerpflückt. Erst viel später im Buch ist mir bewusst geworden, dass der Schreibstil die verworrenen Gedankengänge der Hauptfigur wiederspiegelt. Als sie später einige unangenehme Wahrheiten erkennt und sich nicht mehr vor der Realität flüchtet, wird auch die Geschichte klarer und geradliniger erzählt.

In der ersten Buchhälfte war ich erstaunt, was über diese Geschichte, die mit dem britischen Man Booker Prize ausgezeichnet worden ist, in den Pressestimmen geäußert wurde, am Ende muss ich zugeben, dass alles, was ich darüber gelesen habe, zutrifft. "Milchmann" ist keine leichte Lektüre, die verschachtelten Beschreibungen fordern Konzentration und ziehen manche Stellen auch ein wenig in die Länge. Doch immer wieder gab es Szenen, in denen still und doch sarkastisch die Misstände jener Zeit aufgezeigt werden, zum Beispiel als die Protagonistin von den Themenfrauen berichtet, die ersten Frauenrechtlerinnen, die sich in ihrem Bezirk versammeln. Nach der allgemeinen Meinung wäre es ja noch in Ordnung gewesen, wenn diese Themenfrauen die Unterdrückung ihrer Geschlechtsgenossinnen anhand historischer Beispiele angeklagt hätten, aber nein, sie forderten aktuelle Veränderungen, zum Beispiel, dass die Männer ihre Frauen nicht mehr schlagen dürften - was allgemein als völlig absurd angesehen wurde. Mit jugendlicher Naivität schließt sich die Hauptfigur den gängigen Meinungen der breiten Masse an, erst viel später wird ihr - und damit auch dem Leser - bewusst, wie sehr sie den Kopf in den Sand gesteckt hat. Eine Freundin weist sie schließlich darauf hin, dass sie bereits vor dem Auftauchen des Milchmanns regelmäßig kontrolliert und fotografiert worden ist (was sie zuvor auf seine plötzliche Aufmerksamkeit geschoben hatte), dass sie bereits damals von der Gemeinschaft als Übergeschnappte abgestempelt worden war, auch weil sie die Realität mit Hilfe ihrer Bücher ausgeblendet hatte.

Fazit: Anna Burns schildert die Ereignisse um die namenlose junge Frau in einzigartigem Schreibstil, der nicht immer leicht zu lesen ist. Mit alltäglichen, beiläufig berichteten Begebenheiten wird die Grausamkeit des Nordirlandkonfliktes aufgezeigt, auch die Geschichte der Protagonistin und die zunächst subtile Bedrohung, die vom Milchmann ausgeht, wird mit der jugendlichen Naivität der jungen Frau erzählt und wirkt dabei doch sehr eindringlich auf den Leser.

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Milkman beschreibt aus Sicht der unbenannten 18 Jährigen Protagonist deren Leben als ein viel älterer einflussreicher Mann Interesse an ihr zeigt. Der Roman spielt in den 70er Jahren in Nordirland, wobei Namen und Orte unbenannt bleiben.

Ein ungewöhnlicher Roman, manchmal etwas langatmig und gefühlt wiederholende Situationen beschreiben aber sehr gut die klaustrophobische Ohnmacht in der die Protagonistin sich befindet. Ein nicht einfaches Buch, aber empfehlenswert.

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In einer namenlosen Stadt hält eine 18jährige einen Monolog über den Nordirland-Konflikt aus ihrer Sicht und ihren Familienverhältnissen. Über die Personen, die sie spricht, nennt nicht mit Namen, sondern nennt sie "Milchmann", "Schwager Drei" oder "Vielleicht-Freund". Sie plappert einfach vor sich hin, macht manchmal Gedankensprüngen, die auf den ersten Augenblick verwirrend sind. Dennoch ist es beklemmend, ihr zu zuhören. Nur langsam gibt sie neue Einzelheiten bekannt.

Man braucht einen Moment, um sich mit dem Schreibstil anzufreunden. Anna Burns schreibt eigentlich, wie man ein Wortprotokoll eines Monologs erstellen würde. Die Kapitel sind ellenlang und es schwierig nach einem Unterbruch in die Geschichte zurückzufinden. Aber dennoch wer sich eingelesen hat, kann kaum mehr aufhören.

Ein anspruchsvolles Buch, welches dem Leser viel abverlangt, ihm aber neue Perspektiven aufzeigt.

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Das Buch ist einzigartig und unverwechselbar. Im Zentrum des Geschehens steht die Suche einer jungen Frau nach sich selbst jenseits aller Konventionen. Das Thema wurde brillant umgesetzt und fesselt von der ersten Seite an. Schon das Cover fand ich faszinierend. Der Schreibstil ist sehr gut und die Spannung lässt einen immer weiterlesen, so dass man das Buch am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Ein einzigartiges Buch, das ich sehr gerne empfehle.

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Sie nennt sich selbst „Vielleicht-Freundin“, weil sich die Identität der 18-jährigen Protagonistin vor allem aus der unverbindlichen Quasi-Beziehung mit „Vielleicht-Freund“ herauskristallisiert. Vielleicht deshalb, weil sie sich aus verschiedenen Gründen definitiv nicht vorstellen kann, mit „Vielleicht-Freund“ zusammenzuleben. Aber dann ist da noch das Gerede über den ominösen, immerhin schon einundvierzigjährigen „Milchmann“, seit Schwager Eins womöglich das Gerücht in die Welt gesetzt hat, dass sie eine Affäre mit dem Mann unterhalte. Dabei hat sie den Annäherungsversuchen von „Milchmann“ nie nachgegeben, ist nie in sein Auto gestiegen, wenn er neben ihr hielt, während sie im Gehen in „Ivanhoe“ las.
Ma hat dagegen ganz konkrete Vorstellungen über den idealen Mann für ihre Tochter, die noch drei jüngere Schwestern hat sowie einen im Bürgerkrieg gefallenen Bruder und einen, der vor dem Bürgerkrieg geflohen ist. Die an sich unkomplizierte Beziehung mit „Vielleicht-Freund“, das gelegentliche Joggen mit Schwager Drei, das Besuchen eines Französisch-Kurses im Stadtzentrum sowie das Lesen im Gehen bieten „Vielleicht-Freundin“ ausgesuchte Fluchtmöglichkeiten aus der brutalen Realität, in der die paramilitärischen „Verweigerer“ auf die Soldaten des „Landes jenseits der See“ treffen. Dass sich „Vielleicht-Freundin“ mit einem „Verweigerer“, „Milchmann“, einlässt, macht sie verdächtig, und schon bemerkt sie beim Joggen mit Schwager Drei stets das Klicken von Kameras aus den Büschen heraus.
Aber sie zieht durch diese Gerüchte auch „Verweigerer“-Groupies an, Mädchen, die mit gutgemeinten Ratschlägen ihre Freundschaft zu erringen bemüht sind. Aber die erschreckende Realität lässt „Vielleicht-Freundin“ ihre eigene Geschichte schreiben …
„In einem Bezirk, der von Verdächtigungen, Mutmaßungen und Vagheit lebte, wo alles spiegelverkehrt war, war es außerdem unmöglich, eine Geschichte zu erzählen oder sie eben nicht zu erzählen und einfach den Mund zu halten, nichts konnte hier gesagt oder nicht gesagt werden, das nicht hinterher als einzig wahre Wahrheit verbreitet wurde.“
Die 1962 in Belfast geborene Anna Burns hat bereits in ihrem 2001 veröffentlichten Debütroman „No Bones“ ihre Erfahrungen mit dem nordirischen Bürgerkrieg verarbeitet. Nun wird ihr u.a. 2018 mit dem renommierten Man Booker Prize ausgezeichneter Roman „Milkman“ auch hierzulande veröffentlicht. Es bedarf einer gewissen Eingewöhnung in den fraglos wortgewaltigen, sprachgewandten Stil der Nordirin, die ihre Geschichte seltsam unverortet in Zeit und Raum als endlosen Monolog durch die namenlose Protagonistin erzählen lässt. Dennoch braucht es nur wenige Seiten, bis auch der letzte Leser begreift, dass Burns hier eine sehr persönliche Sichtweise auf den besagten Bürgerkrieg offenbart.
Es ist keine leichte Lektüre, die die Preisträgerin mit „Milchmann“ offeriert. Schließlich bietet der durchgängige Monolog so gut wie keine Handlung, dafür aber eine für ein 18-jähriges Mädchen sehr reife, vielschichtige Reflexion über die beängstigenden Ereignisse um sie herum. In einer bedrohlichen Atmosphäre, in der die Angst immer neue paranoide Züge annimmt, sieht sich die Ich-Erzählerin gezwungen, ihren eigenen Weg zu gehen, auch entgegen der gutgemeinten Ratschläge ihrer Mutter und der bösartigen Gerüchte über ihre nicht existierende Beziehung zum „Milchmann“. Indem sie sich einer konventionellen Dramaturgie verweigert und „Milchmann“ als Tagebuch-ähnliche Selbstreflexion anlegt, untergräbt sie nicht nur die Lesegewohnheiten ihres Publikums, sondern fordert auch dessen anhaltende Aufmerksamkeit heraus. Dass „Milchmann“ gerade zum „Brexit“ auch in Deutschland veröffentlicht wird, mag kein Zufall sein, lenkt der außergewöhnliche Roman den Blick über die Grenzen zementierter Meinungen hinaus und wartet bei aller Ernsthaftigkeit mit erfrischend schwarzem Humor auf.

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Ungewöhnlicher Roman
Die irländische Autorin Anna Burns schreibt mit „Milchmann“ einen ungewöhnlichen Roman. 2018 bekam sie für diesen Roman den Booker Prize.

Dieses Buch ist ein einziges Vielleicht.
Die Handlung findet während des Nordirlandkonflikts in den 70er und 80er Jahre statt. Es ist ein Roman ohne Namen und wird von einem Mädchen erzählt. Da gibt es den Milchmann. Den Chefkoch, vielleicht Freund , Tablettenmädchen, erste, zweite und dritte Schwester. Milchmann scheint ein gefährlicher Man zu sein.
Die Protagonistin fantasiert vor sich her. Zwar zeigt sie uns auch die Turbulenzen der Zeit, aber so anonym ist es für mich etwas schwierig zu lesen. Ich konnte mich langsam in den Roman einlesen und war dann doch noch einigermaßen zufrieden.
Über dieses Buch sollte sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

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Um diese Rezension habe ich mich ein wenig herumgedrückt. Dieses Buch ist schwierig, sperrig, nervtötend, witzig, brillant erzählt und auch irgendwie genial. Wie soll man das bewerten?

Da ist diese namenlose Erzählerin, die in dieser Stadt lebt, auf der richtigen Seite der Hauptstraße, auf dieser Seite der See, und die Probleme hat, weil sie sich nicht an die Regeln hält. Sie ist achtzehn, leseverrückt, sportbegeistert und noch immer nicht verheiratet. Das erweckt Misstrauen in dieser Gesellschaft, wo man klar Stellung beziehen muss, um dazuzugehören.

„Überall und mit allem, was man tat, gab man ein politisches Statement ab, ob man wollte oder nicht. Auch das Aussehen spielte eine Rolle, man war sich einig, dass man die da von der anderen Seite der Hauptstraße von uns hier auf dieser Seite der Hauptstraße rein äußerlich unterscheiden konnte. Es gab unterschiedliche Wandbilder, Traditionen, Zeitungen, Hymnen, „Feiertage“, Pässe, Münzprägungen, Bürgerbefugnisse, unterschiedliche Polizei, unterschiedliches Militär, unterschiedliches Paramilitär.“

Plötzlich wird sie gestalkt von einem älteren Mann, der noch dazu verheiratet ist und einen weißen Lieferwagen fährt wie ein Milchmann. Und obwohl sie sich wehrt und distanziert, kocht die Gerüchteküche hoch, weil nicht sein kann, was nicht sein soll und weil man sich an Ritualen festhalten muss, wenn so viel Unwägbares den Alltag bestimmt. Ihre älteste Schwester hat z. B. Sorgen ganz anderer Qualität.
„Inzwischen trauerte sie jedoch nicht mehr nur, weil er sie betrogen und für eine andere Frau verlassen hatte, sondern weil er außerdem tot war. Er war bei der Arbeit von einer Autobombe in den Tod gerissen worden, weil er die falsche Religion am falschen Ort gehabt hatte, so was kam vor. Er war also tot.“
Hier bekommt man ein irrwitziges Gesellschaftsportrait, das eine irgendwie irische Gesellschaft am Rande des Wahnsinns zeigt, bis zur Unkenntlichkeit in Untergruppen gespalten, die sich bis aufs Blut bekriegen. Plastisch, witzig und unendlich zynisch seziert Anna Burns die Strukturen in einer höchst originellen und kunstvollen Sprache.
Das Lesen macht Spaß und man ist zutiefst beeindruckt von so viel Witz und Scharfsinn. Nur kommt die Handlung sehr schleppend voran. Es kann durchaus passieren, dass sie mal wieder auf den Milchmann trifft und da stehen sie nun. 50 Seiten später stehen sie da immer noch, weil wir uns erst einmal gründlich Gedanken über etwas anderes machen mussten.
Wahrscheinlich ist die Handlung in diesem Buch sowieso zweitrangig, trotzdem ist es nicht sonderlich befriedigend, wenn man vor sich hin liest und dabei das Gefühl hat, man kommt nicht so recht vom Fleck. Bis zum Schluss ist man hin- und hergerissen, ist beeindruckt von dieser höchst originellen Sprache und amüsiert sich, auch wenn der Text gleichzeitig die Nerven strapaziert. Ein bisschen mehr Gnade in dieser Hinsicht hätte ich mir gewünscht, ein gutes Buch braucht gute Sprache UND Handlung.

Also, dieses Buch ist genial, aber ich bin froh, dass ich durch bin. Ein zäher Stiefel ist es auch.

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In einer unbenannten Stadt zu einer undefinierten Zeit wird die Ich-Erzählerin zum Stalkingopfer des Milchmanns. Er ist nicht ihr Milchmann, eigentlich ist er niemandes Milchmann, aber unter diesem Namen kennt man ihn. Plötzlich ist er da, verfolgt sie, weiß scheinbar alles über sie. Obwohl bei den ersten beiden Begegnungen nichts passiert, läuft die Gerüchteküche heiß: das 18-jährige Mädchen hat sich mit einem verheirateten Mann Anfang 40 eingelassen. Wie kann sie nur, Schande bringt sie über ihre Familie und sie ist ein schlechtes Vorbild für die kleinen Schwestern. Nicht nur das Gerede, sondern das zunehmend aufdringliche Verhalten des Mannes setzen der jungen und eigentlich unabhängigen Frau mehr und mehr zu und sie kann sich kaum dagegen wehren, denn in der öffentlichen Meinung trägt sie die Schuld an ihrer Situation.

Anna Burns Roman hat 2018 den renommierten Man Booker Prize erhalten. Die Jury begründete ihre Entscheidung mit Burns‘ außergewöhnlichen Erzählweise, in der sie eine Stadt im Kriegszustand schildert, dem Hintergrund, vor welchem die Protagonistin erwachsen wird, die sozialen Spannungen der oppositionellen Gruppen erlebt und zum Opfer sexueller Bedrängung wird. Auch Burns Humor wird hervorgehoben - wie auch von vielen Kritikern - dies ist jedoch völlig an mir vorbeigegangen, humorvoll fand ich wenig, ganz im Gegenteil.

Der Milchmann, der gar keiner ist, ist die einzige Figur, die einen Namen erhält, alle anderen werden über den Verwandtschaftsgrad identifiziert. Das Geschilderte könnte jedem passieren, zumindest jedem in Belfast zu Zeiten der Troubles. Auch wenn die Stadt nicht namentlich genannt wird, geht doch eindeutig aus dem Text hervor, dass es sich hier um den Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten und der englischen Besatzungsmacht handelt. Der Verlauf der Front ist geografisch wie sozial klar erkennbar und nur gelegentlich darf die Grenze überschritten und die politischen Auseinandersetzungen vergessen werden.

Gewalt ist omnipräsent im Leben der Erzählerin und so ist sie über Prügel, die jemand bezieht, ebenso wenig verwundert wie über die Waffe, die man ihr an die Brust hält oder die Drohung, dass ihr Liebhaber durch eine Autobombe getötet werden könnte. In jeder Familie gibt es Opfer des Konflikts zu beklagen, Märtyrer, denen man huldigt. Aber die Gewalt ist anders als an anderen Orten:

„Gewöhnliche Morde waren unheimlich, unbegreiflich, genau die Morde, die hier nicht passierten. Die Leute wussten nicht, wie sie so etwas beurteilen, wie sie es einordnen, wie sie einen Diskurs darüber anfangen sollten, weil es hier eben nur politische Morde gab. ‚Politisch‘ deckte dabei natürlich alles ab, was im weitesten Sinne mit der Grenze zu tun hatte.“

Der Alltag wird von den Unruhen bestimmt und ebenso wie jeder Bürger eine klare Position vertritt, die qua Geburt festgelegt ist, kann er sich auch nicht entziehen.

„Schlussendlich gab man von Staatsseite zu, dass man bei der Verfolgung der richtigen Leute versehentlich ein paar falsche abgeschossen habe, dass Fehler gemacht worden seien, was bedauerlich sei, aber man müsse die Vergangenheit hinter sich bringen, und es habe keinen Zweck, darauf herumzureiten.“

Das Vertrauen in den Staat und staatliche Institutionen könnte kaum geringer sein, nicht einmal medizinisch notwendige Versorgung nehmen die Menschen aus Sorge vor möglichen Folgen in Anspruch. Selbst private Angelegenheiten wie das Stalking des Milchmanns wird zur politischen Angelegenheit.

Der Roman ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Der Verzicht auf Namen irritiert zunächst, macht in der Gesamtschau jedoch Sinn. Die Perspektive der Protagonistin ist zwar begrenzt, verdeutlicht aber umso mehr, wie sie unschuldig zum Opfer wird und keinerlei Möglichkeit hat, sich zu wehren und wie wenig Glauben ihr selbst ihre eigene Familie entgegenbringt.

Der Kontext der Handlung, eine geteilte Stadt, in der jeder permanent in Alarmbereitschaft ist und der Tod normaler Bestandteil des Alltags ist, ist kaum vorstellbar, aber wenn auch in Nordirland glücklicherweise nicht mehr Realität, doch an vielen anderen Orten die Lebenssituation vieler Menschen, die sich irgendwie damit arrangieren.

Man muss sich auf den Roman einlassen und einlesen, keine Geschichte, in der man sich direkt zurechtfindet, aber unter der Oberfläche mit vielen interessanten Aspekten, die zum Nachdenken anregen.

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Eindringlich - und anstrengend


Schon der Titel verrät, dass es hier nicht um einen 08/15-Roman geht.
»Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb. Er wurde von einem staatlichen Mordkommando erschossen, und der Tod dieses Mannes war mir herzlich egal.« So beginnt der Roman, der u.a. mit dem Man Booker Prize 2018 ausgezeichnet wurde.
Stilistisch ist der Roman eine echte Herausforderung. Ellenlange Sätze, Wortneuschöpfungen wie der ,,Vielleicht-Freund“ oder die Betitelung der Brüder und Schwestern mit ,,Ältere Schwester“ oder Bruder 1 sind originell, witzig, weisen aber auch auf eine gewollte Anonymisierung hin.
Inhaltlich geht es um eine junge Frau, die, vermutlich in Belfast in den 70er/80er Jahren, auf der richtigen Seite der Straße, auf der richtigen Seite des Meeres lebt, aber Probleme damit hat, sich ihrer Umgebung anzupassen. Als intellektuelle, lese- und sportbegeisterte junge Frau passt sie schlecht in die von ungeschriebenen Gesetzen und Zwängen bestimmte Gesellschaft.
Mit ihrem ,,Vielleicht-Freund“ führt sie eine gute Beziehung, ohne ihn allerdings jemals ihrer Familie vorzustellen, geschweige denn sich von ihm heimfahren zu lassen. Dafür wohnt er im falschen Viertel. Als die namenlose Erzählerin das Interesse des ,,Milchmanns“ auf sich zieht, eines einflussreichen Mannes, versucht sie zwar, dieses Interesse abzuweisen und Begegnungen mit ihm zu vermeiden. Allerdings vermag sie auch nichts gegen die schnell kursierenden Gerüchte, die ihr eine Affäre mit dem älteren, verheirateten Mann andichten.
Nur sehr mühsam schafft es die Ich-Erzählerin, ihren Weg hin zur Selbstbestimmung zu finden. Dieses Ringen spiegelt sich im Roman auch in relativer Handlungsarmut wider. Umso ausführlicher und eindringlicher dagegen legt die Ich-Erzählerin ihre Gedanken, Zweifel und Emotionen dar, gespickt mit schwarzen Humor und Absurditäten. So fühlt man sich zwar sprachlich gut unterhalten, wünscht sich des öfteren allerdings etwas mehr Handlung.
Auch ist mal stellenweise versucht, die Ich-Erzählerin zu schütteln und sie dazu zu bringen, sich ihrem ,,Vielleicht-Freund“ oder jemand anderem zu öffnen und ihren Kampf um Selbstbestimmung aktiver zu führen.

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Ein irritierendes Buch. Es fällt so aus dem Rahmen. Es gibt keine Namen, keine Hinweise wo dieser Roman spielt und in welcher Zeit. Und doch drängt sich der Nordirland Konflikt auf.

Was für eine schreckliche Zeit. Die Einwohner müssen sich entscheiden auf welcher Seite sie stehen, bzw. die Religion gibt es vor. Jede Abweichung von der Normalität wird beobachtet und kommentiert. Es könnte auch der Tod für denjenigen bedeuten.

Hier gehen wir ein Stück des Weges mit der mittleren Tochter. Sie zieht die Aufmerksamkeit des Milchmannes auf sich. Wodurch genau, wird nicht erklärt.

Die junge Frau sträubt sich, sie weiß genau was hier passiert und fühlt sich von allen verlassen und unverstanden. Der Milchmann agiert geduldig und manipulativ.

Ein Roman auf den man sich einlassen muss. Er ist nicht einfach zu lesen. Es werden so viele verstörende Themen angesprochen. Die Preise hat er zu Recht erhalten.

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Ich schreibe meine Rezensionen in Etappen - nach Lektürestand. Hier also ein erster Eindruck:

Der Konflikt wird nicht beim Namen genannt, zunächst. Gar nichts wird beim Namen genannt. Die Ich-Erzählerin hat so wenig einen Namen wie ihre neun Geschwister. Der Vater der Kinderschar hatte sich nicht mehr der Anstrengung hingeben wollen, über die Namen der Sprösslinge nachzudenken. Also haben es alle sein lassen, das mit den Namen.
Wenn nichts einen Namen hat, dann spart man sich auch gleich zwei Dinge, die einen aus der Hölle des eigenen Welt- und Wertesystems herausführen könnten: Scham und Entschuldigung. Gab es nicht.
Es ist schon ein Privileg, wenn die Eltern bei den Kindern ausharren. Schließlich könnte von ihnen auch nur ein Brief zurückbleiben:
"Tut uns leid, Kinder (...) wir sind weg (...) Na ja, (...) ihr könnt alles haben, auch das Haus".
Die Ich-Erzählerin verweigert sich dem System, sie guckt und hört gar nicht mehr hin. Stattdessen liest sie Bücher. Das allerdings macht sie verdächtig. Vertrauen ist in diesem Konflikt keine Währung, mit der irgend etwas bezahlt werden könnte.

"Nichts zu erzählen, war meine Art, mich zu schützen".

Als die Ich-Erzählerin einmal der Mutter ihr Herz ausschüttet, reagiert diese maximal ruppig:

"Du bist eine Verbrecherbraut geworden".

Der Konflikt im Großen wird auch im Kleinen ausgefochten.
In die Familie der Ich-Erzählerin hat dieser Konflikt schon große Löcher gerissen. Ein Bruder ist tot, ein anderer auf der Flucht, verschollen.
Was die Menschen trennt sind Traditionen, Zeitungen, Hymnen, Feiertage, Pässe.
Schon nur auf der anderen Seite der Straße gelten ganz andere Regeln.
Das führt auch zu einer ganz bestimmten Art der Rechtsprechung: Straßenjustiz.

Und so erfährt man auch bald, wie das Land heißt, das auf der anderen Seite der See liegt. Denn der große Konflikt im Kleinen kann sich auch an einem alten Kompressor entladen, wenn er zu einer Automarke gehört, die Bentley heißt.

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Eine namenlose Coming-Age Geschichte einer jungen Frau.
Anspruchsvoll, einzigartig und beeindruckend beschrieben.
Anna Burns beschreibt in ihrem Roman „Milchmann“ den Nordirlandkonflikt aus der Sicht einer achtzehnjährigen Protagonistin.
Zusätzlich setzt sich die Autorin mit dem Feminismus, Selbstbestimmung und Unterdrückung auseinander.
Ein ungewöhnlich geschriebenes und sehr zu empfehlenswertes Buch, welches zurecht den Man Booker Prize 2018 erhalten hat.

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Ganz zurecht hat meiner Meinung nach Anna Burns 2018 mit diesem Buch den Booker Preis gewonnen.
Endlich ein Werk, das auf mich frisch und neu wirkt. Ich hatte nie das Gefühl, Gleiches oder Ähnliches schon x-mal vorher gelesen zu haben. Das Buch nahm von der ersten Seite an gefangen, die Spannung ließ bis zum Ende nie nach.

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Milchmann ist eines der sperrigsten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe.... aber auch eins der ungewöhnlichsten, das zudem lange nachwirkt.

Die Geschichte einer jungen No-Name Erzählerin mitten im Nordirland Konflikt der 70er und 80er Jahre lässt uns teilhaben an einem eigentlich normalen und dennoch durch den schweren politischen Konflikt sehr einseitigen Leben. Alles scheint vorbestimmt und geregelt zu sein, man muss sich nur an die richtigen Regeln halten. Sonst wird man sofort ausgegrenzt und auf die Gegnerseite gestellt. Schon der eigene Vorname oder die Straße, in der man wohnt, ist ein Indiz dafür, ob man zu den Guten oder doch eher Bösen gehört

Mit Sarkasmus, Ironie aber auch ganz viel erschreckender Ernsthaftigkeit erzählt Anna Burns diese Geschichte, die eine von vielen dieses Landes sein könnte.
Sprachlich muss man sich tatsächlich ein wenig von gewohnt leichtgängigen Erzählstimmen verabschieden und sich auf eine recht spezielle Erzählsprache einstellen.

Aber, diese z.T. sehr bedrückende Geschichte lohnt sich in jedem Fall. Allerdings habe ich zwei Anläufe gebraucht, um mich zurechtzufinden und wirklich wohlzufühlen. Vor Monaten bereits auf englisch gelesen, konnte ich der Erzählstimme nur bedingt etwas abgewinnen. Ungewöhnlicherweise konnte ich die Geschichte bzw. Gedankengänge der Erzählerin auf deutsch wesentlich besser nachvollziehen und verfolgen. Die Übersetzung empfinde ich daher als sehr gelungen, auch der Humor (der jetzt natürlich nicht zum Schreien lustig ist) ist darin nicht verloren gegangen. Um den gut zu erfassen, muss man sich vielleicht etwas mit englisch/irischer Geschichte befassen und die Lebensart kennen.


Kurze Info am Rande:

Ich selbst habe 1991/92 in Dublin gelebt und auch Belfast besucht. Das im Letzteren allgegenwärtige und reichlich aufmarschierte Militär mit Straßensperren alle paar Meter, Handtaschenkontrollen etc. haben sich mir nachdrücklich ins Gedächtnis gebrannt. Obwohl ich, aufgewachsen in der DDR im Sperrgebiet, sicherlich einiges gewohnt war....

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Intellektuell, subtil und irgendwie faszinierend – Lesen!

Milchmann von Anna Burns erschien Ende Februar 2020 im Tropen Verlag. Ein ausdrucksstarker Roman über eine junge Frau die während des Nordirlandkonfliktes in Belfast lebt.

Belfast, eine Stadt in der die Straßen keine Namen haben. Ein Roman, indem die Charaktere keinen Namen haben. So wird die in Belfast lebenden jungen Frau lediglich Mittelschwester genannt. Diese junge Frau zieht ungewollt die Aufmerksamkeit eines wesentlich älteren Mannes auf sich. Dieser Mann ist da, versiert und verfolgt sie – sie wird ein Objekt seiner Begierde - gegen ihren Willen. Dieser Mann nennt sich Milchmann.


Ein unglaublich interessanter, intellektueller Roman über eine Frau, die auf der Suche nach sich selbst ist. Der Weg dorthin ist nicht einfach. Die Gesellschaft hat einen enormen Einfluss, erfindet so manches Mal vermeintliche Wahrheiten und ist auf subtile Art und Weise grausam.

Mir hat der Roman teilweise sehr gut gefallen. Überzeugen konnte er mich allerdings nicht. Des Öfteren musste ich das Buch zur Seite legen, da ich das Lesen als sehr anstrengend empfand, die Charaktere undurchsichtig waren und der Zusammenhang fehlte. Literarisch gefeiert erinnert mich dieser Roman als typische Leseratte eher an ein Werk, welches ich auch in der Oberstufe lesen musste.

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Ein sprachlich anspruchsvoller Buch, das die Leserin in einen Wirbel hineinzieht, der sich Nordirland nennt - gleichzeitig eine nahe gehende Schilderung dessen, was es heißt, eine Frau in einer patriarchalen, militarisierten Gesllschaft zu sein. Am englischen Original bin ich durch die extravagante Sprache gescheitert, in dieser Version ging es, und ich bin froh darüber!

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Der Milchmann, eine Leseherausforderung, die sich aber, wenn man mit dem Buch durch ist - echt gelohnt hat. Der Schreibstil ist herausfordernd, verschachtelt und liest sich dadurch nicht immer leicht.

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„Milchmann“ ist anders als alles, was ich bisher gelesen habe. Es ist sehr sehr ungewöhnlich- ungewöhnlich ist gut oder?
Die Protagonistin zwingt den Leser in ihr atemloses Gedankenkarusell. Personen haben keine Namen, sie werden aufgrund ihrer Beziehung zur Heldin definiert und auseinandergehalten. Ich fand die Darstellung des politischen Konfliktes ( Nordirland) sehr spannend, dennoch habe ich nicht durchgehalten. Der außergewöhnliche Stil ist fordernd, „Milchmann“ ist kein Buch, das man mal eben so liest, um zu entspannen oder abzuschalten. Die Gedankenstrudel bohren sich in den Kopf- für mich war das mehr als ich händeln konnte.
Trotzdem vielen Dank an den Verlag, dass ich das Buch lesen durfte.

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Anna Burns hat mich von Anfang an, mit ihren wirklich witzigen und außergewöhnliche Stil mitgerissen. Ich konnte das Buch, trotz des schwierigen Thema, nicht mehr aus der Hand legen.

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Wer die Inhaltsangabe von „Milchmann“ liest, könnte meinen, einen rasanten und sich vor Ereignissen überschlagenden Pageturner vorzufinden. Allerdings ist „Milchmann“ kein Pageturner im herkömmlichen Sinne. Die Erzählung ist bedächtig und geprägt vom Bewusstseinsstrom der Hauptfigur, sodass man als Leser*in aufmerksam lesen muss, um sich nicht in dem Wirrwarr der verschiedenen Gedankenstränge zu verlieren. Man benötigt als Leser*in etwas mehr Zeit, sich an den Stil und die namenlosen Figuren zu gewöhnen, aber wenn man sich darauf einlassen kann, wird man mit einem tollen Leserlebnis und einem unkonventionellen Roman belohnt.
Eingebettet ist die Handlung in den Nordirlandkonflikt der 1970er Jahre. Es geht um DIE und WIR, sich den gesellschaftlichen Konventionen anzupassen und für die richtige Seite Stellung zu beziehen. Wie selbstbestimmt kann man sich in einer Gesellschaft bewegen, die keinen Platz lässt für Abweichungen und Individuen? Und natürlich geht es um Gewalt gegenüber Frauen. Wer aus dem Rahmen fällt, so wie die Hauptfigur, die gerne im Gehen liest, gilt schnell als Sonderling und wird zur Zielscheibe von Männern, die sie für sich beanspruchen wollen. Der Erzählerin werden Gerüchte nachgesagt, die ein Eigenleben entwickeln und ihr Leben fortan bestimmen. Sie soll eine Affäre mit einem deutlich älteren Mann vom Paramilitär haben, dem Milchmann. Die Ächtung der Gesellschaft ist ihr sicher, wie sie und ob sie sich von der Meinung der Gesellschaft freimachen kann, wird im Roman beschrieben.
Für mich war der Roman außergewöhnlich. Klug und subtil. Eine schöne Abwechslung im belletristischen Einheitsbrei.

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Der Titel hatte mich angelockt. Was ist an einem Milchmann so interessant, dass man darüber ein Buch schreiben kann und dann auch noch einen Preis dafür erhält? Es ist beeindruckend, wie dieses junge Mädchen aus ihrer Anonymität gelockt wird und wie das Thema der Anonymität bearbeitet und beschrieben wird. Am Anfang habe ich mich mit dem Lesen schwer getan, weil die Personen nicht mit Namen benannt, sondern durchnummeriert wurden. Doch bald hatte es mich gepackt!
Ein wirklich ganz besonderes Buch!

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In “Milchmann” erzählt Anna Burns von einer jungen Frau im Nordirlandkonflikt – inklusive Metoo- und Brexit-Parallelen. Aber es ist nicht allein ihre individuelle Geschichte – der Roman ist überzeitlich. Wer erleben will, wie es sich anfühlt, in einer totalitären Umgebung aufzuwachsen – wo jedes Wort, jede Handlung, jeder Kontakt analysiert, ausgewertet und tödliche Konzequenzen nachsichziehen kann, der lese dieses Buch. In einer überwältigenden und witzigen Sprache erzählt die 18-jährige Ich-Erzählerin, wie sie von einem “Verweigerer”, also ein Terrorist, ohne physische Gewalt, aber stetig und sicher in eine Beziehung gedrängt wird, die sie nicht will, was ihr nicht einmal die eigene Mutter glaubt.
Auf die Frage, ob dies ein politisches Buch sei, antwortet Burns, wenn mit “politisch”gemeint sei, dass es im literarischen Schreiben um Organisationsstrukturen und Macht gehe und “wie diese Macht erlangt und ausgeübt wird und welche Auswirkungen sie hat auf Menschen und die Beziehungen der Menschen untereinander, dann ja, dann nehme ich an, ist es politisch.”

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Wo bleibt das positive Pink des Himmels?
Mich hat das Cover mit dem knalligen Sonnenuntergang, der vor allem pink wirkt, sehr angesprochen - das sieht so wunderbar positiv und nach guter Laune aus.
Der Start in das Buch dann - der totale Gegensatz. Die 18-jährige Ich-Erzählerin bleibt ebenso namenslos wie so ziemlich alle Personen in diesem Buch - und das über die komplette Länge der 450 Seiten! Auch der konkrete Handlungsort wird nicht genannt - es muss in Nord-Irland sein und der Konflikt innerhalb der Bevölkerung ist im Text allgegenwärtig. Der Schreibstil zeichnet sich durch lange; oft sehr lange Sätze aus - man wird mitgenommen in das Gedankenkarussell der Erzählerin. Und diese Gedanken sind selten positiv... der Humor, der an einigen Stellen dennoch durchblitzt, ist sehr trocken bis schwarz...
Von den Entwicklungen in der Geschichte will ich nichts vorwegnehmen - nur einige Themen verraten: Bespitzelung, Belästigung, physische und psychische Gewalt sowie die schwierige (vergebliche?) Suche nach der Partnerschaft für‘s Leben...
empfehlen kann ich das Buch allen, die eine literarische Herausforderung gern annehmen wollen und ein ganz besonderes Leseerlebnis suchen. Wer sich allein vom Cover verleiten lässt oder normalerweise nur wenige Seiten am Stück liest bzw öfter tagelang pausiert, wird hiermit sicher ein Problem haben...

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Inhalt
Eine junge Frau erregt die Aufmerksamkeit eines älteren Mannes („Milchmann“), obwohl sie das eigentlich nicht will. Gerüchte kommen auf, die Menschen reden. Die Hauptprotagonistin versucht, die Beziehung zu vertuschen, aber sie kommt aus der Geschichte nicht mehr raus. Sie sucht sich selbst und verliert sich fast dabei.

Cover, Schreibstil usw.
Das Cover gefällt mir ausgesprochen gut. So schöne Farben, und es strahlt Sehnsucht aus.
Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig. Insgesamt finde ich die Kapitel, aber auch die einzelnen Sätze zu lang. Gut gefallen hat mir jedoch, wie die Autorin die einzelnen Geschichten, die nebenher ablaufen, so geschickt verbindet, dass man am Ende irgendwie denkt, das es alles stimmig ist.
An was man sich beim Lesen gewöhnen muss, ist, dass die Protagonisten ohne richtige Namen bleiben (Milchmann, Schwager Eins, ...). Diese ungewöhnliche Vorgehensweise führt zu einer großen Distanz, die das Buch aber auch braucht, denke ich. Auch erfährt man nicht, in welcher Stadt die Geschichte spielt, nur dass es zur Zeit des Nordirland-Konflikts ist und dass der Milchmann etwas damit zu tun hat.

Fazit und Leseempfehlung
Dieses Buch liest sich nicht mal so eben weg. Es ist sehr anspruchsvoll und fordert deswegen die ganze Konzentration des Lesers.
Ich empfehle dieses Buch allen, die gerne Bücher abseits des Mainstreams lesen und die zudem Bücher mit einer gewissen sprachlichen Raffinesse schätzen.
Das Buch hat nicht umsonst mehrere wichtige Preise bekommen. Es hat mich persönlich aber nicht so ganz erreicht bzw. meine Erwartungen nicht erfüllt, aber ich kann dennoch verstehen, warum es die Preise gewonnen hat. Man erhält einen wirklich guten Einblick in die Gesellschaft bzw. in deren Abgründe. Viel Tiefgang! Daher von mir sehr freundliche (!) 4 Sterne.

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"Milkman" ist der erste irische Roman überhaupt, der 2018 mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde. Das Buch von Anna Burns wurde international zur Sensation und erhielt zahlreiche weitere Preise. Jetzt ist das brillante literarische Werk im Tropen Verlag auf Deutsch in der wunderbar stimmigen Übersetzung von Anna-Nina Kroll erschienen. Erzählt wird in "Milchmann" die Geschichte einer jungen Frau, die in ihrem Verhältnis zum Vielleicht-Freund zwischen „Nähe und Beziehungszerbrechlichkeit“ schwankt, die nach einem Weg für sich sucht, aufgewachsen in in einer Gesellschaft in Zeiten des Nordirlandkonflikts. Eine Gesellschaft, die sich ihre eigenen dunklen Wahrheiten erfindet und in der jeglicher Fehltritt enorme Konsequenzen nach sich zieht.. Anna Burns selbst wuchs in Ardoyne auf, einem katholisch geprägten Arbeiterviertel, Hochburg irischer Nationalisten. Umso erstaunlicher ist es, wie uns die Autorin die Geschichte erzählt: Sie tut es in einer Mischung aus Schnoddrigkeit und Klugheit, schaut genau hin, wendet den Blick ab. Mal so, mal so. Je nachdem. Ob es noch auszuhalten ist. Ob hinschauen unbedingt sein muss. Oder ob es doch besser ist wegzuschauen. Letzteres ist manchmal notwendig, um in diesen unguten Zeiten und unannehmbaren Zuständen eine gewisse Leichtigkeit wiederzuerlangen oder zu erhalten. Zum Glück kommen auch Sonnenuntergänge vor oder die Farben des Himmels. Und Humor. Auch wenn der mitunter nur Galgenhumor ist. Lesens- und liebenswert ist dieses Buch allemal!

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Brilliant und einzigartig

„Milchmann“, der gefeierte und 2018 mit dem renommierten Man-Booker-Prize ausgezeichnete Roman der irischen Autorin Anna Burns thematisiert den Nordirlandkonflikt auf eine ganz besondere Weise.

Eine junge Frau, die Ich-Erzählerin, erweckt ungewollt die Aufmerksamkeit eines gefährlichen und erschreckenden älteren Mannes. Sie will ihn nicht, aber sie kann sich in der namenlosen Stadt nicht unkompliziert wehren. Sie versucht ihm zu entkommen und gleichzeitig niemandem aus ihrem Umfeld etwas zu verraten, doch sie steckt in der Klemme, als einer ihrer Schwager mitbekommt, dass sie den Milchmann trifft. Die Leute reden, und sie bekommt die Aufmerksamkeit aus ihrem Umfeld, die lebensbedrohlich für sie wird. Sie kann nichts tun, um das Gerücht aus der Welt zu räumen, zumal sie sowieso bereits als Außenseiterin angesehen wird.
Der Roman erzählt die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst und nach ihrem Weg in einem Umfeld, das jegliche Abweichung von den Regeln konsequent verfolgt und bestraft.

Atemlos und sprunghaft, sehr angeknipst und ständig ganz vorn im Kopf, aufgekratzt und fast ein bisschen überdreht erzählt die 1962 im katholischen Teil von Belfast geborene Autorin vom Psychischen und Physischen Terror im täglichen Leben, anonymisiert in Ort und Zeit und Figuren. Ein paar historischen Wegmarken lassen den Leser später das Geschehen richtig verorten und zeitlich einordnen, aber ohne Nennung genauer Namen, eher sind es Angaben wie „Land auf der anderen Seite der See“ oder unser Viertel / deren Viertel, was verwendet wird. Die Figuren bleiben anonym mit der Ich-Erzählerin und ihrem „Schwager Eins“ oder „Älteste Freundin“ oder auch „Milchmann“.
Den Nordirlandkonflikt selbst, von den Briten „Troubles“ genannt, bezeichnet Anna Burns mit Ärger, Schwierigkeiten oder Unruhe, und ihr Erzählstil passt sehr gut zur Situation, wie ich sie mir in einem zivilen Konfliktgebiet vorstelle.

Als Kontrapunkt setzt die Autorin das Leseverhalten der Ich-Erzählerin, nämlich im Gehen, die Umgebung manchmal vergessend, und als Lektüre kommen für sie nur Romane des 19.Jahrhunderts infrage. Damit entschleunigt sie das aufregende Leben in ständiger Bedrohung.
Und die Autorin schafft es, ein vorsichtiges Hoffen am Ende des Romans aufkeimen zu lassen, einen vorsichtigen Schritt zurück in die Normalität für die Ich-Erzählerin, deren Leben durch die Nachstellungen des Milchmann verschüttet war und das fast komödienhaft, aufmerksam in alle Richtungen blickend, wieder vorsichtig ausgegraben wird. Der Nordirlandkonflikt und die Straßenkämpfe sind Ender der 1970er/Anfang der 1980er Jahre, wenn der Roman endet, nicht vorbei, doch dennoch bekommt man als Leser die Atempause für die Erzählerin geboten, in der sie sich besinnen und finden darf. Mehr nicht, aber ich finde, das ist schon recht viel.
Die Geschichte (oder der Einblick ins Geschehen) ist mit dem Tod von Milchmann vorbei (von dem man schon im ersten Satz des Romans erfährt), einiges bleibt offen, und das stört überhaupt nicht. So ist der Ronan nun mal angelegt, fast wie ein „Schützengraben“: kurz die Nase rausstecken und wieder runter.

Den alltäglichen Terror mit Bombenattentaten, Straßenschlachten und Armee-Einsätzen wählt Anna Burns als bedrohliches und ständig vorhandenes Hintergrundrauschen für eine sehr persönliche Geschichte des Psychoterrors der Protagonistin durch einen IRA-Kämpfer. Wichtig sind im Geschehen auch die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen, die unvorstellbar strengen Reglementierungen durch die katholische Kirche (die Ich-Erzählerin entstammt einer katholischen Familie) und absolut mittelalterliche irische Traditionen. Trotz des großen Gewichts der gesamten Thematik steckt im Ton der Autorin und ihrer Protagonistin Leichtigkeit. Zum einen fast mit einem zwinkernden Auge, dass man beim Lesen ganz klar die Dämlichkeit aus weiblicher Sicht vieler den Männern und den Staatsverweigerern so wichtiger Dinge spürt. Zum anderen liest man auch Resignation, dass es in vielen Situationen komplett sinnfrei ist, etwas zu unternehmen, weil dann eine unglaubliche Kette an Ereignissen in Gang gesetzt werden würde.
Und man liest in gedanklichen Ansätzen Trauer darüber, dass es so ist wie es ist, die aber der Resignation und der Anpassung zum Überleben weichen musste.

Was die Namenlosigkeit anbelangt hat Anna Burns damit einen geschickten und sehr wirkungsvollen Kniff getan. Menschen sind weniger wert als der Konflikt, Symbole (z.B.Flaggen) sind wichtiger als alles andere, jedes Denken und Handeln wird im Hinblick auf die Gesinnung beurteilt und verurteilt, von Nachbarn, politischen Freunden und Feinden, von der Kirche, von der Staatsmacht und deren Gegnern. Das Leben kann schneller vorbei sein als ein Augenaufschlag, auch zufallsbedingt, wenn man neben einer explodierenden Bombe steht. Da gibt es keine Namen für Menschen oder Straßen, mit denen man sie identifizieren und damit vielleicht zum Tod verurteilen könnte. Und ich finde das sehr passend.

„Milchmann“ ist ein meisterhafter Roman, der thematisch und sprachlich überzeugt. Durch die brilliante und ungewöhnliche Erzählweise bekommt man tiefe Einblicke in die Psyche einer alleingelassenen und verängstigten Frau, die machtlos der Gewalt eines Terroristen und ihres Umfeldes ausgesetzt ist.
Fünf begeisterte Sterne dafür!

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Der Roman spielt in den 70er Jahren während des blutigen Nordirland-Konflikts. Die Gesellschaft ist gespalten, geprägt von Gewalt, Hass und Misstrauen. Eine junge Frau, im Roman die Mittelschwester genannt, ist am liebsten allein, sie joggt allein und liest am liebsten Romane aus dem 19. Jahrhundert. Die Menschen in diesem Roman tragen keine Namen: sie heißen Schwester 1 oder Schwager 3 oder eben Milchmann. Dieser Mann Mitte 40 bedrängt und verfolgt sie, er scheint alles über sie zu wissen. Niemand hilft ihr, im Gegenteil, die eigene Mutter wirft ihr vor, ein Verhältnis zu diesem Mann zu haben. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Wie es ausgeht, wird bereits auf der ersten Seite verraten: “Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.“
Fazit: Es gelingt der Autorin sehr gut, die Innenwelt der Figur, die immer mehr in die Enge gedrängt wird, zu schildern. Sie zeigt außerdem, wie in einer von Terror beherrschten Gesellschaft die Machtstrukturen (der Männer), die Überwachung und der soziale Druck funktionieren. Wer sich auf den Erzählfluss und die Gedanken der Protagonistin, die manchmal sehr auschschweifend sind, wird reich belohnt. Das Buch ist auch spannend, denn man will unbedingt wissen, was es mit dem Milchmann auf sich hat.
Empfehlung: Eher für geübte Leser/innen

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„Milchmann“ ist ein anregendes und aufregendes Werk! Man spürt beim Lesen förmlich die Gedanken im Kopf der 18-jährigen Ich-Erzählerin hin- und herspringen, fühlt ihre Ängste, Zweifel, ihre Zerrissenheit und ihre Sorgen. Das erreicht Anna Burns durch den Gedankenstrom und ihre fast atemlose Erzählweise, bei der ein Gedanke wie selbstverständlich in den anderen übergeht – so als würden wir wirklich den ungefiltert festgehaltenen Gedanken der Protagonistin folgen.
Eine weitere Besonderheit: Keine der handelnden Personen wird bei ihrem Namen genannt. Alle werden nur mit ihrem Job bzw. ihrem Familienverhältnis zur Protagonistin bezeichnet. Das ist am Anfang etwas verwirrend, z.B. bei den drei Schwagern, entpuppt sich jedoch als eindrucksvolles Stilmittel. Dadurch macht die Autorin auf clevere Weise deutlich, wie starr die Rollenverteilung gerade in dieser ländlichen, nordirischen Gegend ist, wie die Menschen nur durch ihre Arbeit und ihre Rolle in der Familie charakterisiert werden, wie diese Rollen die Erwartungen formen, wie daraus Gerüchte entstehen und wie die Menschen dadurch in ihren Rollen gefangen sind. Das Ergebnis ist ein herausragendes Buch, das streckenweise herausfordernd zu lesen ist, bei dem es sich aber lohnt durchzuhalten.

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Die 18-jährige Erzählerin wächst in einem religiös geprägten Umfeld und in einer kinderreichen nordirischen Familie auf. Sie fühlt sich beim Joggen gestalkt von einem Mann im Ort, der bloß 'der Milchmann' genannt wird.
Bald entstehen üble Gerüchte, das Mädchen hätte etwas mit diesem Mann...
Gleichzeitig ist die politische Situation sehr aufgeladen und droht zu eskalieren. Von Anschlägen und Autobomben ist die Rede, von richtiger und falscher Religion.
Schließlich wird auf den Milchmann geschossen...

Die Erzählweise aus der Sicht der 18-Jährigen und der gesamte Sprachstil des Romans sind genial! Sehr anspruchsvoll und beeindruckend. Für den Sprachstil gibt es 5 von 5 Punkten.

Allerdings gerät durch die anspruchsvolle Sprache die Gesamthandlung des Romans ein wenig in den Hintergrund, und ist mitunter schwer zu verstehen. Dafür 3 von 5 Punkten.

Insgesamt ein Roman für Literaturfans. Nicht geeignet fürs Mainstream-Lesepublikum.
Ein schwieriger Titel, dessen Lektüre einem noch lange in Erinnerung bleibt und der nachhallt.

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Was sich anhört wie eine Dystopie, war leider traurige Realität im Nordirland der Siebzigerjahre, der Zeit der größten Unruhen, die heute euphemistisch als "Troubles" bezeichnet werden. Während dieser Unruhen spielt Milchmann. Die falsche Religion, das sind die Protestanten, das Land auf der anderen Seite der See ist England.
Diese Dinge sollte man wissen, bevor man Milchmann liest. Der Stil ist zunächst auch ein wenig gewöhnungsbedürftig, er geht in Richtung Stream of Consciousness. Außerdem verwendet Anna Burns bis auf wenige Ausnahmen keine Namen. Die Erzählerin ist Mittelschwester, es gibt Schwester 1 bis 3, Schwager 1 und Schwager 3, Vielleicht-Freund etc. und natürlich Milchmann. Zudem gibt es ein paar Zeitsprünge, Handlung wird vorweggenommen dafür anderes erst später erzählt.
Mittelschwester wird von Milchmann gestalkt und kommt dadurch ins Gespräch der Leute. Und das ist genau das, was sie nicht möchte, denn für jeden ist das wichtigste, nicht aufzufallen und sich den gesellschaftlichen Zwängen unterzuordnen. Ansonsten wird man schnell zum Denunzianten und das kann unangenehme Folgen haben. Mittelschwester versucht Milchmann zu ignorieren und ihm auszuweichen, muss aber schnell feststellen, dass dies andere und schlimmere Folgen hat, als sie ahnt.
Ich wusste vor der Lektüre dieses Buches nicht viel über die Zustände in Belfast zur damaligen Zeit. Ich denke aber, dass Milchmann in mancher Hinsicht ein durchaus realistisches Bild vermittelt, vor allem der Ängste die viele hatten. Besonders deutlich wird dies am (natürlich übertriebenen) Beispiel der Farbe des Himmels und des Sonnenuntergangs: In Mittelschwesters Französischklasse liest die Lehrerin eine Geschichte vor, in der der Himmel nicht nur blau ist, sondern auch andere Farben hat. Dies wird von den Schülern nicht akzeptiert, da der Himmel nur die Farben blau, grau oder schwarz haben darf. Sie leugnen vehement, dass er während des Sonnenuntergangs die unterschiedlichsten Farbtöne annehmen kann. Dieses Leugnen verrät viel über eine Gesellschaft, in der es nur schwarz und weiß und keine anderen möglichen Optionen gibt.

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Eine namenlose junge Frau in einer namenlosen Stadt, wo selbst die Straßen keine Namen haben. Dort lebt die Erzählerin „Mittelschwester“, mit ihrer Mutter, den Kleinen Schwestern. Der Vater ist verstorben, die großen Schwestern verheiratet. Die Großen Brüder irgendwo. Es ist eine ganz eigene Welt, in der sie lebt, in einer eigentümlichen, gefährlichen Zeit. Bis eines Tages ein Mann, wesentlich älter als sie, der Milchmann, in ihr Leben tritt, sie vereinnahmen will, sie beobachtet, verfolgt, gegen ihren Willen.
Es ist wohl Belfast in den 1970ern, während des Nordirlandkonfliktes, von dem die Erzählerin berichtet, Jahre später. Als sie Worte und Begriffe findet, für das was damals passiert ist und für die es damals noch keine Begriffe gab. Belfast „where the streets have no name“ haben auch die handelnden Personen keine Namen. Es ist gefährlich, zu wissen in welcher Straße man wohnt, zu leicht lässt sich feststellen, welchem Glauben, welchem Teil der Bevölkerung man angehört. Auch Namen sind gefährlich, lässt sich doch daran erkennen, auf welcher Seite der Straße, welcher Seite der See man lebt.
„Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.“
So beginnt der Roman von Anna Burns. Gleich mit diesem ersten Satz, weiß man, dass der Milchmann nicht überlebt, aber die Bedrohung für die Erzählerin damit nicht endet.
Die Erzählerin will sich raushalten aus den Geschehnissen, selbst ihre Beziehung ist eine Vielleicht-Beziehung zu einem Vielleicht-Freund. Sie ist das „gehende Mädchen“ immer mit einem Buch in der Hand. Ihre Lektüre stammt aus früheren Zeiten, bloß nichts Gegenwärtiges. Sie will sich entziehen und merkt nicht, dass sie gerade deswegen Aufmerksamkeit erregt. Der Milchmann erwählt sie als Objekt seiner Begehrlichkeit. Sie kann nichts dagegen tun. Doch wer ist dieser ominöse Milchmann, um den sich so viele Gerüchte ranken. Und der Ursache dafür ist, dass die Erzählerin unter ein Licht gestellt wird, in dem sie nicht gesehen werden will. Ist er ein Staatsverweigerer, ein Terrorist, ein Spion, von der anderen Seite der See gar?
Anna Burns lässt diese eine Frau erzählen von einer Welt die geprägt ist von echten und geschürten Ängsten, von einer komplett umgedrehten Welt. Lässt sie vom Hundertsten ins Tausende kommen, lässt sie vom Krieg erzählen der nicht als „troubles“ ist, gibt ihr eine spitze Zunge und einen bitterbösen Sinn für Humor, lässt sie um tote Verwandte und Freunde trauern und gibt ihr den Mut, nicht als alles gegeben hinzunehmen. „Der Himmel ist blau“. So behaupten alle, die jetzt und gerade jetzt aus dem Fenster schauen. Vielleicht mag er noch schwarz sein in der Nacht und grau bei Regen. Doch egal was über die Generationen gelehrt wurde. Der Himmel darf bunt sein. Auch in der Welt unserer Erzählerin.

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Es ist eine zerrissene, disfunktionale Welt, in der die namenlose 18-Jährige Protagonistin des Romans "Milchmann" der nordirischen Autorin Anna Burns heranwächst. Autobomben Busentführungen Kontrollen der paramilitärischen "Verweigerer" wie auch der Soldaten des "Landes jenseits der See", eine Gemeinschaft, die ebenso kontrollierend wie schützend wirkt, eine Trennwand die die Stadtvierteln "der Unsrigen" und der "Anderen" voneinander trennt. Selbst wenn man nicht schon aus dem Klappentext wüsste, dass Anna Burns in Belfast geboren wurde, wecken gleich die ersten Buchseiten Bilder aus dem nordirischen Bürgerkrieg, vermutlich 1970-er Jahre.

Doch die Stadt, das Land die Menschen bleiben fast immer namenlos. Die Ich-Erzählerin gilt in der Familie nur als die "Mittelschwester", die aud Erste, Zweite und Dritte Schwester gefolgt ist. Die drei jüngsten Schwestern gelten sogar als Gruppe zusammengefasst nur als die "Kleinen Schwestern". Ein Bruder ist im Bürgerkrieg ums Leben gekommen, liegt auf dem besonderen Teil der "Verweigerer" auf dem Friedhof begraben, ein anderer ist auf der Flucht - eine ganz übliche Familiengeschichte im Viertel der jungen Frau, die sich mit Politik am liebsten gar nicht befassen würde.

Die junge Frau, der die Mutter bereits mit Fragen nach einem Heiratskandidaten in den Ohren liegt, übt ihre kleinen Fluchten - die unverbindliche Beziehung zu "Vielleicht-Freund", Joggen mit Schwager Nummer drei, Französichkurs im Stadtzentrum, wo sie Normalität mit den "Anderen" erleben kann, und die Bücher aus dem 19. Jahrhundert, in die sie zur Irritation ihrer Nachbarn beim Gehen die Nase steckt. Das 20. Jahrhundert kann sie nämlich nicht ausstehen, nicht einmal seine Bücher.

Das trotz der politischen Trubulenzen gewollt ruhige Leben wird allerdings gestört, als sich der "Milchmann" der jungen Frau nähert, sie beobachtet, zu erkennen gibt, dass er alles über sie weiß. Der Stalker, Mitte 40 und ein hohes Tier bei den "Verweigerern" bringt mit seiner unerwünschten Aufmerksamkeit das Leben der jungen Frau durcheinander. Plötzlich wird über sie geredet. Kameras klicken, wenn sie durch den Park joggt. "Verweigerer-Groupies" bieten ihr die Freundschaft an, es wird über sie geredet, und obwohl sie den Milchmann fürchtet und zu vermeiden versucht, wird ihr eine Affäre angedichtet.

"Milchmann" ist eine Coming of Age-Story in unruhigen Zeiten, ein Roman über innere Einsamkeit und Flucht in die Selbstisolation, über sozialen Druck und Zusammenhalt in einem Quasi-Belagerungszustand. Die Endlosssätze inneren Monologs können da durchaus als Gedankenschleifen in einer Situation ohne Ausweg gesehen werden. Dabei bleiben die meisten Menschen im Umfeld der Erzählerin merkwürdig blass und unscharf, von einer gewissen Beliebigkeit. Ist die Namenlosigkeit der Figuren künstlerische Marotte? Vielleicht soll sie ja auch verdeutlichen, dass religiöses oder politisches Sektierertum in Bürgerkriegsgesellschaften nicht auf eine bestimmte Gesellschaft beschränkt sein muss. Die Geschichte der Erzählerin könnte ebenso gut im Libanon der 70-er Jahre, in Afghanistan oder im Irak spielen können.

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Der Tag, an dem Irgendwer mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb. Eine junge Frau zieht ungewollt die Aufmerksamkeit eines mächtigen und erschreckend älteren Mannes auf sich, Milchmann. Es ist das Letzte, was sie will. Hier, in dieser namenlosen Stadt, erweckt man besser niemandes Interesse. Und so versucht sie, alle in ihrem Umfeld über ihre Begegnungen mit dem Mann im Unklaren zu lassen. Doch Milchmann ist hartnäckig. Milchmann ist die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem Weg für sich sucht. In einer Gesellschaft, die sich ihre eigenen dunklen Wahrheiten erfindet und in der jeglicher Fehltritt enorme Konsequenzen nach sich zieht. Ein Roman über den unerschrockenen Kampf einer jungen Frau um ein selbstbestimmtes Leben. Man muss dieses Buch selber lesen um die Zusammenhänge erkennen zu können.

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Dieses Buch hat ein tolles Cover, die Farben sind gut gewählt. Diese lassen alles harmonisch wirken. Nur das der Inhalt etwas ganz anderes bietet.

Es geht um den Nordirlandkonflikt der 1970 er Jahre.
Die Protagonistin ist in Belfast. & der Milchmann wird auf sie aufmerksam.
Mir ging es so das ich beim Lesen die Zweifel, Zerrissenheit & Ängste gespürt habe. Der Schreibstil ist schon locker, wenn auch manchmal etwas schwerer. Da keine der Protagonisten beim Namen genannt wird. Das hat das Lesen gerade am Anfang etwas schwierig gemacht.

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In Milchmann erzählt eine sprunghafte und unzuverlässige Erzählerin ihre Geschichte. Ein älterer Mann lauert ihr auf, versucht sie immer wieder zu verführen. Bald tuscheln alle, Gerüchte greifen, ihr Leben gerät aus den Fugen, obwohl er sie absolut nicht interessiert. Hinter diesem Plot aber liegt viel mehr. Es geht um Familia und Politik, um Gesellschaftsstrukturen und Liebe. Es geht um die Pathologie des Lebens und des menschlichen Seins.

So schön und faszinierend das alles klingt, ich hatte mit dem Buch so meine Probleme. Die Figuren haben selten Namen und werden eher durch Zuschreibungen definiert. „Große Schwester“, „Schwager Nummer drei“, und eben auch der Milchmann. Dieses stilistische Spiel alleine funktioniert, denn als Leserin kenne ich die Figuren ja nur unter diesen Bezeichnungen. Daneben bringt die Unzuverlässigkeit der Erzählerin es mit sich, dass redundante Moment entstehen. Passagen werden mehrmals erzählt, manchmal enttarnt sich erst beim dritten oder vierten Mal, was wirklich dahinter steckt. Es ist ein eigenwilliger Zugang zur Realität, der eng subjektiv ist und hoch interessant, aber auch anstrengend.

Mit Blick auf den Rahmenplot des Milchmanns finde ich aber auch die Protagonistin frustrierend. Sie, die im Grunde gegen viele Konventionen protestiert, bedient weibliche Klischees. Sie ist zurückhaltend, obwohl sie laut sein will. Niemals sagt sie, was sie denkt oder was sie sagen will. Zwischen ihrer Innenwelt und der Umwelt ist nicht nur eine Mauer, sondern eine regelrechte Sprachbarriere. Sie versteht und liest die Menschen und ihre Handlungen auf eine sehr reflektierende Weise, kann das aber bei sich selbst nicht und erwartet von allen anderen, sie dennoch zu verstehen.

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Milchmann hat den Man Booker Prize 2018 gewonnen und so viele grandiose Rezensionen erhalten, dass ich mich etwas verspätet auch dran getraut habe.

Uff. Bedrückend. Anstrengend zu lesen. Schräg. Ungewöhnlich. Verwirrend. Wütend machend.
Das Buch hat so viele Emotionen bei mir ausgelöst, dass ich Schwierigkeiten habe, sie in Worte zu fassen.

Vor dem Nordirlandkonflikt, mitsamt seinen politischen und religiösen Kämpfen, schreibt Anna Burns die Geschichte der Ich-Erzählerin, die versucht, sich möglichst unauffällig zu verhalten und sich aus allem herauszuhalten, und vielleicht gerade deswegen mitten hinein in Gerüchte und Beschuldigungen stolpert. Tja, während des Gehens zu Lesen ist ja auch wirklich suspekt.

Für mich war es anfangs total befremdlich, dass keine der Figuren einen Namen hat, sondern alle in ihrer Funktion bzw. dem Verwandschaftsgrad benannt werden: mittlere Schwester, Schwager 1, Vielleicht-Freund, Milchmann - irgendwie wirkte das auf mich dehumanisierend und führte zu einer größeren Distanz zwischen mir als Leserin und den Figuren.

Zudem liegt die ganze Zeit über diese latente Bedrohung in der Luft (vom Milchmann und der Gesellschaft); ich habe während des Lesens immer etwas ganz Schlimmes erwartet, das oft angedeutet, aber nicht explizit benannt wird und bin so ganz automatisch in eine eher abwehrende Lesestimmung geraten; Burns selber spricht von einer "permanent alarmbereiten Gesellschaft", in die ich mich als Leserin einzufügen schien. Ist etwas nicht geschehen, nur weil es nicht ausdrücklich verbalisiert wird?

Milchmann ist mir unter die Haut gegangen, hat mich einerseits durchaus zum Nachdenken gebracht, vor allem über die oftmals vorhandene Passivität der Gesellschaft in Bezug auf Gewalt gegenüber Frauen, mich als Leserin teilweise aber auch ganz schön überfordert. Ein wirklich ganz anderes Buch.

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Die voreingenommene Gesellschaft
Rezension "Milchmann"

Die Welt, in die uns Anna Burns in ihrem Roman „Milchmann“ führt, ist schwarz und weiß. Es gibt genaue Regeln, die jeder kennt, aber über die keiner spricht. Das Regelwerk deckt alle Bereiche ab. Es erstreckt sich von der richtigen Wohngegend über die richtige Religion bis hin zu den richtigen Namen. Es wird zwar an keiner Stelle erwähnt, aber aus dem Kontext lässt sich entnehmen, dass die Geschichte mitten in dem Konflikt zwischen den Protestenten und Katholiken in Nordirland spielt. Der Alltag ist geprägt von Attentaten und Gewalt. Es gibt die Bewegung der Verweigerer, welche sich dem Staad widersetzt und ihren Bezirk kontrolliert. Die Menschen teilen ihre Stadt in “die richtige und die falsche Seite der Hauptstraße ein“ und definieren sich über ihre Gruppenzugehörigkeit. Es ist wichtig das richtige zu sagen, damit die Nachbarn nicht das Falsche denken. Daraus entsteht eine psychopolitische Atmosphäre der Angst und Unterdrückung.

„Der Schneeball und das böse Wort,

sie wachsen, wie sie rollen fort.

Ein Schneeball wirft zum Tor hinaus,

ein Berg wird`s vor Nachbars Haus.“

(Wilhelm Müller 1794 – 1827)

So ein Schneeball wird unserer Protagonistin zum Verhängnis. Die Ich-Erzählerin, auch Mittelschwester genannt, lebt in Belfast in den 70er Jahren. Mit ihren jungen 18 Jahren wird sie von dem deutlich älteren und verheirateten Anführer der „Verweigerer“ als nächste Affäre auserkoren. Er, im Roman Milchmann genannt, beginnt ihr nachzustellen. Und obwohl zwischen den beiden keine Beziehung besteht, brodelt die Gerüchteküche aufgrund einiger kurzer und für die Hauptfigur bedrohlicher Treffen. Der Milchmann erwartet von ihr, dass sie sich fügt und weicht nicht vor Drohungen zurück, um sich durchzusetzen. Die Erzählerin kann sich in ihrer Verzweiflung an niemanden wenden. Sie kann sich niemandem anvertrauen, nicht einmal ihrer Mutter, die aufgrund der Gerüchte bereits ihr eigenes Urteil gefällt hat.

Das Leben der Erzählerin besteht aus Anpassungsdruck, soziale Kontrollen und Ungleichheit. Doch sie ist nicht bereit sich komplett anzupassen. Sie möchte nicht sofort heiraten und Kinder kriegen. Doch in ihrer Welt haben Frauen eine untergeordnete Rolle und müssen die männliche Überlegenheit anerkennen. Frauen, die widersprechen, gelten als missraten und werden geächtet.

Das alles wird in einen sehr ungewöhnlichen Schreibstil verpackt. Die langen Bandwurmsätze, die vom hundertsten ins tausendste springen wirken wie ein nicht enden wollender Gedankenstrom. Die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung der Hauptfigur wird dadurch greifbar. Ihre Gedanken drehen sich wie ein Karussell.

Ungewöhnlich sind auch die fehlenden Namen und Ortsbezeichnungen in ganzen Roman. Die Figuren werden mit ihrer Funktion angesprochen. Da gibt es dann "Schwester eins" und "Schwager eins, "Vielleicht-Freund und Chefkoch" und den "Ort auf der anderen Seite der See". Ich persönlich kann mir Namen nur sehr schwer merken und fand es daher erfrischend, dass die Figuren anders genannt wurden. Die fehlenden Namen machen die handelnden Personen anonym, aber auch allgemein gültig. Anna Burns schafft damit die Übertragbarkeit des Romans auf andere Orte und Zeiten.

Ob dieses Buch ein literarisches Meisterwerk ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen, aber es ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Beim Lesen habe ich mehrfach meine Meinung zu diesem Roman gewechselt. Ich schwankte immer wieder zwischen langweilig und unglaublich. Zum Schluss tendiere ich doch zur Leseempfehlung.

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Wer meine Status Updates mitbekommen hat, weiß, dass ich mich anfangs ziemlich schwer getan habe mit dem Buch. Anna Burns hat einen unwahrscheinlich ausufernden, sich ständig wiederholenden Schreibstil mit Sätzen, die sich teilweise über eine halbe Seite ziehen. Die massiven Textblöcke dieses Buches haben mir wahre Schweißausbrüche verursacht.
Ein Großteil der "Handlung" sind Gedanken der Protagonistin, die in Nordirland während der "Troubles" lebt und die einem Einblick in den alltäglichen Wahnsinn gewährt, der dort herrscht. Eine weitere Besonderheit ist, dass kein Charakter einen Namen bekommt, die Protagonistin ist alternativ "Mittelschwester", "Tochter" oder "Vielleicht-Freundin" und um sie herum bevölkern Leute wie "Schwager drei", "Echter Milchmann" "kleine Schwestern" "Vielleicht-Freund" "Atomjunge" oder "Tablettenmädchen" die Seiten. Dieser Kunstgriff hat mich gar nicht gestört, sondern das Lesen tatsächlich erleichtert, da dadurch tatsächlich immer sofort klar war wer ein Charakter ist und in welcher Beziehung er/sie zur Hauptfigur steht.
Im Endeffekt gebe ich jetzt verwirrte 4 Sterne, weil es echt kein schönes Lese-Erlebnis war, aber ihre endlosen Schachtelsätze voller Widersprüche haben irgendwann einen unglaublichen Sog entwickelt, dem ich nicht entziehen konnte. Die letzten beiden Kapitel habe ich sogar *gasp* irgendwie genossen. Entweder habe ich mich an den Stil gewöhnt oder - und das ist wahrscheinlicher - es hat eine Gehirnwäsche stattgefunden und sie hat mich mit ihrem Stil so sehr hypnotisiert, dass ich irgendwann Teil der Geschichte wurde und alles, was zu Beginn wie der pure Irrsinn auf mich gewirkt hat mir plötzlich ganz normal und stimmig vorkam.
Also ein krasses, seltsames Buch, bei dem ich verstehen kann das Leute es nach einem Kapitel abbrechen (ich war auch kurz davor) aber wenn man durchhält, entwickelt ihre Sprache einen ganz eigenen Sog und man verliert sich in einem Rausch aus vollkommenem Wahnsinn, der einem irgendwann ganz alltäglich und normal erscheint.

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